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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

versucht es mit Jedem, schon bei Manchem ist es gelungen, wenn gleich Viele wieder gehen.

Neben denen, die ganz zu der Gemeinschaft gehören und in die Haupt- oder eine der Zweiganstalten eintreten, giebt es noch solche, die in ihrem häuslichen Kreise und Berufe bleiben, aber die Zwecke des Vereines nach Kräften befördern, namentlich durch regelmäßige Geldbeiträge; außerdem haften beiderlei Mitglieder neben dem Vermögen der Gesammtheit noch persönlich für Anlehen, welche die Gemeinschaft aufnimmt. Einen weitern Kreis, „Verein zu gegenseitiger Hülfeleistung“, bilden solche, welche einen jährlichen Beitrag von mindestens 5 Gulden als unverzinsliches Darlehen geben. Der Geist, der durch diese Familie, resp. ihre einzelnen Kreise weht, ist kein finsterer, kopfhängerischer, wie vielleicht Mancher als mit der Frömmigkeit nothwendig verbunden meint; der Unterricht ist ein allseitiger, und neben dem Worte Gottes werden Geschichte, Erdbeschreibung etc. gelehrt. Spiele und Spaziergänge finden häufig statt; die erwachsene Jugend bildet in Reutlingen einen Turnverein und eine Abtheilung der Feuerwehr.

Werner selbst ist eine hohe, kräftige Gestalt, mit freundlich ernstem Gesichtsausdruck; seine Vorträge sind, wenn auch mannigfach in alttestamentlicher Redeweise sich bewegend, ansprechend und in Verbindung mit seiner Persönlichkeit, wie der Erfolg es zeigt, ergreifend. Es sind nicht blos Arme und Verlassene, die sonst keinen Platz in der Welt hatten, die in das Bruderhaus sich flüchteten; der Verfasser kennt mehrere Männer, welche ein blühendes Geschäft, Ansehen und Stellung hatten, die mit Weib und Kind nach Reutlingen übersiedelten und jetzt zu den tüchtigsten Mitarbeitern Werner’s zählen; noch kürzlich hat ein württembergischer Gerichtsactuar sein Amt aufgegeben, um als Anwalt in die Gemeinschaft zu treten, die allerdings für die mannigfachen Beziehungen, in denen sie zu der Welt um sie her steht, einen Rechtsverständigen gut brauchen kann.

Der Verkehr zwischen den verschiedenen zerstreuten Anstalten geschieht theils durch die schon erwähnten Sendbriefe und die Versammlungen der Aeltesten; hauptsächlich aber wird er lebendig erhalten durch die Besuche, die Werner von Zeit zu Zeit macht, und die Vorträge, die er dabei hält. Seinen Namen „Reiseprediger“ verdient er vollkommen, er leistet Erstaunliches: vier bis fünf Vorträge an einem Tage, an verschiedenen Orten, die meist drei bis vier Stunden von einander entfernt liegen, ist für ihn nichts Seltenes; das Bedürfniß des Schlafes kennt er in geringem Maße, auch ist er ein gewaltiger Fußgänger.

Alle Jahre an Pfingsten wird eine Hauptversammlung aller Glieder gehalten. Die räumliche Verbreitung der engeren und weiteren Gemeinschaft erstreckt sich über Württemberg und einen Theil der deutschen Schweiz; eine besondere kirchliche Seele bildet sie nicht; sie steht innerhalb der Landeskirche, wenn sie gleich von der evangelischen Freiheit Gebrauch macht und ihr Christenthum auf ihre eigene Weise bethätigt.

Die Schwierigkeiten und Mängel einer solchen Gemeinschaft lassen sich natürlich nicht verkennen; sie sind da, wie in der Familie jedes Einzelnen, auch des Trefflichsten, natürlich nur in vergrößertem und erhöhtem Maßstabe, da es nicht blos viele, sondern zum Theil verwahrloste Kinder sind. Die Stellung der einzelnen Familien in der Familie sodann dürfte einer der schwierigsten Punkte sein; sie haben zwar eigene Wohngelasse für sich und die Kinder, der übrige Haushalt aber ist gemeinsam, in Reutlingen speisen z. B. sämmtliche Erwachsene, ledige und verheirathete, aus einer Küche in einem Saale, die Kinder desgleichen. Ob hierin nicht Widersprüche liegen, in wie weit überschüssige Kraft und Liebe über die eigene Familie hinaus für die Gemeinschaft noch übrig bleibt, kann zweifelhaft werden. Die Opferfähigkeit des Weibes, die Werner ganz richtig als ein Hauptmittel für sein gemeinnütziges Wirken erkannte, findet in der Liebe zu Mann und Kindern ihre naturgemäße Befriedigung. Werner kann, wenn er es sich auch nicht eingesteht, das Heirathen unter den Gliedern seiner Gemeinschaft nicht begünstigen, da sie dann jedenfalls nicht mehr ganz mit allen ihren Kräften derselben gehören, während gerade in der Gemeinschaft die Lust zu Ehebündnissen Anlaß findet.

Die Ordnung der Vermögensverhältnisse des Vereines wird gleichfalls noch manche Schwierigkeit zu überwinden haben; ob die ganze Schöpfung ihren Gründer überleben wird, ist noch die Frage, zur Zeit jedoch eine müßige, da Werner noch in guten Jahren einer trefflichen Gesundheit sich erfreut. Ein Züricher Pfarrer schließt seine Schilderung von Werner’s Wirken mit folgendem Urtheile, dem Jeder, er mag auf einem Standpunkte stehen, auf welchem er will, beistimmen kann: „Sicherlich läßt sich an dem Wirken Werner’s Vieles tadeln und aussetzen. Der Grundgedanke aber, daß es Viele giebt und Mehrere, als man oft meint, welche Beruf, Trieb und Fähigkeit haben, sich nur dadurch recht zu leben, daß sie ganz für die hilfsbedürftigen Nächsten leben und sich aufopfern, der ist ewig wahr; und daß immer diejenigen wieder aufstehen, die diesen Gedanken verwirklichen, das ist ein ehrendes Zeugniß für die Gottbegabung der menschlichen Natur. Bei aller menschlichen Unvollkommenheit ist das Wirken Werner’s ein solch köstliches Zeugniß für der Menschheit göttliche Würde, und Er – ein großer Mann, Einer der Edelsten und Tüchtigsten unseres Jahrhunderts!

Geschrieben soll Vorstehendes sein nicht zu persönlichem Ruhme des Mannes, den er selber am wenigsten begehrt, wohl aber als eine Mahnung an Jeden, in seinem Kreise und nach seinen Kräften das Gleiche zu thun, – es kann in der verschiedensten Weise geschehen, – zu sorgen, daß es nicht blos ihm selbst und den Seinen, sondern auch dem Nächsten wirklich und wahrhaftig wohlergehe auf Erden. Kommt aber Einer oder Eine der geneigten Leser und Leserinnen einmal ins Schwabenland, so mögen sie einen Besuch im Bruderhause zu Reutlingen nicht versäumen; wirkliche Theilnahme findet jederzeit eine freundliche Ausnahme.




Blätter und Blüthen.



Schnellklärung trüber Flüssigkeiten. Klarheit ist für fast alle Flüssigkeiten, mögen sie zum Genuß oder für technische Zwecke bestimmt sein, ein nothwendiges Erforderniß. Man bietet deshalb Alles auf, dieselben in möglichster Reinheit darzustellen, und sucht solche, wenn durch natürliche Ablagerung die Beseitigung des Trüben nicht erreicht oder zu lange Zeit dazu erfordert wird, durch mechanische Abscheidung oder durch chemisch wirkende Mittel zu erzielen. Gewohnheit und Bequemlichkeit haben bisher die Anwendung des chemischen Klärverfahrens bevorzugt, obgleich dasselbe zum Nachtheil des Gehaltes der Getränke geübt wird und in gar vielen Fällen unzulänglich erscheint, während die erstere Methode, wie dies die Arbeiten in den chemischen Laboratorien und die Natur im selbst geläuterten Quellwasser beweisen, richtiger, billiger, rascher und sicherer ist.

Man klärt oder schönt z. B. Wein, Bier, Cider, Essig etc. mit Hausenblase, Eiweiß, Blut und andern Substanzen, welche eine Verbindung mit dem in den Flüssigkeiten enthaltenen Gerbestoff eingehen, als solche eine Gallerte bilden und so die trübenden Theile niederschlagen. Der Gerbestoff, welcher in der Klärungsverbindung (der sogenannten Schönung) mit fortgenommen wird, ist aber ein sehr nothwendiger Bestandtheil für jene Getränke, als Bedingniß ihrer Haltbarkeit und Vervollkommnung ihres Wohlgeschmacks. Seine Verminderung kann daher nur von Nachtheil sein, aus welchem Grunde auch z. B. alte, erfahrene Weinküfer nur ungern an’s Schönen der Weine gehen, indem sie behaupten, „mit jeder Schönung würde dem Wein ein Kleid ausgezogen“. Oftmals erweist sich die chemische Klärung ganz wirkungslos, weil entweder zu wenig oder zu viel des Stoffes, der sich mit der Schönung verbinden muß, in der Flüssigkeit enthalten ist, oder weil noch andere Stoffe eine Gegenwirkung ausüben. Nur lange Praxis giebt in ersteren Fällen an, was man zuzusetzen oder vorher auf andere Weise zu vermindern hat; in letzterem Falle ist vielfach die älteste Erfahrung am Ende.

Solchen Nachtheilen und Uebelständen gegenüber ist es daher von hoher Wichtigkeit, daß man in der Neuzeit auch auf diesem Gebiete Verbesserungen angestrebt hat. Die Benutzung der plastischen Kohle und die Mitanwendung der Luftpumpe bei der Filtration waren anerkennenswerte Versuche, wenn auch beide Methoden, weil sie mangelhaft und unzulänglich sind, in der Praxis kaum weitere Anwendung finden können. Ein größerer Fortschritt von bedeutenderer Tragweite ist neuerdings durch die Auffindung und Zubereitung eines fast für alle Flüssigkeiten anzuwendenden mechanischen Klärmittels und durch Darstellung der dazu nöthigen praktischen Apparate gemacht. In der Steingutfabrik der Gebr. Möller zu Unterlöditz bei Königsee in Thüringen werden aus einer glasirten, steinartigen Masse, welche durch Säuren und andere Schärfen nicht angegriffen wird, Apparate angefertigt, welche den Anforderungen vollkommen genügen und nicht sowohl befriedigende, als höchst überraschende Resultate gewähren. Ein solcher Apparat ist mit der größten Leichtigkeit durch Einlage des Klärmittels hergerichtet, die trübe Flüssigkeit wird hineingeleitet und fließt sofort glanzklar aus dem Mittel heraus, wobei es sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_239.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)