Seite:Die Gartenlaube (1862) 200.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Kupferstiche, das bronzene Reliefbild Rahel’s von Tieck, die Büsten Mirabeau’s und Kant’s, letztere ein Geschenk von dem Bildhauer Rauch, bildeten den ganzen Zimmerschmuck. Trotz der grauen Wände und der altmodischen, fast dürftigen Möbel lag etwas Imposantes in dieser keineswegs gesuchten Einfachheit, besonders wenn man an die Geister der Männer und Frauen dachte, welche unsichtbar den Besucher dieser Räume umschwebten.

Während ich mich diesen Betrachtungen überließ, trat Varnhagen selbst aus einer Seitenthüre, ein rüstiger Sechziger von hoher Gestalt mit vollem grauem Haar, breiter Stirn, feiner, fast spitziger Nase und graublauen Augen, welche von einer goldenen Brille bedeckt wurden. Er war mit einem bequemen Hausrock bekleidet und trug den etwas kurzen Hals frei ohne Tuch. Mit freundlichem, gewinnendem Lächeln lud er mich zum Sitzen auf das ziemlich harte Sopha ein, während er selbst auf einem Holzstuhle Platz nahm. Bald befand ich mich mit ihm in dem interessantesten Gespräche, oder ich hörte vielmehr seinen Erörterungen mit unaussprechlichem Vergnügen zu. Er war in der That ein Meister der Unterhaltung, unerschöpflich in geistreichen Bemerkungen, Bonmots und pikanten Anekdoten, die er mit großem Geschicke einzuflechten wußte; dabei ohne alle Prätension und Coquetterie, von der selbst die bedeutendsten Männer nicht freizusprechen sind. In einem hohen Grade besaß Varnhagen die Kunst der geistreichen Franzosen, liebenswürdig und anmuthig zu plaudern, vorausgesetzt, daß er in guter Laune war. Um Stoff brauchte er nicht verlegen zu sein, glich er doch einer lebendigen Encyklopädie, einem biographischen Lexikon, nur mit dem Unterschiede, daß er fast immer nur Selbsterlebtes gab und statt dürrer Lebensgeschichten die interessantesten Charakterzüge zu erzählen wußte.

An kleinen pikanten, zuweilen auch lebhaften Nebenbemerkungen ließ er es nicht fehlen, während er die für mich interessantesten Erscheinungen der Kunst und Literatur, der Diplomatie und der Soldatenwelt aus dem Kreise seiner näheren Bekannten abbandelte. Welche ausgezeichnete Gallerie bedeutender Köpfe zeichnete er in der kurzen Zeit meines Verweilens mit Meisterhand in wenigen, aber sicheren Strichen! Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher, Chamisso, Heine etc. wurden von ihm eingehend und scharf charakterisirt, wobei es mir schien, als wenn er die beiden Ersteren trotz aller Freundschaft nicht eben mit Schonung behandelte. Im Laufe des Gespräches berichtete er aus dem Privatleben des großen Staatsmannes verschiedene Anekdoten, die allerdings den Begriffen einer gewöhnlichen Moral nicht vollkommen entsprachen und eine starke Hinneigung zu der nackten Kunstanschauung der Griechen bekundeten. Varnhagen selbst gab nicht undeutlich zu verstehen, daß ihn nur die Rücksicht auf den noch lebenden Alexander von Humboldt zurückhielten, ein anderes Bild zu veröffentlichen, als die frommen „Briefe an eine Freundin“ von ihrem berühmten Verfasser geben. Auch das Privatleben Schleiermacher’s und besonders das eheliche Verhältniß des bekannten Theologen veranlaßten ihn zu höchst überraschenden Aufschlüssen, und ich war nicht wenig erstaunt, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß Schleiermacher sogar ernstlich mit dem Gedanken umgegangen war, sich selbst das Leben zu nehmen, und nur durch die Dazwischenkunft seiner Freunde von diesem verzweifelten Entschlusse abgehalten wurde.

Nur ungern riß ich mich aus einer solch interessanten Unterhaltung los; um so willkommner war mir daher die Erlaubniß, bald wiederkehren zu dürfen, die ich auch bestens benutzte. Bei einem folgenden Besuche lernte ich auch Fräulein Ludmilla Assing, die Nichte Varnhagen’s kennen, die seit einigen Jahren in seinem Hause lebte und gleichsam die seit Rahel’s Tode erledigte Stelle der Wirthin übernommen hatte. Fräulein Assing besitzt eine zierliche Figur, vielen Geist und bei einem kalten Verstande ein warmes Herz für ihre Freunde und Begeisterung für alles Schöne. Sie schrieb damals für verschiedene Zeitschriften geistreiche Correspondenzartikel und malte mit großem Talent die Portraits ihrer zahlreichen Bekannten, mit denen sie die Wände ihres Zimmers schmückte. Die ansehnliche Sammlung dieser Zeichnungen von meist interessanten Persönlichkeiten wurde scherzhaft „die Gallerie männlicher und weiblicher Schönheiten“ genannt. Von ihr erhielt ich die Einladung zu einer jener Gesellschaften, welche freilich nur noch ein schwacher Nachhall früherer Zeiten waren, wenn man sie mit den Rahel’schen Kreisen verglich, aber immerhin einen großen Genuß gewährten. Aus Rücksicht auf die leidende Gesundheit Varnhagen’s versammelten sich die Gäste schon um fünf Uhr Nachmittags und gingen meist um acht Uhr Abends wieder fort. Die Bewirthung war einfach, es wurde Kaffee und Wein, Kuchen und dergleichen herumgereicht, im Sommer dann und wann noch Eis gegeben. Der Hauptreiz lag, wie sich das hier von selbst versteht, in der Unterhaltung und Begegnung ausgezeichneter Männer und Frauen. Unter den Ersteren zeichnete sich vor Allen der frühere Ministerpräsident General von Pfuel aus, der, trotzdem er das siebzigste Jahr bereits längst überschritten, eine seltene Jugendfrische zeigte. Es war eine Freude, den schönen Greis mit den langen silberweißen Haaren, den kräftigen gebräunten Zügen und den lebhaften Augen zu sehen, an seinen immer anregenden Unterhaltungen Theil zu nehmen.

Wie Varnhagen hatte auch Pfuel eine bedeutende Rolle in den Befreiungskriegen gespielt, im Geheimen und offen gegen die Franzosenherrschaft angekämpft, nach dem Siege der Verbündeten war er Commandant von Paris gewesen und hatte diesen schwierigen Posten mit ebenso großer Humanität als Energie verwaltet. Später wurde er zum Gouverneur von Neuschatel ernannt, wo er ebenfalls Gelegenheit fand, seinen Muth und seine Klugheit zu bewähren und selbst die Achtung seiner politischen Gegner zu erzwingen. In den verhängnisvollen Märztagen wurde er mit demselben Posten für Berlin betraut, und vielleicht wäre es seiner damals bewiesenen Mäßigung gelungen, die nachfolgenden Ereignisse zu verhindern, wenn nicht andere Gewalten sich eingemischt hätten. Zum Ministerpräsidenten berufen, wich er nach kurzer Zeit den vereinten Stürmen einer zügellosen Straßendemokratie und der ihn anfeindenden Reaction. Zu allen Zeiten stand Pfuel auf Seiten des liberalen Fortschrittes und einer gesetzmäßigen Freiheit; er gehörte zu jener militärischen Schule, die, wie Gneisenau, Rühle, von Lilienstern, durch Kenntnisse und Bildung hervorragten und fern von jedem Standesvorurtheile waren. Das preußische Heer verdankt ihm seine ausgezeichneten Schwimmschulen, und noch heute ist der fast achtzigjährige General einer der rüstigsten und tüchtigsten Schwimmer. Außerdem hat er sich bis in das späteste Alter die lebendigste Theilnahme für alle bedeutenden Erscheinungen in der Literatur, Kunst und Wissenschaft bewahrt, wobei er einen gewissen Hang für die mystischen Seiten der Natur, Magnetismus, Od etc. zeigt, vielleicht ein Nachklang der Romantik, welcher er in seiner Jugend huldigte. Er war der intimste Freund des unglücklichen Heinrich von Kleist und vermag manchen interessanten Aufschluß über das innere Leben des berühmten Dichters zu geben.

Außer dem Genannten gehörte noch der Geschichtsschreiber der „deutschen Höfe“, Herr Vehse, dem Varnhagenschen Kreise an, ausgezeichnet durch seine Gutmüthigkeit und Indiskretion, die sich nicht nur auf historische Mittheilungen beschränkte, unerschöpflich in kleinen pikanten Anekdoten und von einer ebenso komischen, als liebenswürdigen Naivetät, so daß man ihm, selbst wenn er wider Willen auch hier und da verletzte, nicht ernstlich zürnen konnte. Bedeutender war der seitdem verstorbene Professor Dirichlot, berühmt als großer Mathematiker, und seine Gattin, eine nahe Verwandte von Felix Mendelssohn. Auch der talentvolle Schriftsteller Herr von Sternberg war trotz seiner Sonderbarkeiten ein gern gesehener Gast, nicht minder wie der ausgezeichnete Orientalist Doctor Zunz voll scharfen Geistes. Unter den jüngeren Gästen bemerkte man Hermann Grimm, Gottfried Keller, den schweigsamen, aber hochbegabten Verfasser des „grünen Heinrich“, einen geborenen Schweizer, Rudolph Gottschall und den liebenswürdigen Fedor Wehl. Dazu kamen eine Zahl ausgezeichneter, durch Geist und Liebenswürdigkeit hervorragender Frauen und jüngerer Mädchen, Fräulein Solmar, die vertraute Freundin Varnhagen’s, Frau v. Treskow und ihre Tochter, die sich mit Glück als Dichterin bereits versucht. Die Mutter, eine gepriesene Schönheit ihrer Zeit, gehörte noch dem Rahel’schen Kreise an und stand mit den bedeutendsten Männern in Verbindung. Durch liebenswürdige Originalität glänzte die Gräfin Clotilde von Kalkreuth, früher mit der Gräfin Ida Hahn-Hahn innig befreundet, deren religiösen und aristokratischen Fanatismus sie jedoch keineswegs theilt, indem sie sich in jeder Beziehung eine seltene Unabhängigkeit des Urtheils und des Lebens zu bewahren weiß.

Nicht minder bedeutend war die Erscheinung der Tochter Bettina’s, Gisella von Arnim, bekannt als Dichterin reizender Märchen und interessanter Dramen, so wie der höchst talentvollen Bildhauerin, Fräulein Rey. Manche Lücke hat seitdem der unerbittliche Tod in dem Varnhagen’schen Kreise gerissen; unter den Geschiedenen nenne ich vor Allen die Gräfin Ahlefeldt, die Gattin des Anführers der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_200.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2020)