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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Im Grindewald-Gletscher.
Von A. Diezmann.
(Fortsetzung.)


„Sie gingen schweigend und langsam durch einen weiten, hohen, runden Saal, um den herum zierliche Säulen liefen und in den von einem unsichtbaren Punkte aus ein dämmerndes Licht, wie das sanfteste Mondlicht oder wie Morgenschein, fiel. Wunderlich geformte, schimmernde Sträucher und Blumen, die in dem Lichte blitzten, als wären sie von Krystall, standen in Gruppen geordnet zwischen den Säulen. In der Mitte des Saales warf ein Springbrunnen seine Strahlen empor, die dann, in Millionen Perlen zerflatternd und zerstäubend, plätschernd in ein alabasterweißes Becken fielen. Von einer Seite her hörte man ein sanftes Klingen, wie von entfernten silberhellen Kinderstimmen. Als die Jungfrau mit ihrem Begleiter zwischen zwei der Säulen hindurchgegangen war, standen sie an einem Vorhang, der sich nur mit dem leichten bläulichen Dufte vergleichen ließ, welcher bisweilen über den Bergen liegt. Zu beiden Seiten des Vorhanges standen je zwei ganz in Grau gekleidete Zwerge, je Einer mit glattem, jugendlichem Gesicht und schelmisch lächelnden Augen und ein Alter mit großem weißen Bart, finsterer Miene, runzeligem Gesicht und traurig ernsten Augen. Sie verneigten sich gleichzeitig, als die Jungfrau herantrat, und zogen rasch den Vorhang zurück, der sofort hinter den Eintretenden sich wiederum schloß. Der Jäger befand sich mit seiner Führerin in einem Gemach, bei dessen Anblick er staunend und wie geblendet stehen blieb. Eine Schaar ganz kleiner, weißgekleideter Mädchen, mit blitzendem Schmucke reich geziert, kam ihnen entgegen und schlang unter leisem Gesang zierliche Tänze um sie. Die Luft war lieblich frisch, wie an einen Frühjahrsmorgen, und in dem Gemach glänzte ein Licht wie Morgenroth, so daß Alles darin aus Gold und Rubinen zu bestehen schien. Dabei war es erfüllt von berauschendem Duft, wie von den edelsten Alpenkräutern und seltensten Blumen. An der einen Seite stand eine Art Ottomane, die aussah, als sei sie aus frischgefallenem Schnee und aus Silber zusammengesetzt. Die ganze Wand gegenüber bildete ein riesengroßer Spiegel. Zu beiden Seiten desselben gruppirten sich die winzigen weißen Mädchen, auf einen Wink der Gebieterin aber verschwanden sie. Diese selbst trat an den Spiegel und nahm den Schleier nebst den blitzenden kleinen Sternen aus dem Haar, das nun in langen, blonden Ringellocken auf die vollen, blendend weißen Schultern fiel. Dabei schien sich zugleich der Ausdruck des Gesichtes gänzlich zu verändern, denn während es bis dahin ernst, kalt, ja streng gewesen war, wurde es nun heiter mild und kindlich lieblich, so daß der Jäger freudig erstaunt und ermuthigt ihr einen Schritt näher trat.

„Ich habe Dich lange beobachtet,“ begann sie, und ihre Stimme klang unbeschreiblich schmeichlerisch weich und süß vertraut; „ich kenne den furchtlosen Muth Deines Herzens und die Kraft Deiner Glieder. Ich weiß, daß Du nicht tändelst und liebelst mit den Mädchen auf den Bergen, wie die andern Burschen, weil Du fühlst, daß Du zu Höherem und Besserem bestimmt bist. Ich werde Dich erhöhen, denn ich bin die Beherrscherin dieser Berge. Meine Macht ist groß und unberechenbar die Zahl meiner Diener, die stets bereit stehen, auf einen Wink meine Wünsche zu erfüllen und meine Befehle zu vollziehen. Aber die Macht allein giebt das Glück nicht, und ich bin nicht glücklich. Ich stehe allein und empfinde es schmerzlich. Seit langer Zeit schon fühlte ich in mir ein tiefes, unklares Sehnen, das ich nicht zu deuten vermochte. Erst als ich Dich gesehen und wiedergesehen hatte, verstand ich es, und nun weiß ich, was sich mir im Busen regt.“

Sie hielt inne, sah den Jäger mit einem Blicke an, der ihn ihr völlig gewann, und setzte dann in einem Tone hinzu, welcher aus der tiefsten Tiefe ihres Herzens zu kommen schien:

„Liebe mich, o liebe mich! Und ich will Dich groß und glücklich machen, wie es ein Sterblicher noch nie gewesen ist.“

Diese Worte, noch mehr aber der Ton, in dein sie gesprochen wurden, und die Blicke, die sie begleiteten, überwältigten den Jüngling so, daß er die Arme ausbreitete und die Holde ungestüm an seine Brust wie seine Lippen auf die ihrigen preßte. Aber entsetzt ließ er alsbald die Arme sinken und entsetzt zog er den Mund zurück, denn die Jungfrau, die er berührt hatte, war kalt wie Eis und das Gesicht, selbst die Lippen, weiß wie Schnee. Sein Herz, das so heiß geschlagen, erstarrte fast an dem kalten Busen, und der Athem, der sein Gesicht berührte, war eisiger Hauch.

„Bleibe!“ flüsterte sie ihm flehentlich zu. „Fürchte Dich nicht, denn an Deinem Busen will und werde ich erwarmen.“

„Laß mich!“ entgegnete der Jüngling, indem er sich aus ihren Armen loszuwinden suchte, als wären sie Schlangen, die ihn erdrücken wollten.

„Liebe mich, o liebe mich!“ wiederholte sie. „Mein Glück ist meine Rettung und Deine Seligkeit.“

„Ich erstarre!“

„Ich lasse Dich nicht,“ sagte sie, „Du gelobtest mir denn wiederzukommen, wann und so oft ich Dich rufe.“

Ihre Augen suchten die seinigen, und er konnte der Macht derselben nicht widerstehen; er schwur auf ihren Ruf wieder zu kommen, zugleich aber versuchte er von Neuem sich loszumachen und zu entfliehen.

„Noch einen Augenblick, Geliebter!“ bat sie. „Du ahnst nicht, wie wonnig wohl mir die Wärme thut, die von Dir ausgeht. Merke auf! Wenn Abends die Höhen meiner Alpen glühen, so nimm es als ein Zeichen, daß ich Dich hier erwarte, aber wehe Dir, wenn Du Deinen Schwur brichst, wie es feige Menschen oft thun!“

Während sie so sprach, ließ sie ihre Arme allmählich von ihm los, und er wollte nun hinweg eilen. Sie aber hielt ihn noch einmal zurück.

„Nein!“ sagte sie. „Gehen sollst Du nicht. Meine Diener bringen Dich in Deine Wohnung.“

Gleichzeitig legte sie ihm die Hand auf das Herz, das unter der Kälte derselben schwächer und schwächer schlug, bis er endlich wankte und auf den weichen Sitz niedersank. Die Sinne waren ihm vergangen und das Leben schien ganz von ihm gewichen zu sein.

Trugen ihn die Diener der Jungfrau, wie sie gesagt, hinweg? Er wußte es nicht, aber am Morgen erwachte er in seinem Bett.

Er rieb sich die Augen und sah sich um. Hatte er geträumt, oder war Alles wirklich geschehen? Den Eindruck, der ihm geblieben, konnte er indeß nicht von Herzen einen erfreulichen nennen, wenn er sich auch gestehen mußte, daß die Jungfrau, die er in seinen Armen gehalten, schön und liebreizend und daß namentlich ihre Augen zauberisch verlockend gewesen. Wäre nur nicht die Eiseskälte von ihr ausgegangen! Noch jetzt empfand er einen gewissen Schauer, wenn er daran dachte. Freilich hatte sie ihm gesagt, sie würde an ihm und durch ihn erwärmen. Geschah dies einmal wirklich, dann, ja dann mußte sie um noch viel verführerischer und entzückender sein. Wenn dann warmes Blut durch ihre Glieder floß, färbten sich gewiß auch ihre Wangen und Lippen roth, und ihre Schönheit erblühete vollständig. Konnte er diese Umgestaltung bewirken, die sie ihre Rettung und ihr Glück genannt hatte, so war es in der That eigentlich kein großes Opfer von ihm, sie einige Mal noch erkaltend in den Armen zu halten, zumal diese Kälte sicherlich mehr und mehr abnahm und allmählich minder erschreckend wirkte. Ueberdies war sie, wie sie ihm gesagt, die mächtige Herrin und Beherrscherin der Berge, und wenn er auch nur geringen Werth auf die Schätze legte, die sie ihm vielleicht ertheilen konnte, so schmeichelte es doch seinem Ehrgeize und seinem Stolze, durch sie über alle Sterbliche, wenigstens über alle seine Bekannte weit und breit, dadurch erhoben zu werden, daß die Mächtige vor den Söhnen der Herren und reichen Bauern ihm, dem armen Jäger, ihre Liebe schenkte. Er war deshalb bald entschlossen, von Neuem die aufzusuchen, die ihn bereits den Geliebten genannt hatte.

Der Tag war sonnenhell, Adler-Fritz aber blieb gegen seine Gewohnheit daheim, nicht etwa, weil er eine gewisse Ermattung fühlte, sondern weil er in der Nähe sein wollte, wenn die Geliebte ihm das weithinleuchtende Zeichen gebe, in ihre Arme zu eilen. Mit wachsender Sehnsucht harrte er dem Abende entgegen. Endlich kam er, aber nicht der leiseste goldene Schimmer ließ sich an den schneebedeckten Berghäuptern sehen, und da das verabredete Zeichen ausblieb, wagte es auch der Jäger nicht, seine Unbekannte aufzusuchen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_302.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)