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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Steinbrechersitte, aus weittönendem Signalhorn das Frühstückzeichen gegeben wurde, und das langnachplaudernde Echo hatte den letzten halben Takt noch nicht ausgesungen, als Alle um das Feuerchen saßen und mit warmem Trank und, nach Steinbrecherart, sehr fetter Kost von Brod und Speck, die Kälte aus den steifgefrorenen Gliedern, die das kalte Eisen kaum mehr halten mochten, zu treiben suchten. Die karg zugemessene, halbe Stunde des Frühstücks wird vom Arbeiter ausgenutzt. Er plaudert gerne, wenn er ißt. Am liebsten aber von allen Arbeitern der Steinbrecher, dem seine Arbeit selbst das Sprechen verbietet, weil dies das Einschlucken des Steinstaubes befördert, welches ja ohnehin, wie bekannt, das Leben des Steinbrechers in so grausamer Weise verkürzt, daß ein Fünfziger unter diesen Armen ein Greis genannt wird.

Hier gab ein Wort das andere. Die kurz vorher in Sachsen verspürten Erdstöße hatten das Interesse der ihr halbes Leben im Geripp der Erde zubringenden Leute lebhaft angeregt. Um den Nestor der Steinbrecher, den alten Linke, einen Mann, dessen eisenfeste Gesundheit den erwähnten, verderblichen Einflüssen des Gewerbes doppelt so lange als andere rüstige Naturen widerstanden hat, saßen sie, roth vom Feuer angeglüht, während blaue Strahlen der schrägen Wintersonne den Rauch durchführen. Linke liest die Zeitungen allsonntags auf der Ostra-Scheibe bei Schandau, er ist auch bibelfest, der hohlwangige, graue, hustende Achtundsechzigjährige. Er spricht vom Ausbruch des Vesuv, vom Lissaboner Erdbeben. – Man lauscht und hat die Zeit vergessen – draußen tritt der Signalist vor die im Sonnenschein liegende Felswand und richtet das Horn nach der leuchtenden Fläche, um es recht lustig klingen zu lassen – da schwindelt ihn – es bewegt sich Alles, so weit er sieht – die Bäume droben nicken – die Felsen neigen sich – „Hilf, großer Gott! die Wand stürzt!“ – Weit von sich wirft er das Horn – die bleiernen Füße wollen nicht wie sein Hirn – ein böser Traum – und hinter ihm ist Donnern, Krachen und Knirschen, an ihm vorüber, über ihn weg, setzen, wie wilde Eber und Hirsche, hundert Centner schwere Blöcke brüllend in die Tiefe, wie riesige, pfeifende Fledermäuse umschwirrt ihn Gestein, Sand bedeckt und blendet ihn – er stürzt und glaubt sich verloren – da ist es still um ihn – grabesstill – er wagt, das Haupt zu erheben – da steht die Felswand – weit zurück – und vor ihm liegt, thurmhoch titanisch ausgeschüttet, die furchtbarste Felsengrab-Pyramide im hellen Sonnenglanz. – Mannsstarke Tannen sind als Grabespalmen darauf gestreut, wie ein Kind Grashalme auf den Hügel des Lieblingsvogels wirft. Sinnverwirrt denkt der Mann an Nichts, als sein Signalhorn unter den Trümmern zu suchen.[1] – – –

Drinnen aber hatte, gerade als der Greis vom Erdbebenrollen sprach, ein dumpfschwerer, markerschütternder Knall im Felsen die Sitzenden emporgejagt – da dröhnt ein zweiter, und mächtiges Geprassel, wie von losen Gesteinsmassen, die aus großen Höhen fallen, folgt. „Ein Erdbeben!!“ – schreien einige Stimmen. – „Helf uns Gott ja!“ ruft der alte Linke, „aber von oben! “ – und im selben Augenblicke zittert der Fels um sie her in den Grundfesten. Die Stehenden fühlen den Druck der sinkenden Decke auf den Köpfen – grabfinster wird’s im Nu – und um sie kracht es und donnert und zittert – – Dann gleich ist’s todesstill – mir dann und wann noch – fern draußen – außerhalb des Berges – der dröhnende Sturz eines Felsblocks – ein leises Schieben im Gestein. – Sie sind lebendig begraben. – Sie schweigen Alle – als fürchte Jeder die furchtbare Ueberzeugung, allein zu leben; dann beginnen sie mit leiser Stimme zu rufen, wie um die Grabesstille nicht zu stören: „Petters! Heckel! Kühn! Linke! Löser!“ – „Hier! hier!“ tönt’s bei jedem Namensruf aus der dumpfen Finsterniß – vierundzwanzigmal. – Alle sind da, Alle leben. – Jetzt erst löst sich der Schreck in Worte und Thränen. Die steinernen Männer weinen. Es ist Nichts als Schluchzen in dem gemeinsamen Grabe. – Aber Naturen, wie die solcher gefahrenharten Leute, reagiren stark gegen die unthätige Muthlosigkeit. Des alten Linke Stimme, die Alle kennen, wird zuerst laut: „Vertraut Gott, Kinder! Wer weiß, ob es so schlimm ist, als es aussieht. Richter (der wackere Bruchmeister) lebt! Wir werden nicht im Stiche gelassen werden. Vor Allem müssen wir sehen, wie das Gestein um uns liegt und ob wir uns nicht selbst durcharbeiten können. Wer weiß, ob die Masse, die uns deckt, groß ist?“

„Ist kein Kien da, um Lichtspähne zu machen? Die Bank ist kienig!“ – Spähne werden geschlissen, und eine Minute darauf erhellt die rothe aufflackernde Flamme die furchtbare, niedrige Höhle, zu deren Eingang das entsetzliche Schuttgeröll hereingequollen ist, und die bleichen, angstfahlen Gesichter. Man leuchtet umher – doch da ist Alles fest geschlossen, wie vermauert. Eine Platte, von der sie alle wissen, daß sie mindestens 13 Ellen von massivem Stein dick ist,, deckt sie von oben, und das ist ihr schauerliches Glück. Geschlossen ist die Höhle felsentief gegen Leben und Tod von außen – aber da steht nur ein Krug mit Wasser, da sind höchstens noch 10 Pfund Brod, da sind noch einige Schnitte Wurst und Speck – der Tod braucht nicht von außen zu kommen, der ist sicher genug mit ihnen eingeschlossen, wenn es Gott nicht gefällt zu retten und Menschen nicht retten können! – Und es ist so todesstill da unten, kein kleiner Laut dringt von außen her; sie müssen recht, recht tief begraben sein. –

(Schluß folgt.)



Johann Gottlieb Fichte.[2]

Von Johannes Scherr.
Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels

Glanz, und die, so Viele zur Gerechtigkeit weisen, wie

die Sterne immer und ewiglich. Daniel XII. 3.

„Fichte heißt dieser Mann, dem selbst seine entschiedensten Widersacher Nichts nachzusagen wissen, was den leisesten Flecken auf seinen Charakter würfe, sondern über den das ganze unterrichtete Deutschland sich längst vereint hat, daß er die Redlichkeit und Reinheit selbst war. Es verlohnt sich wohl, über diesen Mann, der ebenso wenig alle Tage geboren wird, als man einen schon geborenen dazu, was er war, machen kann, noch einige Worte zu sagen.“ ... So eine deutsche Zeitung im September 1822, als jene riesige Giftspinne, im Nest der heiligen Allianz ausgebrütet und genannt „Mainzer Centraluntersuchungscommission“, das Andenken des großen Todten in die Maschen ihres unheilvollen Netzes zu verstricken gewagt hatte.

Ja wohl lohnte es sich damals, zu einer Zeit stupider Brutalität von oben und feiger Erschlaffung von unten, der Mühe, wieder an einen Gelehrten zu erinnern, der nicht nur ein solcher, sondern ein Mann gewesen war, ein Charakter vom edelsten Metall, in jeder Beziehung einer der besten Männer deutscher Nation, und wahrlich nicht im Sinne der „besten“ Männer von 1848. Auch heutzutage wieder, wo die Charakterlosigkeit als anerkanntes Zubehör praktischer Lebensweisheit sich breitmacht und so Viele, Viele mittelst Redensarten mit ihrem Gewissen und ihrer patriotischen Pflicht sich abfinden zu können glauben, – ja, auch heutzutage dürfte es wieder der Mühe sich lohnen, an einen Mann vom Schlage Fichte’s zu erinnern. Es liegt in der Betrachtung solcher Gestalten, welche, von dem Hauche des Ideals „umwittert“, gegenüber dem gemeinen alltäglichen Gedräng und Getriebe das Ewige, das Göttliche repräsentiren, Etwas, das die moralische Atmosphäre reinigt, etwas Stärkendes und Erhebendes.

Verdeutlichen wir uns daher Fichte’s Persönlichkeit. Vergegenwärtigen wir uns seinen Lebenslauf; denn dieser ist zugleich die Charakteristik des Mannes.

  1. Wunderbarerweise sollte der so glücklich dem Felsensturz entgangene Signalist doch noch der einzige bei diesem Ereignisse Verletzte werden. Am 25. Januar Nachmittags traf den, neben dem Bruchmeister Richter anscheinend an ganz sicherer Stelle Stehenden, ein Stein, der von der Höhe des Felsens herabbröckelte und schräg von einem Blocke abprallte, fast tödtlich am Vorderhaupt. Er liegt noch darnieder.
  2. Das deutsche Volk hat am 19. Mai 1862 das hundertjährige Jubelfest der Geburt dieses großen Mannes zu begehen; zu dieser Feier bietet hiermit die Gartenlaube ihren Ehrenzoll.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_155.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)