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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

schon das Haberfeld getrieben werden mußte.“ Ja, solche öffentlich Gebrandmarkte sind sogar vor persönlichen Beleidigungen nicht immer sicher. Dazu kommt noch die weitere Kränkung, daß alles von den Haberfeldtreibern Geäußerte (wohl schon seiner beliebten Schnaderhüpfelform wegen) auf der Gasse und in den Wirthshäusern tausendmal wiederholt, und daß auf diese Weise der Rügeact noch lange fortgesetzt wird; denn kaum ist das Sittengericht beendet, so trägt man in Gesellschaften das Gehörte in ein Ganzes zusammen, und man könnte nach einigen Tagen schon alle die Sündenregister wortgetreu dem Drucke übergeben, wenn der Inhalt nicht gar zu scandalös wäre.[1] „Lieber all mein Vermögen verlieren, als einer solchen Schande ausgesetzt werden!“ rief einst ein Mann in meiner Nähe, als bei einem Rügeacte der erste Vervehmte abgefertigt war. Ein Hülfspriester, welcher bei einem solchen Sittengerichte empfindlich mitgenommen wurde, verließ auf der Stelle seinen Posten, er war in jener Gegend für immer „unmöglich“ gemacht worden.

Ob es wahr ist, was ich so oft vernehmen mußte, daß nämlich die Haberfeldtreiber sich auch durch Geldspenden bewegen lassen, Personen, denen sonst nicht beizukommen ist, Besuche zu machen, lasse ich dahingestellt sein. Dagegen weiß ich sicher, daß diejenigen, welche dieses Volkssittengericht sogar als eine förmliche Fastnachtskomödie hinstellen und dabei ganz abenteuerliche und gespensterartige Gestalten auftreten lassen, im vollkommensten Unrecht sind. Ich war zufällig Zeuge der Rügeacte in Hohenthan, Niklasreit, Aßling und Rott, bin häufig mit Personen in Berührung gekommen, welche ebenfalls Zeugen solcher Sittengerichte auf dem Lande und im Gebirge waren, allein Niemand hat die Sache anders als in der hier dargestellten Form und Weise gesehen. Eben so irrthümlich ist die Erzählung, daß solche Acte manchmal sogar bei Schneefall vorgekommen seien; denn ließen sich die Haberfeldtreiber nur einmal solche Unvorsichtigkeit beigehen, dann wäre mit denselben bald aufgeräumt; diese Vehmrichter vermeiden aber mit der scharfsinnigsten Vorsicht Alles, was nur auf die geringste Spur derselben führen könnte. Nicht weniger widerstreitet die Behauptung, daß Thüren und Fensterläden an den Häusern der Betroffenen ausgehängt und über und unter einander geworfen würden, meinen Erfahrungen, denn noch überall haben die Treiber sich möglichst bestrebt, Schaden zu verhüten, und da, wo ein solcher ohne ihre Absicht angerichtet wurde, waren sie immer auf volle Entschädigung bedacht, selbst wenn die Schadloshaltung eine bedeutende Summe erforderte. Hier nur ein Beispiel dafür.

Einem Bauer begegnete der Unfall, daß bei einem solchen Haberfeldtumulte sich ein junges Pferd im Stalle losriß und daß diesem von einem andern Gaule ein Fuß abgeschlagen wurde. Der Verlust des Mannes war natürlich nicht gering. Da geschah es, daß nach ungefähr vier Wochen in einer stockfinstern Nacht (denn finstere Nächte sind es überhaupt, in welchen die Haberfeldtreiber wirken) Jemand am Fenster der Schlafkammer des Bauers klopfte und diesen mit leiser Stimme zu sprechen verlangte. Der Geweckte fragte, was man so spät in der Nacht von ihm verlange. „Bauer,“ hub jetzt ein Unbekannter an, „Du sollst ja erst kürzlich um ein Pferd gekommen sein?“ „Ja,“ antwortete der Landmann, „die Haberfeldtreiber haben mich sehr unglücklich gemacht-“ „Wie hoch beläuft sich denn der Schaden?“ äußerte weiter der Fremde und auf die Antwort: „180 Gulden,“ war er plötzlich verschwunden. Der Bauer dachte mehrere Tage hindurch über die Bedeutung dieses Vorfalles nach und konnte sich die seltsame Geschichte nicht enträthseln. Doch nach Verlauf von abermals vier Wochen wiederholte der nämliche Unbekannte seinen nächtlichen Besuch in der vorigen Weise, behändigte dem Beschädigten die volle Werthsumme des verlornen Pferdes und verschwand dann auch zum zweiten Male spurlos. Ebenso ist es bekannt, daß schon vielen von den Haberfeldtreibern besuchten Gemeinden, die dieses Umstandes wegen ohne weitere Untersuchung mit Strafe belegt wurden, diese im vollen Betrage zurückvergütet wurde. So z. B. erhielten Saxenkam und Gmund allein 50 fl. Strafersatz. Daher mag es denn auch kommen, daß weder auf diesem Wege, noch durch Einquartierungen die Gemeinden bisher vermocht werden konnten, den Gerichten auch nur einen Mann, der des Haberfeldtreibens verdächtig war, als solchen zu bezeichnen.

Schließlich erkläre ich, daß ich, obwohl sich in dem Wirken der Haberfeldtreiber eine sittliche Tendenz ausspricht, weit entfernt bin, als Lobredner derselben aufzutreten, und daß ich nur in Bezug auf die Ausübung dieser Rügegerichte so manches Irrthümliche auf den wahren Sachverhalt zurückführen wollte.

Röggler.




Holz oder Eisen?

Wer sich das Bild der Bewegung vergegenwärtigen will, welche die Männer der Waffen damals ergriff, als das Eisen sich vor der Gewalt des Pulvers beugen mußte, als vor den neuen Feuerschlünden die geschicktesten und kostspieligsten Arbeiten aller Harnischmacher der Welt mit einem Schlage werthlos wurden, Tausende von Städtebefestigungen auf den Werth nutzloser Alterthümer herabsanken und der Adel von den wehrlos gewordenen Burgen in die Thäler und unter den Schutz der Fürstenhöfe floh, – wer dieses weltgeschichtliche Bild erneut sehen will, der durcheile in diesem Augenblick die Arsenale, Werften und Kriegshäfen der Seemächte und die Küstenbollwerke aller Militärstaaten. – Millionen und aber Millionen von Nationalvermögen aller seefahrenden Nationen und Küstenländer sind an einem Tage vernichtet, das ungeheuere Seekriegsmaterial, der höchste Stolz, die Zuversicht und der Sporn des Uebermuths der mächtigsten Herrscher, Tausende der „hölzernen Festungen“ der Meere Und der steinernen Schutzwehren der Küsten sind durch das Ergebniß eines einzigen Kampftags auf den Werth ihres Rohmaterials zusammengeschwunden, und der Trotz der gestern noch gewaltigsten Kriegsherren steht heute erschrocken vor einem neuen Fortschritt der Zerstörungsmittel in der Faust des Seekriegs.

Das sind die Folgen der beiden Seegefechte bei dem Fort Monroe am 8. und 9. März dieses Jahres, mit denen eine neue Epoche in der Geschichte der Kriegskunst beginnt, ja es beginnt damit noch mehr, es beginnt eine neue Epoche der Culturgeschichte, denn wahr wird werden, was Ericson sagt: „Mein ganzes Leben lang habe ich behauptet, die Mechanik würde dereinst Englands Seeobergewalt ein Ende machen. Der Ocean ist die Heerstraße zwischen den Nationen. Er muß frei sein, und die Naturgesetze, wenn richtig angewandt, werden ihn auch frei machen!“

Diese Bedeutung der neuen Erfindung und ihres Sieges ist es, welche den Kampf des „Merrimac“ mit dem „Cumberland“ und den des „Monitor“ gegen den „Merrimac“ zu einem Ereigniß erhebt, das die Tagespresse aller Culturvölker erfüllt und dem deshalb auch wir die folgenden Spalten widmen.

Als der Kampf der nordamerikanischen Union mit den abtrünnigen Sclavenstaaten ausbrach, befand sich erstere im Vortheil der Seestärke. Ihr erstes Streben war daher, die Lebensadern des Südens durch Vernichtung seines Seehandels zu unterbinden. Sie blockirte die Häfen der Conföderirten. Es würde den Südstaaten unmöglich gewesen sein, selbst mit dem äußersten finanziellen Aufwand, gegen die Blockadegeschwader der Union eine entsprechend mächtige Flotte von großen Schiffen und zwar in so kurzer Frist zu erbauen, als hier von der Noth geboten war. Aber die Noth half ihnen, sie gab ihnen den Rath, Eisen gegen Holz zu waffnen. Mit Hülfe nördlicher und englischer Mechaniker und Arbeiter stellten sie binnen zehn Monaten rastlosen Schaffens die Panzerfregatte „Merrimac“ her. Diese zeichnet sich vor den gepanzerten Schiffen der Engländer und Franzosen dadurch aus, daß ihr Oberbau rasirt ist und sie dem Feinde keine senkrechten Wände bietet, sondern sie in Bogenlinien und spitzen Wickeln dachartig niedergesenkt hat, so daß sie bis drei Fuß unter den Wasserspiegel reichen. Armirt ist sie auf jeder Seite mit vier elfzölligen Dahlgreen- und an den beiden Enden mit zwei hundertpfündigen Armstrongkanonen, mit denen sie auch heiß schießen kann. Am Bug, an der Wasserlinie, führt sie zwei starke, scharfe eiserne Spitzen,


  1. Ich habe mir früher viele solche Sündenregister gesammelt, die ich aber offenbar nicht alle als bäuerliches Machwerk betrachten konnte, denn bei so manchen derselben zeigte ein geregelter Versbau nur zu deutlich an, daß mitunter auch andere Federn den Haberfeldtreibern in die Hände arbeiten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_283.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)