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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


reformistisch-patriotischen Sinne gewirkt. Bevor ihm jedoch die Lehrthätigkeit an der neuen Hochschule eröffnet war, hatte Fichte, seinem innersten Herzensdrange folgend, eine Arbeit gethan, welche ohne Frage die beste seines Lebens gewesen ist. Denn im Winter von 1807–1808 hielt er im Akademiegebäude seine „Reden an die deutsche Nation“.

Die preußische Hauptstadt war damals von den Franzosen besetzt, Alles lag chaotisch durcheinander, schwer wie Blei wuchteten die Bestimmungen des Friedens von Tilsit auf dem niedergetretenen, ausgesogenen Lande. Da unternahm es der tapfere Philosoph, die verdüsterten Gemüther wieder hoffen zu lehren und ihnen eine Zukunftsbahn zu weisen. Die alte Zeit ist todt, laßt uns eilen, sie zu bestatten. Die neue ist geboren, sie lebt, aber sie muß erzogen werden. Wodurch wird sie es? Durch eine völlige Umschaffung unserer Gesinnung, durch eine gänzliche Erneuerung der Volksgesinnung durch alle Stände hindurch. Und wie diese Umschaffung, diese Erneuerung zuwegebringen? Mittelst einer umfassenden Nationalerziehung … Dies waren die Grundgedanken, welche Fichte in seinen berühmten Reden ausführte. An die ganze Nation gerichtet, haben sie auch auf die ganze Nation gewirkt. Unbeirrt und ungeschreckt durch das Wirbeln französischer Trommeln, welches draußen durch die Straßen von Berlin ging, zeigte drinnen der begeisterte Redner dem preußischen, dem deutschen Volke den Weg, den es zu wandeln habe, um die übermüthigen Eroberer wieder aus Deutschland hinauszuwerfen.

Ueberhaupt war in der Zeit von 1807 bis 1813 des Mannes ganzes Lehren und Wirken dem großen Ziele zugewandt, der Befreiung und Wiedergeburt des Vaterlandes. Und das eben ist und bleibt Fichte’s bester Ruhm, eine Philosophie der That verkündigt, mit in der Vorderreihe der Männer gestanden zu haben, welche die deutsche Erhebung gegen Napoleon anbahnten und vorbereiteten. Glücklich ist er zu preisen, daß ihm beschieden war, die Zeit nicht mehr zu erleben, wo den berechtigten Erwartungen des edelsten Enthusiasmus die schmerzlichsten Enttäuschungen bereitet wurden.

Als Jahr und Tag der Erhebung gekommen, entließ Fichte mit begeisternden Worten seine Zuhörer in den Kampf. Er selbst ist, so darf man wohl sagen, ein Opfer desselben geworden, wenn er auch nicht auf der Walstatt gefallen. Wie damals so viele deutsche Frauen, hat sich nämlich auch die Gattin unseres Philosophen um das Vaterland wohlverdient gemacht mittelst heroischer Mühwaltung in den Lazarethen. Nach fünfmonatlicher eifriger Erfüllung dieser schweren Pflicht, wurde sie vom Nervenfieber ergriffen, wie es die Lazarethatmosphäre auszubrüten pflegt. Nach heftigem Ringen mit dem Tode trat eine wohlthätige Krisis ein. Der Arzt benachrichtigte Fichte davon, und dieser neigte sich, von Freude überwältigt, über die Kranke, um die Gerettete, ihm neu Geschenkte zu begrüßen. Wahrscheinlich hat sie ihm schuldlos in diesem Augenblick den Keim der Krankheit mitgetheilt. Schon am Tage darauf war er leidend, und rasch wuchs das Uebel so, daß keine Aussicht auf Rettung blieb. Auf sein Sterbelager warf die Botschaft vom Rheinübergange Blücher’s noch einen hellen Freudenschein. Da hat sich der Kranke noch einmal in patriotischer Begeisterung ergossen. Später sprach er wenig mehr und unter dem Wenigen eines Tages das Wort: „Ich bedarf keiner Arznei mehr; ich fühle, daß ich genesen bin.“ Ob er damit, wie vormals Sokrates mit einer ähnlichen Aeußerung, die Genesung vom Leben meinte? In der Nacht des 27. Januar 1814 ist er dann gestorben, noch nicht ganz zweiundfünfzigjährig, in der Vollkraft des Geistes und auch des Körpers: sein Mund hatte noch keinen Zahn verloren, und die Schwärze seines Haares spielte noch nicht in’s Graue. So hat er denn, wie Goethe schön von Schiller sagte, als ganzer Mann gelebt und als ganzer Mann ist er von uns gegangen.

Auf dem Kirchhofe vor dem Oranienburger Thor wurde der große Todte zur Ruhe gebracht. Das Prophetenwort, welches ich an die Spitze dieser Skizze gestellt, ward ihm auf den Grabstein gemeißelt. Es haben fürwahr ihrer nicht gar Viele gelebt, deren Grab diese Inschrift so sehr verdiente, wie das Grab von Johann Gottlieb Fichte.[1]


  1. Nach neuesten Mittheilungen, die sich auf das Zeugniß von Fichte’s Vater selbst gründen, ward unser großer Philosoph in dem Pfarrpachterhause zu Rammenau geboren, von dem längst keine Spur mehr vorhanden ist. Unser Bild stellt das Wohnhaus der Eltern Fichte’s dar, das sie sich einige Jahre später auf der Gemeindeau erbauten, in welchem Fichte seine Knabenzeit verlebte und das im Jahre 1860 ebenfalls einem andern Hause Platz machen mußte. Wir benutzen diese Gelegenheit, um unsern Lesern ein Ziel für die Regungen der Pietät zu zeigen, die ohne Zweifel in weiten Kreisen am Jubeltage der Fichtefeier wach gerufen sind. Die Einwohner von Rammenau haben nämlich beschlossen, ihrem größten Abkömmling zu Ehren ein kleines Denkmal zu errichten: eine abgebrochene Granitsäule mit entsprechender Inschrift im Sockel, und dazu noch eine Fichtestiftung zur Unterstützung armer befähigter Knaben, welche eine höhere Bildungsanstalt (Universität ausgenommen) besuchen. Ihre öffentliche Bitte um Beisteuern von Seiten der Verehrer des Gefeierten ist bis jetzt vollständig überhört worden. Wir machen hiermit diese Bitte zur unsrigen; vielleicht fühlen viele brave Männer noch heute sich als geistige Schuldner Fichte’s und freuen sich, auf die angeregte Weise einen kleinen Theil ihrer Schuld abtragen zu können. Die Red.     




Vom verlassenen Bruderstamme.
Nr. 4. Der Märtyrer von Oland.
(Schluß.)
Ein großer Deutscher – Schilderung eines Wurtdorfes – Kein Trinkwasser – Besuch beim Pastor – Geschichte des Märtyrers – Der brave Soldat – Eine arme Mutter – König Bomba und Dänemark.

„Ist denn Euer Pastor zu Hause?“ fragte ich eine alte Frau, welche einige Minuten ausruhte, um nach Westen zu sehen und die Wolkenberge zu beobachten, die eine immer drohendere Gestalt anzunehmen schienen.

„Der Pastor ist im Wurtdorfe. Er muß im Pfarrhause sein; Sie wollen ihn wohl besuchen? Unser Pastor ist erst seit zwei Monaten auf der Hallig. Er war früher auf Silt. Da haben die Dänen ihn hierher geschickt; er ist ein großer Deutscher.“

„Er ist ein großer Deutscher,“ wiederholte mein Freund. „Sehen Sie, nun sind wir auf einmal im Klaren, weshalb der Pastor Müller nach Oland verbannt ist. Oland ist das Cayenne für die Deutschen auf den friesischen Inseln.“

Und dann erzählte uns die alte Frau, daß sie noch nie auf dem Festlande gewesen, daß sie noch niemals einen Berg, nie ein Pferd, nie einen Fluß oder einen Baum gesehen habe. Die alte Frau sprach das Hochdeutsch recht rein und gut. Plattdeutsch verstand hier Niemand. Das Hochdeutsche ist die Sprache des Predigers und der Bibel. Die gewöhnliche Sprache ist das Friesische. Auf den kleinen Inseln, welche an der schleswigschen Westküste wie Brocken im unendlichen Weltmeere schwimmen, hat sich die friesische Nationalität am reinsten bewahrt. So fand ich es auch in den schleswigschen Marschen. In den Marschen an der Elbe, an der Weser, im Bremischen und Oldenburgischen giebt es dagegen nur wenige Striche, wo Friesisch gesprochen wird. Dort haben die Friesen Plattdeutsch gelernt, was hier Niemand verstand.

In Gesellschaft der Halligbewohner, welche ihre Arbeit beendigt und das Heu geborgen hatten, gingen wir nun in das Wurtdorf. Ein aus einem Baumstamme bestehender Steg führte über den letzten, breiten Schlot, welcher von dem einen Ende der Insel zum andern reichte, und durch den die Wellen des Meeres lustig hindurchplätscherten.

Ich muß jetzt für einige Momente meine Darstellung unterbrechen, um das Wurtdorf zu beschreiben. Ueberall an der Nordsee findet man Wurtdörfer; sie hängen mit dem Leben am Meere eng zusammen, und haben viel Sonderbares und Eigenthümliches. Ich erwähnte, daß die Halligen, aus der Ferne gesehen, schmalen Streifen Landes gleichen, welche auf dem Meere zu schwimmen scheinen, und über deren Flächen sich Burgen und Vesten erheben. Die Burgen und die Vesten sind die hochgelegenen Wurtdörfer. Die Wurten sind künstlich angelegte, längliche Hügel, 20, 30, 40 Fuß hoch. Die Höhe der Hallige ist die mittlere Höhe der Meeresfluthen. Bei jeder Fluth überströmt das Meer die ganze Insel, und nur die Wurt ragt mit ihren Häusern und mit ihrem Kirchthurm über die Wasserfläche hervor. Deshalb giebt es auch auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_167.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2020)