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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

mit einer Unwürdigen zu bewahren, und leider zu spät gekommen war, brachte ihm die überzeugenden Beweise, daß das unselige Weib sein Vertrauen schmählich betrogen, daß sie nicht nur vorher die Geliebte eines piemontesischen Officiers aus Bergamo gewesen sei, sondern das sträfliche Verhältniß mit ihrem Buhlen auch noch nach ihrer Bekanntschaft mit Garibaldi fortgesetzt habe. Garibaldi war tief erschüttert. Er verließ in derselben Stunde die Villa Raimondi und ging ohne alle Begleitung nach Genua, wo er sich sofort nach seiner einsames Felseninsel Caprera einschiffte. Der König entließ den Verräther sofort aus dem Dienste, der, um sein Leben vor den ihm drohenden Kugeln der Waffengefährten Garibaldi’s zu erretten, nach England entfloh und jetzt mit der Verrätherin in irgend einem Winkel der Schweiz versteckt lebt. –

Ich fragte, ob die Sache in Garibaldi einen tieferen Eindruck hinterlassen habe. „Nur im Anfange,“ versetzte der Künstler; „da haben mir Freunde gesagt, daß sie sein Antlitz nie so düster und traurig gesehen hätten. Aber das dauerte nicht lange. Seine Seele ist zu sehr erfüllt von dem Gedanken an sein Vaterland, als daß solche persönliche Eindrücke in ihm haften könnten, und ich bin überzeugt, daß er nach einigen Wochen und Monaten bereits die ganze Sache so rein vergessen hatte, als wenn er sie niemals erlebt hätte!“

Nachmittags fuhren wir mit unserer Freundin hinüber nach Menaggio, das über und über im Festschmuck der italienischen Tricoloren prangte, weil der zur Inspektion von Mailand gesendete Oberst die dortige Nationalgarde musterte, die überall vom 18–36. Jahre als Mobilgarde dient, vom 37–60. zur Aufrechterhaltung der Ordnung verwandt wird. Die Energie und Schnelligkeit, mit der die Regierung diese und andere Einrichtungen betreibt, ist bewundernswerth, obschon natürlich noch Alles sehr in den Anfängen ist.

Vorzüglich ist für das Schul- und Unterrichtswesen noch viel zu thun, das hier ganz unglaublich vernachlässigt ist, und unser Freund, der Neapolitaner de Sanctis, der jetzige Unterrichtsminister des Königreichs Italien, den ich vor fünf Jahren im Exil als Lector der italienischen Sprache an der Universität zu Zürich kennen lernte, wird alle Hände voll zu thun haben, um hier Licht und Luft zu schaffen. „Was uns vor Allem noth thut, sind Schulen und Straßen!“ schrieb neulich ein Freund aus der Provinz Neapel, „die werden uns nachhaltiger helfen, als hunderttausend Mann, gegen die Umtriebe der Priester und Briganten.“ Straßen hat man hier, aber an Schulen fehlt es überall, weil es – an Lehrern fehlt. Die Pfaffen, die dafür desto zahlreicher sind, kann man dazu nicht brauchen, theils weil sie dazu nicht befähigt sind, theils weil man ihnen die Jugend nicht anvertrauen darf und mag. „Aber was thun denn Euere Priester jetzt?“ fragte ich unsere Freundin, mit der ich dies Capitel bei der Ueberfahrt verhandelte. „Was sie thun?“ – war die Antwort – „je nun, sie treiben Seidenbau und mästen Vieh, suchen auf alle Art Geld zu machen, nehmen den armen Landleuten den letzten Soldo aus der Tasche, verleihen Geld zu wucherischen Zinsen, haben Liebschaften mit ihren Dienstmädchen und andern Frauen, spielen, rauchen und gehen auf die Jagd.“ Das Letztere hatte ich selbst gesehen, als ich neulich auf dem Dampfschiffe mit einem Geistlichen, einem schönen, starkgebauten Mann in mittleren Jahren, zusammentraf, der seine zwei Jagdhunde an der Leine, die Doppelflinte über dem priesterlichen Rocke auf dem Rücken hängend, die Jagdtasche an der Seite, eine wunderliche Figur machte.

„Aber,“ fragte ich weiter, „sind denn das nicht eigentlich lauter Dinge, die Euren Priestern verboten sind?“

„Freilich sind sie verboten,“ war die Antwort, „aber es ist eben, wie es ist, und sie thun eben, was ihnen gefällt. Vor allen Dingen aber sind sie hier meist gut österreichisch. Diese jetzige Generation ist nicht mehr zu ändern, man muß sie laufen und allmählich an Auszehrung sterben lassen. Märtyrer aus ihnen zu machen, würde nur schaden. Wir brauchen ein Menschenalter, um das Volk aufzuklären und die alten Schäden gründlich zu bessern. Das arme Volk, das von Preßfreiheit und andern Freiheiten noch nichts versteht, und darum auch noch nichts davon hat, das ebensoviel und noch mehr steuern und zahlen muß, als früher, und dem die Pfaffen für Geburt, Hochzeit, Begräbniß und Seelenmessen den letzten Centesimo aus der Tasche ziehen, – dies arme, seit Jahrhunderten vernachlässigte, unwissende Volk bedarf vor allen Dingen des Unterrichts, der es über seine zu erwartenden Vortheile aufklärt, um patriotisch im Sinne der Gebildeten zu werden. Bis jetzt ist ein solcher Aufschwung von ihm kaum zu verlangen, und das Einzige, was es fühlt und empfindet, ist, daß es nicht mehr von einer fremden Polizei gehudelt und geschoren und nicht mehr von Spionen aus den eignen Landsleuten verrathen wird. Das Aufhören der denuncirenden Spionage ist der einzige Segen, den es bis jetzt von der Befreiung empfindet.“

Das Wichtigste für mich an diesen Mittheilungen war, daß sie ganz laut in Gegenwart der beiden Barkenführer, und in italienischer Sprache, also ihnen verständlich, geschahen, und daß der ältere von beiden mehrmals bei den Herzensergießungen über die Pfaffen beistimmend mit dem Kopfe nickte. Ich habe später noch viele Beobachtungen gemacht, die darauf hinausgehen, daß Italien am Beginn einer religiösen Wandlung steht, gegen welche die politische des Augenblicks an Wichtigkeit für die Welt weit zurücktritt. Es hat sich in den gebildeten Schichten eine Energie des Hasses gegen die Priesterherrschaft aufgesammelt, und ich bin wiederholt einem Freimuthe der Aeußerung in konfessionellen Dingen und Glaubenssachen begegnet, gegen den wir in Deutschland weit zurückstehen.

Die Villa des Marchese d’Azeglio liegt auf der Höhe über Menaggio dicht neben der prachtvollen Villa Mylius, zu welcher eine halbe Stunde weit aufsteigend eine treffliche Kunststraße mit gewaltigen Steinbrücken über Abgründe und Gebirgsbäche hinaufführt, ein Geschenk, wie eine Inschrift auf einem Denkmale am Wege sagt, das der reiche Begründer des genannten großen Mailänder Handelshauses, der verstorbene Banquier Mylius, mit wahrhaft fürstlicher Großmuth den Gemeinden von Menaggio und den umgebenden Ortschaften gemacht hat. Der Marchese d’Azeglio war nicht anwesend. Er lebt jetzt meist auf seiner Villa bei Canero am Lago maggiore, und hat die hiesige Villa seiner Frau, von der er sich getrennt hat, überlassen.

Die Villa des großen Schriftstellers, der zugleich als Staatsmann, Dichter und Künstler sich auszeichnete, ist nur von bescheidenen Verhältnissen, im Vergleiche zu den andern Palästen der Reichen und Großen, welche die Ufer des Sees erfüllen, aber es interessirte mich, die Räume zu sehen, welche der frühere Ministerpräsident selbst mit seiner Hand ausgeschmückt hat. Es sind Illustrationen zu einem seiner beliebtesten historischen Romane „la Sfida di Barletta“, welche in Freskomalerei die Wände des Salons bedecken, und deren landschaftlicher Theil ein sehr bedeutendes Talent der Naturauffassung verräth. In der That hatte sich der junge Marchese bereits durch langjährige Studien in Rom einen bedeutenden Künstlerruf erworben, von dem mehrere seiner Arbeiten im Louvre zu Paris und im Schlosse zu Turin Zeugniß geben, ehe ihm seine beiden Romandichtungen „Ettore Fieramosca“ und „Nicolo de’ Lapi“ einen Rang nächst Manzoni erwarben. Als Publicist mit seinen Freunden Gioberti und Balbo wirkend und ihren Ruhm theilend durch seine Schrift „degli ultimi casi di Romagna“ (über die jüngsten Vorfälle in der Romagna) und durch viele andere Werke, wurde er seit 1846 die Seele der Reformen, mit welchen Pius IX., der ihn hoch schätzte und zu sich berief, die italienische Bewegung einleitete. Er vergoß an der Spitze seiner Legion sein Blut bei Vicenza für die Befreiung seines Vaterlandes und ward von Victor Emanuel bei seinem Regierungsantritte an die Spitze des Ministeriums gestellt, eine Stellung, die er nur nach langem Widerstreben annahm. Es ist etwas Antikes in solchen Persönlichkeiten, die den Künstler, Dichter und Schriftsteller mir dem Krieger und Staatsmann vereint aufzeigen; und antik erschien hier in seiner Villa auch die Sinnesart des Mannes, die sich in der allem und jedem Prunk abgewandten Einfachheit seines Wohnsitzes zeigte, dessen Hauptschmuck die herrliche Aussicht ist, die ich ohne Frage als die schönste über den See bezeichne.





Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst ausgeben zu wollen.

     Leipzig, im März 1862.

Ernst Keil.


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