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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wachsen zu machen. Vergebliche Mühe! Was als Larve nicht groß wurde, wird als vollendetes Insect den Mangel nicht nachholen.

Doch kehren wir zu unsern Schmetterlingen zurück. Sobald die Raupe das Endziel ihres Wachsthums erreicht hat, verwandelt sie sich in eine Puppe. Sie schließt sich von der Außenwelt ab; in einen festeren Panzer gehüllt, nimmt sie keine Spur von Nahrung und communicirt mit der Außenwelt nur durch ihre Athmung, die, wenn gleich in vermindertem Maße, während des ganzen Puppenzustandes fortgesetzt wird. So bleibt die Puppe oft während langer Zeit; aber während sie nach außen unveränderlich erscheint, arbeitet im Inneren die bildende Thätigkeit auf Kosten des Materials, welches die Larve aufspeicherte. Nun werden alle Organe, deren das vollkommene Insect bedarf, so angelegt und ausgebildet, daß es nur ihrer Entfaltung beim Auskriechen aus der Puppe bedarf, um sie in Thätigkeit zu versetzen. Nach längerer oder kürzerer Dauer dieses Zustandes sprengt auch in der That das vollkommene Insect die Puppenhülle und tritt aus derselben zur Fortpflanzung des Geschlechtes gerüstet hervor.

Alle Insecten, welche als Larven aus dem Ei hervorkommen und einen ruhenden Puppenzustand durchlaufen, nennen wir Insect mit vollkommener Verwandlung.

Nehmen wir für die andere große Reihe der Insecten als Beispiel eine Heuschrecke. Auch hier legt das vollkommene Insect ein Ei, und aus diesem Ei schlüpft ein Geschöpf, das mehr oder minder entfernte Aehnlichkeit mit dem vollkommenen Insecte hat, gewöhnlich indessen eine weit größere Aehnlichkeit, als bei der vorigen Reihe. Dies ist die Larve, die ebenfalls eine bedeutende Gefräßigkeit entwickelt, schnell wächst, sich mehrmals häutet. Bei jeder Häutung aber wird sie dem vollkommenen Insecte ähnlicher, indem namentlich ihre Flügel sich nach und nach entwickeln. Anfangs zeigt sich keine Spur derselben, bei der nächsten Häutung erscheinen stummelförmige Ansätze, die bei der nächsten größer werden und bei der letzten endlich als vollkommene Flügel hervortreten. Fast möchte man diese Wandlungen mit denjenigen in der Bekleidung der eidgenössischen Armee vergleichen, und gewiß, wenn Disteli, der geistreiche Carricaturenzeichner, noch lebte, so würde er wohl nicht verfehlt haben, in einigen neuen Blättern zu seinem „Leben eines Heuschreck“ diese Wandlungen bildlich darzustellen. Aermelweste, Frack oder Schwalbenschwanz und Waffenrock wiederholen etwa in der stufenweisen Entwickelung der Schöße die Entwickelung der Flügel des Heuschrecks. Während dieser ganzen Entwickelungszeit aber frißt das Thier beständig, spinnt sich niemals in einen ruhenden Zustand ein, sondern geht nur durch mehrfache Häutungen dem endlichen vollkommenen Zustande entgegen.

Wir nennen alle Insecten, welche sich in dieser Weise entwickeln, Insecten mit unvollkommener Verwandlung.

Combinirt man die Charaktere, welche aus den drei Grundzügen der Organisation der Insecten, aus der Zahl und dem Bau der Flügel, aus der Anordnung der Mundtheile und der Art der Verwandlung, hervorgehen, so hält es leicht, eine Art Schlüssel zu construiren, aus welchem man mit wenigem Untersuchen und Nachdenken sogleich die Ordnung herleiten kann, zu welcher ein Inseet, das man antrifft, gehört. Dies ist aber ohne Zweifel schon ein großer Gewinn für denjenigen, welcher, ohne tiefer eingehende naturgeschichtliche Kenntnisse zu besitzen, dennoch die Feinde kennen lernen möchte, welche ihm schädlich werden. Ich füge eine solche Tabelle hier bei, die wenigstens dazu dienen wird, die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt zu leiten.


Verwandlung. Mundwerkzeuge. Flügel. Namen.
Zahl. Beschaffenheit.
Vollkommen. Kauend. Vier. Vordderflügel hornige, steife Decken – Hinterflügel häutig, doppelt zusammengelegt. Käfer.
Vollkommen. Kauend mit einer rüsselförmigen Zunge. Vier. Häutig, mit wenigen Adern. Hautflügler. Hymenoptera.
Vollkommen. Kauend. Vier. Häutig, netzförmig gegittert. Netzflügler. Neuroptera.
Vollkommen. Saugend – weicher Rüssel aus zwei seitlichen Hälften zusammengesetzt und aufgerollt. Vier. Mit farbigem Staube bedeckt. Schmetterlinge. Lepidoptera.
Vollkommen. Saugend – weicher Rüssel aus einem Stücke. Zwei Häutig, geädert. Zweiflügler. Diptera.
Unvollkommen Kauend. Vier. Vorderflügel häutig – Hinterflügel fächerartig zusammengelegt. Geradflügler. Orthoptera.
Unvollkommen Saugend – gegliederter Stechschnabel. Vier. Vorderflügel meist halbhornig; Hinterflügel gegittert. Halbflügler. Hemiptera.

Sehen wir uns nun nach den verschiedenen Zuständen der Insecten etwas näher um.

Was zunächst die Eier betrifft, so giebt es wohl nirgend, in keiner Classe des Thierreichs, so außerordentlich viele Gestalten und mannigfaltige Abänderungen der inneren Organisation, als gerade in den Eiern der Insecten. Von der vollkommensten Kugelform durch alle Eigestalten hindurch bis zum langgestreckten Cylinder, von der Linsengestalt bis zu derjenigen einer Tonne oder Birne, findet man wohl alle Gestalten, die der auf die Spitze getriebene Formensinn ausklügeln könnte, und selbst damit begnügt sich die Natur nicht. Dort schwankt das Ei auf einem unendlich langen dünnen Stiele, mittelst dessen es wie ein feiner Pilzauswuchs an die Oberfläche des Blattes geklebt ist; hier hängt es an einem langen dünnen Faden, dessen elastisches Ende einen förmlichen Knoten schlingen kann; dort zeigen sich Hörner oder flügelartige Verlängerungen, mittelst deren das Ei im flüssigen Elemente sich an der Oberfläche hält. Wer kennt nicht die ekelhaften Maden, welche in Abtritten und Dunglöchern Umherkriechen und mittelst der wurmförmigen Zusammenziehung ihres Körpers und peitschenförmigen Schwanzes an rauhen Oberflächen sogar in die Höhe zu kriechen wissen? Sie schlüpfen aus den Eiern der Dungfliege, die mit großen breiten Flügeln versehen sind, welche das Einsinken des Eies in der übelriechenden Jauche verhindern. Aehnliche und schmäler lanzettartig gestaltete Flügel besitzt das Ei der Essigfliege, welches auf die gährende Maische gelegt wird. Wunderbar sind ferner an dem Ei der Insecten die mannigfaltigen Sculpturen der äußeren Eihaut, zwischen denen sich Poren befinden, welche theils zum Luftwechsel, theils auch zum Durchgange der befruchtenden Samenfäden bestimmt sind.

Häufig werden die Eier einzeln gelegt und noch obenein an verborgene Orte in die Erde, in Risse und Furchen der Rinden, selbst in das Innere des Pflanzengewebes oder in andere Thiere, auf deren Kosten die auskriechenden Larven sich nähren sollen. Gewöhnlich sind auch die Eier sehr klein, wie sich dies bei der kleinen Statur der Insecten und der Menge von Eiern nicht anders erwarten läßt, und ihre Farbe entspricht meistens den Gegenständen, auf welchen sie angeheftet werden. Denn selten nur ist die Farbe der Eier weißlich oder graulich; häufig ist der Dotter gelb, grün, roth, braun oder selbst schwarz, so daß es meistens sehr schwer hält, die Eier aufzufinden und zu zerstören.

Freilich erleichtern viele Insecten dies indem sie die Eier haufenweise zusammenlegen und oft noch durch besonderen Leim zu einem Ganzen verkitten oder durch andere Bedeckungen auffällig machen. Das einzelne, grünlichgrau gefärbte Ei des Ringelspinners (Bombyx neustria), das vollkommen die Farbe der Zweige hat, an die es angesetzt wird, wäre gewiß äußerst schwierig zu finden; da aber das Weibchen einige hundert Eier in solcher Weise um den Zweig legt und zusammenverkittet, daß sie einen förmlichen festen Ring wie ein Armband um denselben bilden, so kann man die Ringe mit leichtester Mühe auf den Zwergbäumen sehen, sobald dieselben entblättert sind, sie absprengen und zerstören. Ebenso dürfte es schwer sein, ein einzelnes Ei des Goldafters (Bombyx chrysorrhoea) zu finden; da aber der Schmetterling sich selbst die goldrothen Haare, die seinen Hinterleib schmücken, ausreißt und damit seinen auf die Unterfläche der Blätter geklebten Eierhaufen so überzieht, daß derselbe einem zolllangen Zunderschwamme nicht unähnlich sieht, so wird auch hier die Auffindung und Zerstörung leicht. Ebenso weiß man, daß die in den Rindenrissen der Nadelholzbäume abgelegten Eier der Nonne sogar so häufig sind, daß sie scheffelweise gesammelt werden können.

(Schluß folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_232.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)