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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Patriarch, der syrische Bischof, die koptische und die abyssinische Geistlichkeit. Unter diesen Begrüßungen kamen wir der heißen Mittagsstunde nahe. Als wir schon die grauen westlichen Mauern der heiligen Stadt, im Hintergründe den Oelbergsgipfel, im fernen Osten vom blauumhüllten moabitischen Gebirgszug überragt, vor unseren Augen hatten, trafen wir auf drei Zelte, die zu Empfangsfeierlichkeiten errichtet worden waren. Als der Großfürst in russischer Admiralsuniform mit dem blauen Andreas-Cordon, seine hohe Gemahlin am Arme und hinter sich den jungen Prinzen, von seinem Gouverneur geleitet, das große offene Zelt des Pascha betrat, das vom Schmucke der Uniformen funkelte, donnerten die daneben aufgestellten kleinen Kanonen, die paradirende Truppe präsentirte das Gewehr, die Trommeln wirbelten, die Hörner schallten. Hier stellte der Pascha als diplomatisches Corps die Consuln von England, Frankreich, Oesterreich, Preußen und Spanien vor, desgleichen die ersten Ulema’s von Jerusalem. Mit dem diplomatischen Corps war zugleich der anglikanische Bischof Gobat erschienen.

Näher an der Stadt hatte sich mit einem kleinen, aus golddurchwirkten Stoffen gefertigten Zelte die jüdische Geistlichkeit aufgestellt; bei diesem außerordentlichen Anlasse wollte auch sie ein Willkommen nicht schuldig bleiben.

Aber das zahlreichste Empfangspublicum war nicht das officielle. Schon seit einer halben Stunde war unsere Karawane durch viele entgegengekommen Osterpilger, besonders russische, ansehnlich vermehrt worden. Es war rührend, die verklärten Augen der letzteren zu sehen; man sah ihnen die Freude an, hier auf ihrer frommen Pilgerfahrt das großfürstliche Paar, vom gleichen Dränge des Herzens bewegt, zu sehen, zu begrüßen. Viele Frauen wetteiferten, der Großfürstin Blumen durch die Fenster zuzuwerfen und auf den Weg zu streuen. Aber dazu fehlte nunmehr der Raum; denn nach dem Aufbruche, aus den Zelten waren wir zu beiden Seiten von dichten Schaaren umringt, gekleidet in Trachten aller Art. Die Turbane aller Formen und Farben, darunter auch der fränkische Hut und die polnische Zobelmütze, bildeten ganze geschlossene Flächen. Viele Gruppen von Frauen, in langen weißen Gewändern und nach Gebühr verschleiert, hatten die Höhen zu unserer Linken eingenommen. Jubelrufe durchbrachen oft die nach Kräften versuchte Militärmusik; denn von den Zelten an bis ans Jaffathor bildeten türkische Soldaten Spalier. Innerhalb desselben umgab aber auch noch die russische Schiffsmannschaft die hohen Pilgrime, die jetzt sämmtlich zu Pferde saßen.

Am Thore angelangt, stieg der Großfürst mit seiner Gemahlin und dem jungen Prinzen ab, um nach altem frommem Gebrauch die heilige Stadt zu Fuß zu betreten, wobei der Weg mit Rosenblättern bestreut und mit duftenden Wassern besprengt wurde. Das großfürstliche Paar war von tiefer Rührung ergriffen; beiden standen die Augen voll heller Thränen.

Beim Eintritt in’s Thor wurden sie vom russischen Bischof, umgeben von seiner Geistlichkeit, mit dem Kreuze und Weihwasser empfangen. In der Stadt selbst, soweit sie nur vom Zuge betroffen wurde, war jedes Plätzchen, jede Mauer und jedes Dach, jede Thür und jedes Fenster dicht besetzt; aus allen Gesichtern strahlte die Freude, und des Freudengeschreies war kein Ende. Auch eine Salve vom alten Davidsthurme hatte den Eintritt der hohen Gäste in die Mauern Jerusalems bezeichnet; sie wiederholte sich beim Eintritte derselben in die Kirche des heiligen Grabes. Denn dem Wunsche des Großfürsten gemäß ging der Zug unverweilt in diese Kirche, die jetzt Lichter und Lampen tausendfältig durchschimmerten.

Am Portale stand bereits der griechische Patriarch im vollen von Gold und Edelgestein blitzenden Ornate, sammt der hohen Geistlichkeit in ihren Prachtgewändern. Der ehrwürdige Greis hieß voll Rührung die drei Glieder der kaiserlichen Familie, „der Beschützerin der heiligen durch den Glauben an die göttliche Trinität gekennzeichneten Kirche“, hier nochmals willkommen; er gedachte zugleich der Wohlthaten, welche die orthodoxe Kirche, besonders auch zu Jerusalem, dem hochseligen Kaiser Nikolaus verdanke.

Nach dieser Begrüßung geleitete er die erlauchten Pilgrime an die zwei heiligsten Stätten der Welt, dahin wo der Erlöser am Kreuze erblaßt, und zum heiligen Grabe, während dessen die griechische Hauptkirche ein feierliches Te deum ertönen ließ. Als es verklungen war, führte der Patriarch seine Gäste ins Patriarchat, in dessen weiten Räumen fürstliche Gemächer für sie bereitet waren.

Soll ich noch ein Wort zu diesem Einzuge sagen? Daß er so festlich ausfiel, wie ihn schwerlich seit den Kreuzzügen ein europäischer Fürst in die alte Stadt Gottes gehalten, das hatte um so größeres Gewicht, je mehr es dem Zusammenwirken vielfacher und so verschiedenartiger Kräfte zu verdanken war. Vom Großfürsten selbst war keine Veranlassung dazu gegeben. „Mit Gebet und in der Stille einziehen“, das würde weit mehr nach seinem Herzen gewesen sein, wie er sich noch Tags darauf darüber äußerte. So wurde aber dem Herzen Anderer mehr als seinem eigenen Rechnung getragen, und der Einzug des dem Czaren auf’s Engste verbundenen kaiserlichen Bruders wurde zu einer schönen Kundgebung der lebhaftesten Sympathien. Daß er in manchen Herzen den Wunsch rege gemacht: Möchte er doch einen anderen Einzug von dauernder Wichtigkeit vorbedeuten! davon bin ich überzeugt.

Und auch das weiß ich, daß viele Andere den gehaltenen Einzug mit Allem, was sich daran noch knüpfte, schon als bedeutungsvoll für die Zukunft der heiligen Stadt aufgefaßt.




Aus den deutschen Spielhöllen.

Von E. v. S–g.
Nr. 3.
Bénazet und seine Manipulationen – Der solide Anstrich Badens – Die Unkosten der Spielbanken – Ihr Gewinn – Wer die Banken reich macht – Der Einfluß der Spielhöllen – Die Staatsbeamten als Helfershelfer der Spielhöllen – Beendigung des Scandals.

Ich muß zuvörderst diesen anscheinenden Widerspruch erklären, weil damit auch zugleich ein Beleg für die weiteren Folgerungen geliefert wird: Herr Bénazet ist der alleinige Pächter der Badener Spielbank; Niemand, als einer seiner nächsten Verwandten, hat einen Antheil an dem Unternehmen. Er ist also keinem Aktionär Rechenschaft schuldig, wie die „Directoren“ in Homburg, Wiesbaden und Nauheim.

Als alleiniger Director seines Etablissements kann Herr Bénazet darin schalten und walten, unbeschränkter als der Großherzog von Baden in seinem Lande, und insofern mögen die französischen Journalisten gewissermaßen Recht haben, wenn sie ihn le roi de Bade nannten; richtiger wäre es freilich gewesen, ihn le roi du jeu zu nennen. Als gebildeter Franzose hat er begriffen, daß die moderne elegante Welt sich Alles gefallen läßt, wenn es nur mit dem gehörigen Anstrich von Anstand geboten wird; und diesen Anstrich, die Zubereitung dieses Anstriches versteht, außer einem noch höher stehenden Manne in Frankreich, Niemand so gut, als Herr Bénazet. Während die anderen Spielpächter das Spiel in den Vordergrund drängen und die anderen Vergnügungen nur so nebenbei mitgehen lassen, befolgt er gerade das entgegengesetzte System, und seine Berechnung ist die richtigere. Viele Personen, die eine gewisse gesellschaftliche Stellung einnehmen, scheuen sich, in Homburg und Wiesbaden zu oft am Spieltische gesehen zu werden, oder wollen überhaupt nicht an Orten bleiben, wo alle Räume des Curhauses nur für das Spiel benutzt werden. Die Badener Bank bietet auch keine Spielvortheile, keine halben refaits; die Systemspieler und die Spieler von Profession kommen nicht hin, die Gesellschaft am Tische ist also unzweifelhaft anständiger, als andere, man sieht keine unheimlichen Gesichter, keine gemeinen, mitunter so schmutzigen Gestalten, keine Verbindungen von Zweien und Dreien, die nebeneinander sitzen, Häufchen Geld und Tabellen vor sich liegen haben und mit immerwährender gegenseitiger Verrechnung beschäftigt sind und zu den unangenehmsten Nachbarn gehören. Die großen Herren können in Baden sich mit viel größerer Bequemlichkeit am Spieltische amüsiren, und die nobeln Franzosen und Russen versammeln sich auch daselbst am liebsten; daß aber viele

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_253.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)