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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die sie jedoch höchst ungern einer Kritik unterwerfen lassen. Am lebhaftesten ist natürlich der Verkehr auf denjenigen Brücken, welche die großen Hauptstraßen unter einander verbinden und gleichsam in das Herz der Stadt führen. Als solches hat man die Umgebungen der Börse und der Bank zu betrachten, die alltäglich von vielen tausend Geschäftsleuten oder von deren Abgesandten und Beauftragten besucht werden. Auch liegen mehrere Posten in der Nähe, die zu gewissen Stunden des Tages von harrenden Menschen förmlich belagert werden, um Briefe, die mit der amerikanischen, australischen oder ostindischen Post angekommen sind und deren Ausgabe mit Ungeduld erwartet wird, in Empfang zu nehmen.

Auf eine dieser vielbesuchten Brücken, die „Bleichenbrücke“, führen wir den Leser. Sie verbindet zunächst die Straßen „große Bleiche“ und „Neuerwall“, führt in ihrer Verlängerung als „Adolphsbrücke“ unmittelbar nach Bank und Börse und weiter über die „Börsenbrücke“ in die vom Brande nicht berührte Altstadt. Nach Westen vermittelt sie den Verkehr mit dem Straßengewirr der stark bevölkerten Neustadt. Sie bildet also einen wichtigen und stets sehr stark belebten Uebergang über das breite Bleichenfleeth, in dessen Nähe nach Westen zu der Brand des Jahres 1842 erlosch.

Von der „Bleichenbrücke“ blickt man südwärts auf alte Gebäude von wenig anziehender Bauart, über deren Dächer in der Ferne der höchste Thurm der alten Hansestadt, der Michaelisthurm mit seiner gewundenen Treppe, im Durchsicht emporragt. Nach Norden ruht das Auge auf lauter neuen, hohen, gewaltigen Gebauten aus, welchen der stumpfe Thurm des Stadtposthauses ein malerisches Relief giebt. Hier, wie an vielen anderen Punkten der großen Stadt, spaziert gewöhnlich eine junge oder doch noch für jung geltende Vierländerin auf und ab, am linken bloßen Arm, den bis zum Ellenbogen ein weißes Hemd lose umfängt, ein zierliches Körbchen mit duftenden Blumen, in der rechten Hand einige Sträußchen, die um die Zeit, wo die ersten Erdbeeren zu reifen beginnen, sich in schöne große zwischen Blättern ruhende Erdbeeren verwandeln. Das niedliche Kind, das mit seinen drallen Waden gewaltig coquettirt, auch weiß, zu welchem Zwecke sich glänzende, sanft blaue Augen gebrauchen lassen, versäumt es nicht, jedem vorübergehenden Herrn den Weg mit den Worten zu vertreten: „Sträußchen, Herr?“

Der Handel mit Sträußchen allein mag wenig ergiebig sein, denn eingeborene Hamburger haben gewöhnlich große Eile, wenn sie straßauf, straßab gehen, und lassen sich ungern in ihren Geschäftsgängen stören. Nur jugendliche Flaneurs und müßige Fremde, deren Zahl in der guten Jahreszeit allerdings sehr bedeutend zu sein pflegt, sind weicheren Herzens und setzen die Sträußchenverkäuferinnen, sei’s auch nur, um ihre auffallend originelle Tracht bequemer mustern zu können, in Nahrung. Einträglicher mag der Blumenhandel selbst sein, welcher die Vierländerinnen in die Häuser Vornehmer und Geringer führt. Sie verstehen ihre in der That ausgesuchte und vortreffliche Waare meisterlich anzupreisen und besitzen nebenbei meistentheils auch jenes geschickte Talent des Quälens, das am sichersten zum Ziele führt. Der Gequälte kauft, um doch wieder Ruhe zu bekommen.

Neben die Vierländerin, die einem galanten Käufer eben noch einen schmachtenden Blick nachwirft, pflanzt sich jetzt ein starker, vierschrötiger Mann. Er trägt ein gut erhaltenes Schurzfell, eine kurze Tuchjacke mit vielen großen silbernen Knöpfen und einen sehr glatt gebürsteten Cylinder. Es ist ein Quartiersmann, eine gar wichtige Persönlichkeit in Hamburg; denn den Quartiersleuten muß der Kaufmann und Rheder unendlich großes Vertrauen schenken. Unter seiner Controlle stehen die zahlreichen Arbeiter verschiedenster Art, deren der große Handelsverkehr einer Seestadt nicht entbehren kann. Dieser seiner Stellung sich bewußt, zeigt der Quartiersmann auch meistenteils ein ernstes Gesicht. Einen Scherz indeß zu rechter Zeit verachtet er auch nicht, selbst wenn er zu derben Entgegnungen führt.

Der Quartiersmann hat Zeit. Er will vermuthlich nach einer der Posten gehen, um Briefe für ein Handelshaus in Empfang zu nehmen, oder er hat sonst eine Bestellung, aber die Stunde ist noch nicht gekommen, und da kann man ein wenig „snacken“ (plaudern). In solchen Momenten ist der Anruf einer Fischhändlerin ganz am Platze. Eine der stattlichsten schreitet auf den Quartiersmann zu, dessen Geschmack ihr nicht unbekannt ist. Sie stellt ihre Körbe mit den Fischen neben sich, legt die Tracht dazu, stemmt beide Arme in die Seite und spricht zu dem phlegmatisch sich zu ihr hinwendenden Manne, der bequem am Geländer lehnt:

„Schenne (schöne) fette Brassen, Hansen? Oder lütte Brataale? Ock springende Stint’ heff’ ick! Man billig, Hansen, spottbillig!“

Hansen fragt ruhig nach dem Preise, findet diesen aber selbstverständlich zu theuer und bietet deshalb gar nicht. Damit jedoch ist die Fischfrau nicht zufrieden. Sie will ihre Waare durchaus los werden, was auch nöthig ist, denn die Brassen sind nicht schön, die Stinte nicht springend, die Bütt haben sogar einen ziemlich scharfen Geruch, den selbst der frische Luftzug auf der Brücke nicht ganz verweht. Nur die langen, dünnen Aale winden sich in dem sandigen Bette, das die Grausame ihnen trotz des Thierschutzvereins bereitet hat, damit sie ihr unterwegs nicht entschlüpfen.

Widerspruch vertragen nur wenige Fischfrauen. Sie halten sich für infallibel wie der heilige Vater in Rom, aber sie sind nicht so höflich und mild wie dieser. Der geringste Tadel – und einen solchen erlaubt sich der Quartiersmann auf nochmals erfolgte Anrede – setzt sie in Feuer und Flamme. Das rothe Gesicht wird noch röther, die Lippen zittern, das rollende Auge der Erzürnten verkündigt ein entsetzliches Unwetter. Aber der Zorn versetzt ihr den Athem. Die schwer Gekränkte muß erst Luft schöpfen, um ihre Rede besser in Fluß zu bringen. Da kommt zum Glück ein Störenfried dazwischen, der die Erbitterte durch seinen Ruf besänftigt. Auch ihn, den heisern Ueberall und Nirgends, kennt die robuste Frau von der Holzbrücke am breiten Fleeth. Sie weiß, der geizige Aaron von der dritten Elbstraße ist nicht sehr eigen. Ihm also wendet sie sich zu uno bietet ihm die halb verdorbenen Fische mit der unschuldigsten Miene von der Welt und mit einer Liebenswürdigkeit an, die dem schlauen Quartiersmann ein heiteres Lächeln entlockt.

Aaron läßt die Redselige sich aussprechen. Dann hebt er ein Stück der Waaren, mit denen er hausirt und bis in den späten Abend hinein rastlos die Straßen durchwandert, ohne die trocken werdende Zunge durch einen frischen Trunk zu erquicken. Sein allbekannter Ruf, den er Jahr aus, Jahr ein erklingen läßt, bleibt sich immer gleich:

„Allerhand Band kooft, ’nen Schilling die Ehl’ (Elle)! Nasse Waare! Billige Waare! Natt, natt, natt, natt! (naß.) Ko-o-o–oft!“

Die Fischfrau kauft jedoch nicht, der Quartiersmann eben so wenig, die Vierländerin lacht sehr schalkhaft, und Aaron schlürft, seinen Ruf wiederholend, vorüber, um die Bleichen hinunter in der belebteren Fuhlentwiete sein Heil zu versuchen.

Lärmender geht es an vielen Straßenecken und auf den größeren Plätzen zu. Hier siedeln sich spätestens in der zehnten Morgenstunde verschiedene Karrenhändler an, die ohne Ausnahme dem auserwählten Volke Gottes angehören, das sich der Verheißung nach gemehrt hat und noch mehren soll wie Sand am Meere. Die ambulanten Karrenhändler übertrifft an Rührigkeit, Lebendigkeit und Redseligkeit kein anderer Erdgeborener. Sie sind in ihrer Art die vollkommensten Geschöpfe Gottes auf dieser Welt, doch mögen sie nicht immer dem Ebenbilde ganz gleichen, nach dem sie geschaffen wurden. Der Karrenhändler hat Alles, was Menschen brauchen können, und was er feilbietet, sieht gewöhnlich sehr bestechend aus und ist fabelhaft billig. Portemonnaies, die auch in den, wohlfeilsten Laden das Stück zwölf Schillinge oder eine Mark kosten, bekommt man hier für 3 und 4 Schillinge. Gehandelt wird nicht. Karrenhändler sind die einzigen jüdischen Kaufleute, die streng auf feste Preise halten. Findet sich als Nachbar oder feindseliges Gegenüber ein noch billigerer Verkäufer ein, so besiegt ihn der um eine Kleinigkeit theuerere Händler durch die Kraft seiner Stimme und nimmt im Nothfalle einen Mitschreier an, mit dem er dann die herrlichsten Duette anstimmt.

Um Karrenhändler bilden sich stets Gruppen. Viele schauen, hören, lachen, Andere kaufen und verlocken noch Andere zu gleichem Thun, und da alle Gegenstände weit unter dem Werthe verschleudert werden, so ist Abends, wenn die Schatten sich verlängern, die Karre leer. Schreien kann der glückliche Kaufmann freilich nicht mehr, selbst das Reden wird ihm sauer, aber sein Gesicht strahlt vor Glück und Wonne, denn er kehrt mit gefüllter Börse nach Hause, um am nächsten Tage irgendwo anders mit ganz andern Handelsartikeln das lucrative Geschäft mit gleichem Glücke fortzusetzen.

Giebt es nicht Scandal in Folge etwa eintretender Mißhelligkeiten, was bisweilen, verhältnißmäßig aber doch selten, vorkommt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_262.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)