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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

doch die Sehnsucht nach Deutschland in jedem Pulsschlag, in jedem Zucken der Nerven. Außer seiner Familie hatte er fast keinen Umgang, als mit Karl Heintzen, dessen hervorstechendste Eigenschaft eben nicht in persönlicher Liebenswürdigkeit besteht. Einen Lichtpunkt in dem damaligen Leben Freiligrath’s bildete folgendes Ereigniß: Der Dichter, welcher schon im Jahre 1832 in einer Menge reizender Schöpfungen: „Amphitrite“, „Meerfabel“ etc. den Ocean und das Schiffstreiben so prächtig schilderte, hatte doch, außer im Elbhafen in Hamburg, weder Eines noch das Andere je gesehen. Ein Ausflug nach einer der nahen Seestädte, ich glaube nach Amsterdam, sollte ihm Gelegenheit geben, das, was er „mit seines Geistes Augen“ so oft gesehen, auch in Wirklichkeit kennen zu lernen. Der Adler, ein prachtvoller, nach Canton bestimmter, neuer Dreimaster, lag vor Anker, und gern wurde Freiligrath und dem ihn begleitenden Freunde die Erlaubniß ertheilt, das Schiff zu besehen. Der Oberbootsmann, ein wettergebräunter alter Seemann, machte den Führer. An der Capitains-Cajüte entschuldigte er sich, die fremden Herren nicht in diese Räume einführen zu können, da der Capitain eben Gäste bei sich bewirthe. Gesprächsweise wurde noch erwähnt, daß derselbe schon zwei Mal die Reise um die Welt gemacht habe. In dem Augenblick öffnet sich die Thüre, und man erblickt eine fröhliche Gesellschaft von eleganten Herren und Damen, die eben im Begriff ist, ein nichts weniger als frugales Diner zu beenden, wie eine reichliche Anzahl leerer Flaschen zur Genüge bekundet. Der blonde Dichter entschuldigt sich, seiner Neugierde, das prachtvolle Schiff zu bewundern, ohne Erlaubniß des Capitains gefolgt zu sein. Dieser, ein vollendeter Weltmann, nöthigt die Herren, in seine Gemächer einzutreten, zeigt ihnen seine elegante Waffenkammer, sein Arbeitszimmer, Alles auf’s Netteste und Comfortabelste eingerichtet. Letzteres ziert auch eine kleine, aber sehr gewählte Büchersammlung, in welcher die Prachtausgabe von Freiligrath’s Poesien obenan steht.

„Freut es Dich nicht, daß Deine Gedichte jetzt die Reise nach Canton mitmachen?“ frug der Begleiter Freiligrath’s seinen Freund.

„Wie so?“ wirft der Capitain dazwischen.

„Der Herr ist Freiligrath.“

„Freiligrath? Der Dichter Freiligrath?“ ruft der Seemann stürmisch aus.

Auf die Bejahung der Frage stürzt er zum Sprachrohr: „Flaggen auf! Alle Mann an Bord! Champagner herauf! – Gott segne Sie, Sie haben mir manchen heißen Tag auf dem weiten Ocean verkürzt, manche frohe, begeisterte Stunde geschaffen!“ Er drückte den erschütterten Dichter bewegt an die Brust, und die Gläser mit dem inzwischen angekommenen schäumenden Rebensaft füllend, spricht er mit weicher Stimme: „Meine Herren und Damen, Sie auf dem Festlande haben keine Ahnung, welch’ treuer Begleiter der wahre deutsche Dichter dem einsamen Seefahrer in fernen Welttheilen ist, was dieser ihm zu danken hat! Ein Zufall, den ich segne, bringt der besten einen an meinen Tisch! Meine Herren und Damen, ich nehme das als eine frohe Vorbedeutung für meine morgige Reise an! Erheben Sie die Gläser, der Dichter Freiligrath, er lebe hoch!“

Lautlos, nur durch eine mühsam zurückgedrängte Freudenthräne konnte der arme Dichter, der in diesem Augenblick mit keinem Fürsten der Erde getauscht hätte, den stürmischen Jubelruf der Anwesenden erwidern.

Bei seiner Entfernung standen ehrfurchtsvoll in zwei Reihen und in Festkleidern „Alle Mann an Bord“, alle Flaggen waren aufgezogen, das Schiff lag im festlichsten Schmucke da, als ob der König es mit seinem Besuche beehrt hätte.

Das war der schönste Tag im Leben eines deutschen Dichters! –

Eine ganz andere Natur, als der durch und durch poetische Freiligrath, war der vollständig materielle Saphir. Seine Hauptforce bestand darin, daß er irgend ein beliebiges Wort in allen Spielarten tanzen ließ, wie einen Kreisel. Deshalb haben sich verhältnißmäßig wenig seiner zahllosen Witze erhalten, weil sie der Augenblick, der sie gebar, auch schon verschlang. Ich unternahm einst mit ihm, aus Gefälligkeit, eine Reise von Lemberg nach Brody, um ihn in seinen dortigen Akademien zu unterstützen.

Brody ist eine sogenannte Freistadt, ein schmutziges Nest, an der russischen und zugleich äußersten Grenze deutscher Cultur, hat aber eine starke Bevölkerung, die lebhaften Handel treibt und besonders im Schmuggel starke Geschäfte macht. Unter den 22,000 Einwohnern befinden sich 20,000 Juden, alle gekleidet in ihre langen talarartigen Nationalcostüme, die Männer von den Weibern fast nur dadurch zu unterscheiden, daß letztere den Kopf mit zahlreichen Goldstücken verzieren, wodurch sie, nach Saphir’s Behauptung, schlechtem Spargel glichen, an welchem auch der Kopf das einzige Genießbare wäre. Die Brodyer Juden sind, im Gegensatz zu ihren Stammesgenossen, tapfer, brechen manchmal auf kleinen polnischen Pferden, die Schmuggelwaare auf beiden Seiten vor sich herabhängend, weshalb sie „Päckler“ heißen, in geschlossenen Colonnen über die Grenze, und liefern in den seltenen Fällen, wo Bestechung nicht ausreicht oder zu viel gefordert wird, den Grenzaufsehern vollständige kleine Bataillen.

Es macht auf den Fremden einen überaus komischen Eindruck, wenn er unter der Masse der mit langen schwarzen Locken verzierten und in dunkle Talars gehüllten Gestalten sich vergebens nach einem Menschen in deutscher Tracht umsieht. Am Morgen nach unserer Ankunft in Brody hörte ich unter meinem Fenster in den wohlbekannten Nasentönen Saphir’s meinen Namen rufen. Ich erblickte auf der Straße Saphir, umgeben von einem zahllosen Schwarm polnischer Juden, die seine dortige Leibgarde bildeten, auf jedes Wort des berühmtesten „von ihre Leut’“ lauerten, und den blühenden Unsinn, den er reichlich zum Besten gab, für baare Münze nahmen.

„Wallner, kommen Sie herab.“

„Was soll ich denn?“ entgegnete ich verdrießlich.

„Wir wollen spazieren gehen, die Stadt ansehen.“

„Was ist denn in dem schmutzigen Neste zu sehen?“

„Kommen Sie nur, ich habe noch eine prächtige Idee.“

„Welche?“

Wir wollen einen Christen suchen.“

Am Vorabend vor seinem ersten Auftreten hatten sich die Honoratioren der Stadt in unserem Hotel überaus zahlreich versammelt, vielleicht in der Hoffnung, einige unentgeltliche Witzbrocken des berühmten Mannes aufzuschnappen. Eine lange Tafel vereinigte Alles zum gemeinschaftlichen Abendessen, nach welchem starker Thee mit Rum servirt wurde. Als ich und Saphir ein zweites Glas dieses hitzigen Getränkes ablehnten, meinte einer der Anwesenden, der am Tische präsidirte, daß wir jetzt in Rußland wären und uns den Landesgebräuchen fügen müßten. Es gäbe in Rußland Männer, die zehn, zwölf Gläser Tschai tränken, und dann ganz ruhig darauf schliefen.

„Was mögen die für Nerven haben!“ erwiderte ich.

„Ah,“ sagte Saphir, „die Russen haben keine Nerven, die haben 20,000 kleine Knutchen im Leibe.“

Plötzlich erhob sich der Mann am Ende der Tafel und rief Saphir zu: „Ich danke Ihnen, Herr Doctor, im Namen meiner Landsleute, ich bin der hiesige russische Consul.“

„Da bedaure ich meine Aeußerung von ganzem Herzen,“ entgegnete Saphir mit dem größten Ernst, „wenn ich vorher gewußt hätte, daß Sie der russische Consul sind, so würde ich das, was ich eben gesagt, mir wahrscheinlich nur gedacht haben.“

Die Vorlesung Saphir’s in dem trotz der enormen Preise gedrängt vollen Saale gab ein Genrebild der sonderbarsten Art.

Bei jedem schlagenden Witzwort erscholl statt des erwarteten Beifalls ein einstimmiges Zischen, so daß der verwöhnte Saphir endlich bei einer ähnlichen Aeußerung, die genau die Form des in Deutschland üblichen Mißfallensvotums hatte, inne hielt und frug, womit er sich den Unwillen des Publicums zugezogen, er sei in dem Falle lieber bereit, die Vorlesung zu schließen und das Geld zurück zu stellen,[1] als sich mißhandeln zu lassen.

Wer stellt sich unser Erstaunen vor, als man ihn in Kenntniß setzt, daß diese Zischlaute der höchste Grad Brody’scher Ehrenbezeigungen seien und ungefähr so viel heißen sollen als:

„Scht – scht – welch’ ein Mann!“

„Scht – scht – welch’ ein Kopf!“

Der Beifallsausbruch des Klatschens war dort ganz unbekannt, und so begnügte sich Saphir mit der reichen Rubel- und Ducatenernte und mit wohlwollendem Zischen.

Bei der wahrhaft orientalischen Gastfreundschaft, mit der Saphir’s Haus zahllosen Tischgenossen stets geöffnet war, ist seine fortwährende peinliche Geldverlegenheit leicht begreiflich. So gefürchtet er sich mit seiner spitzigen Feder machen konnte, so gutmüthig und gefällig war er im Leben, die Bezeichnung „eine


  1. Es würde ihm dies sehr schwer gefallen sein, der größte Theil der Einnahme befand sich bereits auf dem Wege nach Wien.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_203.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)