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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Vereinigte Staaten Hundepost auf den nordamerikanischen Seen.
Nach der Natur aufgenommen von Fred. Kurz.

Ein kleiner Vorrath von trockenen Lebensmitteln, das Gewehr mit der nöthigen Munition und die Axt bilden die ganze Ausrüstung des Postläufers, welche ihren Platz auf dem Schlitten neben dem Briefsacke findet – der Weiße, welcher sich dem Geschäfte unterzieht, trägt wohl außerdem einen Taschencompaß bei sich – die Hunde haben eine derbe Mahlzeit von rohem Fleische erhalten, und so treten die beiden Männer, nur zum Nöthigsten gegen die Kälte verwahrt, ihren oft 200 engl. Meilen langen Marsch über das Eis des Sees an. –

Unbewölkt spannt sich der Himmel über die endlose weiße Fläche, die Hunde traben mit ihrer nachgezogenen Last lustig über den zu einer harten Kruste gefrorenen Schnee, drei Tage sind die Reisenden bereits unterwegs und haben sich bis jetzt immer soweit in der Nähe des Ufers gehalten, als es das durch frühere Stürme gebrochene und zu ganzen Klippenbergen über einander geschobene Eis gestattet; die Nächte sind im Schutze eines Fichtengebüsches, auf einer dicken Lage abgehauener junger Nadeläste zwischen zwei nachhaltigen Feuern verbracht worden; jetzt aber trennt sie eine weite, tief in’s Land gehende Bai vom Ufer, und sie bedürfen eines vollen Tagemarsches, um die erste wieder herantretende Landspitze zu erreichen. Der Weiße zieht seinen Compaß, um die genaue Richtung aufzunehmen, und nach einer Stunde umgiebt sie nichts, als die ebene unabsehbare Eisfläche und der helle Himmel, welchen der Indianer jetzt mit zusammengezogenen Augenbrauen zu mustern beginnt. Es liegt etwas in der Luft und in der Färbung des Horizonts, das ihm nicht gefällt. „Müssen große Schritte machen, wenn wir auf geradem Wege bleiben sollen!“ sagt er nach einer Weile der Beobachtung. – „So halten wir uns dazu, soviel wir können!“ erwidert der Andere nach einem halben Kopfschütteln; er kann nirgends ein übeles Zeichen für eine Aenderung des Wetters entdecken, aber er kennt seinen Mann, und schweigend, mit erweiterten Schritten geht die Reise weiter.

Am Mittage hat sich das helle Blau des Himmels in ein fahles Grau verwandelt, in welchem die Sonne wie von einem dicken Nebel umzogen steht; der Indianer geht jetzt mit beschleunigten Schritten vor dem Kopfe des ersten Hundes, der dicht an seinen Fersen bleibt, und läßt das besorgte Auge nicht von dem sich mehr und mehr verdüsternden Horizonte; der Weiße hinter ihm zieht alle Viertelstunden seinen Compaß zu Rathe, aber die Richtung des Voraneilenden ist so wandellos schnurgerade, wie die des abgeschossenen Pfeils. Eine neue Stunde ist vergangen, und von der Sonne ist nichts mehr zu entdecken; ein leiser, kaum bemerkbarer Luftzug hat sich erhoben, und plötzlich bleibt der Indianer stehen, seinem Gefährten die Hand hinstreckend – eine feine Schneeflocke sitzt darauf. Mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken nimmt er seinen Weg wieder auf und verfällt bald in einen eigenthümlichen, den Indianern eigenen Trab, die Hunde folgen so willig, als sage ihnen bereits der Instinct das Kommende, und der Weiße beschleunigt seinen Gang in gleicher Weise; Beide wissen jetzt, was ihnen bevorsteht, aber kein Wort fällt weiter darüber.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_229.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)