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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Die Ursachen, welche den Ausstand von 1809 herbeiführten, sind weltbekannt, es genügt daher, sie hier nur kurz anzudeuten.

Die österreichische Regierung hatte trotz des conservativen Nimbus, mit welchem servile Schreiber sie so gern schmücken, so manchen Eingriff in die Rechte des Volkes gethan, der allgemeine Mißstimmung erregte, sich jedoch sorgfältig gehütet, die Gefühle des Klerus und der Bauern zu verletzen. Im Gegentheile! Man schaffte sogar die heilsamen Reformen des Kaisers Joseph ab; in der Hoffnung, der Tyroler werde beim Läuten der Kirchenglocken vergessen, daß ihm der Fiscus den Seckel leerte und die Regierung ein politisches Recht um das andere fortnahm. Das glückte auch, weil die Baiern in thörichter Nivellirungswuth nichts schonten und so die Mißgriffe der Oesterreicher noch als Vorzüge erscheinen ließen. In neuester Zeit haben Manche, die Verhältnisse der Vergangenheit gründlich mißkennend, den Heldenkampf von 1809 als einen albernen Pfaffenrummel bezeichnet; es giebt jedoch einen Punkt, wo der Kampf für die Religion der Väter ein heiliger wird und Jedermann, möge er nun was immer für einen Standpunkt des Glaubens einnehmen, wenn nur nicht jeder Funken idealer Begeisterung in seiner Brust erloschen ist, an die Seite der Bedrängten tritt. Kaiser Joseph schaffte die Stolgebühren und so manchen Unfug ab; die Folgezeit hat ihn gerechtfertigt, am besten dadurch, daß sie sehnsüchtig einen Mann wie ihn herbeiwünscht; wer wagt es jedoch zu vertheidigen, wenn der baierische Commissär den Prior der Kapuziner zum Frühstücke einlud und ihn hohnlachend im Bett zwischen zwei Schanddirnen liegend empfing, wenn er die geweihten Kirchengeräthe verkaufte, wenn er einem Juden ein Meßgewand über den Rücken hing und ihn sodann vor den Augen des Volkes mit dem spanischen Rohr herumfuchtelte, wenn er die harmlosen Mönche ohne Grund mit Soldaten zusammentreiben und auf die roheste Weise escortiren ließ? Darunter befand sich 1808 auch Haspinger. Trotzig sagte er zum Officier. der die Wache anführte: „Vielleicht dauert es nicht lang, daß ich Euch escortiren lasse!“ Für diese kecke Aeußerung wurde er unter ganz besondere Aufsicht gestellt.

Es war im April 1809. Der Wanderer schreitet durch die Hochthäler, schon umfächeln ihn laue Lüfte, über den schneeigen Kanten der Berge wölbt sich der blaue Himmel, kein Laut unterbricht die Stille; – da jauchzt er unbesonnen auf, Donner antwortet ihm, und er liegt begraben unter dem Sturz der Lawine. So erging es den Baiern. Die Geister der Rache schwebten ob ihren Häuptern, sie ahnten es nicht, denn unter all den Tausenden, Männer, Weiber, Kinder – war kein Verräther. In dieser Skizze können wir den Gang der Ereignisse nur andeuten, sofern wir das Eingreifen Haspinger’s zu schildern haben, welcher als Feldpater mit einigen Schützencompagnien gegen Rusca in das Trientinische vorrückte. Damals schrieb er in sein Tagebuch: „Nun endlich fand Joachim Gelegenheit zu zeigen, welch’ Eifer für das Wohl seines Vaterlandes und geliebten Monarchen in seinem Herzen brannte; er zog unter Anrufung des göttlichen Beistandes und im vollen Vertrauen, daß Gott die gerechten österreichischen Waffen segnen würde, muthvoll mit seinen biedern Landsleuten dem Feinde entgegen.“ Die Schützenhauptleute, welche weniger Kriegserfahrung besaßen, als der Feldpater, überließen diesem gern die Führung der Vorhut. Auf dem Marsche traf er bei Pergine mit einer Schaar von zwanzig Franzosen zusammen, welche sich allsogleich in einen Bauernhof warfen und sich hier mit äußerster Anstrengung wehrten. Als das Feuer verstummt war, drangen die Schützen in das Haus und fanden die tapfern Soldaten alle todt oder sterbend herumliegen. Während dieser Vorgänge hatte der österreichische General Chasteler glücklich sein theueres Haupt nach Kärnthen gerettet. Lefèbvre rückte am 19. Mai bis Innsbruck vor und ließ dort, nachdem ihn Napoleon abgerufen, Deroy mit 7000 Mann zurück, eine Macht, die er ausreichend hielt, Tyrol gänzlich zu unterwerfen. Für schulgelehrte Generäle wäre dieses allerdings mehr als genug gewesen; Buol retirirte eiligst gegen den Brenner und reizte dadurch die zum Widerstand entschlossenen Bauern so, daß ihm einer derselben unter dem allgemeinen Gelächter der Soldaten, welche auch dort, wie 1859, besser waren als ihre hochadeligen Führer, mit einem Faustschlag den Hut in den Schädel trieb. Das Volk erhob sich in den Thälern, über den Brenner zog Andreas Hofer mit den Männern Passeiers und stellte sich, den linken Arm im grünen Hosenträger, an die Brücke bei Matrei, wo sich die Straße theilte, um die Landesvertheidigung zu mustern. Bald den rechten, bald den linken Fuß aufhebend, deutete er an, wo die Hauptleute hinziehen sollten: „Ihr marschirt zum Paschberg,“ sagte er zu Gasteiger, „und wenn’s den Feind trefft, so werft ihn hinab in’s Thal.“ Das war sehr einfach, jedenfalls aber besser, als die Kriegswissenschaft österreichischer Officiere, deren Commando meistens auf Retirade lautete. Der beste Stratege Tyrols war der Zufall und die Verblendung des Feindes, der beste Taktiker Speckbacher, der überall die List des Wildschützen anwendete; Haspinger verstand es vor allen, das Volk fortzureißen und zu fanatisiren. Er war 33 Jahre alt, ziemlich groß gewachsen, das Gesicht grobknochig, die Nase gebogen, unter den buschigen Brauen loderten zwei graue Augen, stets unruhig, bei der leisesten Aufregung aber zornige Blitze schießend, von Mund und Kinn hing in langen Zotteln ein fuchsrother Bart herab. Seine wilde Beredsamkeit, unterstützt von großem Bilderreichthum, gesteigert durch die Gluth mönchischer Ekstase, entflammte die Bauern, daß sie ihm wie einem Propheten blindlings folgten, und selbst die Sterbenden glaubten noch im Schlachtendampf den Himmel offen zu sehen und die Siegeslieder der Engelchöre zu hören. Ein Bauernbube sagte, er möchte gern vorwärts, getraue sich aber nicht, aus Furcht getroffen zu werden. Der Kapuziner ermuthigte ihn: wenn er auf die Mutter Gottes hoffe, könne ihm nichts geschehen. Nun trat der Knabe keck vor und erlegte einen Feind nach dem andern. Die besten Schützen hatten Ladknechte bei sich, denn das Laden des Stutzens erfordert viel Sorgfalt, wenn der Schuß genau gehen soll, und man bedarf daher langer Zeit. Gegen Abend wurden einige Gefangene gebracht, Haspinger erkannte augenblicklich den Officier, der ihn einst escortirt hatte, und erinnerte ihn an jenes traurige Zusammentreffen. Dieser erschrak, der Mönch beruhigte ihn jedoch und ließ dem Ermatteten von seinem Diener Speise reichen.

Das war nur ein Vorspiel gewesen, die Schlacht begann erst vier Tage später, am 29. Mai. Vorher entfernte Haspinger einige Schützenhauptleute, die sich feig benommen, auch einige Compagnien waren davon gelaufen. Dessenungeachtet belief sich die Macht der Tyroler auf beiläufig 20,000 Mann, Der Kapuziner befehligte den linken Flügel bei der Gallwiese und stürmte wüthend vor. Da traf ihn eine Flintenkugel aus nächster Nähe in der Magengegend, so daß er wankte. Die tödtliche Wirkung ward gehemmt durch ein metallenes Kreuz, welches er in einem Säckchen eingesteckt hatte. Es wurde zersplittert, die platt gequetschte Kugel fiel unschädlich zu Boden. Bei den Bauern machte dieser Vorfall einen mächtigen Eindruck, jeder glaubte an den sichtbaren Beistand des Himmels und drängte vorwärts. Bald entspann sich ein heftiges Handgemenge. Ein feindlicher Soldat rannte mit gefälltem Bajonett auf Haspinger los, laut ausrufend: „Hab’ ich Dich, Du Schwanz!“ Dieser lenkte kaum mit dem Stocke den Stoß ab; ein Schütze, der die Gefahr bemerkte, schoß über seine Schulter den Soldaten nieder und versengte dabei dem Pater den rothen Bart. Der Feind gewann Raum, die Schützen begannen zu weichen. Da lief Haspinger herbei und schrie: „Haltet Ihr so Wort? Habt Ihr vergessen, daß Ihr mir, als ich Euch die Generalabsolution ertheilte, zugesagt, den letzten Tropfen Blut für Religion und Kaiser zu opfern? Lebt wohl, ich gehe dem Feinde allein entgegen und werde Euch, wenn ich falle, vor dem Richterstuhle Gottes verklagen!“ Die Tyroler ermannten sich; gegen Abend war der Sieg erfochten. Haspinger war todtmüde; die rauhe Kutte hatte ihn an mehreren Stellen aufgeschunden, er sank ohnmächtig zusammen und mußte eine Strecke getragen werden.

Am nächsten Morgen hatte er sich jedoch erholt und marschirte zu Innsbruck ein, welches der Feind aufgegeben harte. Streng der Ordensregel gehorchend verfügte er sich in das Kapuzinerkloster, wo ihm der Provincial, wenig erbaut von seinen blutigen Thaten, welche mit dem Friedensamte des Priesters im Widerspruche standen, heftige Vorwürfe machte. Haspinger nahm sie demüthig an, sich erbietend, dem klösterlichen Gehorsam Folge zu leisten und in die Zelle zurückzukehren. Als dieses der Sandwirth hörte, eilte er allsogleich zum Provincial und forderte ihn auf, den Mönch herauszugeben. „Wenn Alles für das Vaterland Opfer bringt, das Weib den Mann, Eltern den Sohn, so könnt Ihr Kapuziner schon auch was thun; ist’s Euch nicht recht, so werde ich nicht lange fragen und den Joachim doch behalten!“ Der Vorsteher konnte sich nicht weigern, Joachim kniete nieder, empfing den Segen und gleichzeitig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_294.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)