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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

in die Hand, sich darauf stützend, als der Stock sich aber bog, wurde er zweifelhaft über die richtige Anwendung, und fing an, groteske Bewegungen damit zu machen. Nur von dem Zweck einer Zeitung – es war die Berliner Kreuzzeitung – schien er keine Kenntniß zu haben, oder war es Mißachtung der politischen Richtung, genug, er nahm das ihm dargebotene Exemplar, und nachdem er einen kurzen Blick darauf gethan, so legte er es ruhig hin und setzte sich darauf zum nicht geringen Gelächter der Anwesenden. Jedenfalls durchzuckten Fortschrittsideen seinen Schädel. Natürlich erstreckte sich seine Bildung auch auf die nöthige Reinlichkeit, obgleich ihm hier noch mitunter Schwachheiten passirten. Wurde dies aber bemerkt und gerügt, so retirirte er dann mit um so beschleunigterem Tempo auf das betreffende Gefäß, um dann um so geduldiger darauf zu verweilen.

Ein gebildeter Orang-Utang.

Viel weniger intelligent war ein dritter Orang-Utang, welchen ich lebend sah. Es war dies ein Männchen und auffallend durch eine vor den Ohren beginnende, unter der Kehle am stärksten entwickelte Wamme. Ob dies bereits eine Andeutung der Geschwulst war, welche sich bei dem Männchen der einen Art Orang-Utang findet, kann ich nicht sagen, zur Verunstaltung des Thieres trug sie jedenfalls bei. Auch fehlte diesem Exemplar der Backenbart gänzlich, vielleicht eben durch die Entwickelung der Wamme.

Wenn es einmal gelänge, den Orang-Utang in seiner Freiheit erschöpfend zu beobachten so müßten diese Beobachtungen jedenfalls von außerordentlichem Interesse sein. Sein geselliges Leben, sein Verhaltniß zu den anderen Thieren seiner Heimath und noch viele andere Punkte dürften so viel des Neuen und Unerwarteten bieten, daß nur die Unzugänglichkeit seiner Waldungen für die Europäer es erklärlich macht, warum nicht schon seinetwegen allein Forscher dies Wagniß unternommen haben. Freilich scheint der Gorilla, dieser gewaltige, durch Chaillu’s Reisen bekannt gewordene Affe Afrikas dem Orang-Utang den Rang streitig machen zu wollen, aber gerade, wenn die Berichte dieses Reisenden von der Furchtbarkeit dieses Affen wahr sind, so dürften noch viele Jahre vergehen, ehe wir denselben lebend sehen, und er also unserm Interesse und Verständniß näher gerückt wird. Denn nur das lebende Thier läßt die wahre Vorstellung davon in uns zurück, allen Abbildungen und Museen zum Trotz.

L.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_301.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2020)