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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Mißmuthig, nach den Ursachen grübelnd, die sie wohl fern halten könnten, fast verzweifelnd saß er lange in seinem Hause und erst spät begab er sich zur Ruhe. Als der Morgen wiederum anbrach und die Hoffnung ihn aufrichtete, am Abende dieses Tages werde gewiß seine Sehnsucht befriedigt werden, schlichen die Stunden unbegreiflich langsam dahin, als wollten sie ihn reizen durch ihr Zögern, oder als sollte die Sonne gar nie wieder untergehen. Sie rückte indeß allmählich dem Horizonte näher, endlich sank sie hinab und – die Hochzeitsfackel leuchtete hell und weit in das Land hinein: die höchsten Spitzen der Schneeberge sahen aus, als würden sie mit geschmolzenem Golde übergossen und als ströme die feurige Gluth funkensprühend, mit Staub von Rubinen und Diamanten überstreut, an den Seiten herab. Adler-Fritz stand bereits oben an dem Gletscher, um sofort bereit zu sein, wenn er durch solches Alpenglühen beschieden werde. Die kleinen Lichter, die ihn bei seinen frühern Wanderungen geführt hatten, stellten sich ebenfalls wieder ein, und diesmal erkannte er, entweder weil er genauer hinsah, oder weil sein Auge bereits befähigter war, geisterhafte Wesen zu sehen, daß das, was er für Flämmchen gehalten hatte, ganz kleine, wie Nebelgestalten halbdurchsichtige Zwerge waren, die auf den zierlichen Köpfchen ein Flämmchen, einen Lichtschein trugen, wie Leuchtkäfer. Sie trippelten und tänzelten eifrig vor ihm her und bald gelangten sie an die ihm schon bekannte Eingangshalle. Die Herrin des Eispalastes aber zeigte sich diesmal nicht schon hier, der Jäger wurde vielmehr von einer Anzahl jener kleinen weißen Mädchen empfangen, die er schon einmal gesehen hatte und denen er ohne Scheu folgte. Der große Saal war jetzt durch viele Tausende von kleinen schimmernden Lichtern erhellt. Zu beiden Seiten jenes bläulichen Vorhanges stellten sich die Führerinnen auf; er theilte sich von selbst, um den Jüngling einzulassen, und schloß sich dann hinter ihm. In dem Gemache, das wiederum der lieblichste Duft erfüllte, das aber nicht in röthlichem Lichte glänzte, sondern durch eine an der Decke schwebende schwachleuchtende Kugel nur dämmernd erhellt war, empfing ihn die Gebieterin. Sie saß auf dem weißen Sitze und winkte, neben ihr Platz zu nehmen.

„Willkommen!“ sagte sie. „Und wohl Dir und – mir, daß Du Wort gehalten hast!“

Sie erschien ihm heute so schön, dabei aber so voll Hoheit, daß er nicht sogleich wagte, den ihm bezeichneten Platz einzunehmen, sondern sich vielmehr unwillkürlich vor ihr auf die Kniee niederließ. Sie lächelte, bog sich zu ihm, ganz nahe zu ihm nieder, so daß ihr Gesicht das seinige fast berührte, und sagte freudig bewegt: „Siehst Du, daß bereits nach Deiner ersten warmen Umarmung, nach Deinem ersten heißen Kusse ein leichter rosiger Schein auf meinen Wangen sich zeigt, wie der erste Morgenschimmer am Himmel vor dem Aufgang der Sonne? Fühlst Du, daß mein Athem Dich minder kalt anweht? Auch hier“ – und sie legte die Hand auf den Busen, „beginnt es leise sich zu regen wie im Wintereise, wenn der erste warme Frühlingshauch darüber geht. Ich bin hoffnungsfroher als je.“

Während sie so sprach und der Jäger sich überzeugte, daß allerdings ihre Wangen sich leicht zu röthen begannen, beugte sie sich noch tiefer hinab, drückte ihre Lippen verlangend auf die seinigen und zog ihn zu sich empor. Da er nun nicht mehr zweifeln konnte – weil ihm ja der Augenschein den bereits beginnenden Erfolg zeigte –, daß er zu bewirken vermögen werde, was sie von ihm wünsche; da das Glück, welches ihn nach dem Gelingen erwartete, ihm nicht nur immer wünschens-, sondern auch opferwerther erschien; da ferner ihre Augen schon jetzt in gar zu verlockender Sprache zu ihm redeten, legte er seine Arme um sie und drückte sie fest und lange an sich, als wolle er auf einmal alle Wärme aus sich in sie überströmen lassen. Vielleicht, daß das ersehnte Wunder der Verwandlung schon jetzt und vor seinen Augen geschah! Sie aber schmiegte sich an ihn, und ihre Lippen sogen begierig den warmen Hauch von seinem Munde ein. So lange sie ihn dabei ansah, dauerte er aus, obgleich die Kälte, die von ihr ausging, mit immer tiefer dringendem Schauer ihn erfaßte; als sie aber die Augen, die ihn gebannt hielten, in süßem Schmachten schloß, ließ er auch matt die Arme sinken und sprach leise:

„Ich sterbe!“

Kaum hatte er sich zurückgelehnt, um sich zu stützen, so vergingen ihm die Sinne.

Am andern Morgen erwachte er wiederum in seinem Bette, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Nie hatte er so lange geschlafen. Er, der bisher die Müdigkeit nur in Folge von anstrengenden Bergwanderungen gekannt hatte, fühlte eine seltsame Schwäche in allen Gliedern, und es fröstelte ihn fortwährend. Langsam stand er auf und langsam ging er hinaus, sich in den wärmsten Sonnenschein zu setzen. So saß er lange, sich über sich selbst verwundernd, aber ohne sich zu beklagen, denn er zweifelte keinen Augenblick, daß die sonstige Kraft und Wärme bald zurückkehren würde. Während er sich noch so sonnte, wie Einer, der von schwerer Krankheit erstanden ist, trat sein alter Vetter vor ihn hin, der gekommen war, mit ihm zu reden, und nun kopfschüttelnd vor ihm stehen blieb.

„Was ist Dir?“ fragte er. „Hast Du das Fieber?“

„Nein, Vetter, das Fieber ist es nicht.“

„Was ist’s sonst? Du siehst ganz verändert aus, bleich und matt und sitzest hier in der Sonne?“

„Ich bin spät in der Nacht, oder vielmehr früh am Morgen über die Gletscher gekommen, und die kalte Luft …“

„O, ich habe Dich wohl beobachtet. Was treibst Du? Schon mehrere Tage bist Du nicht wie gewöhnlich zur Jagd ausgegangen. Du schleichst umher wie ein Träumender und wanderst in den Nächten draußen wie ein irrer Geist, der keine Ruhe finden kann. Drückt etwas Dein Gewissen? So gehe in den Beichtstuhl, erleichtere Dein Herz durch ein offenes Geständniß und thue Buße.“

„Vetter, ich habe ein Mädchen gesehen …“

„Also verliebt bist Du? Nun, solches Leiden vergehet meist gar bald. Aber Verliebten ist es sonst immer zu heiß, und Dich fröstelt es?“

„Es ist kein gewöhnliches Mädchen … Oben auf dem Gletscher sah ich sie. Sie ist schön wie keine Andere, reich und mächtig …“

„Auf dem Gletscher? Wie kam sie dorthin und wer ist sie?“

„Ihren Namen kenne ich nicht, ich weiß nur, daß sie mich liebt. Eine hohe stolze Gestalt in weißem Gewande erschien sie mir ..“

„Unglücklicher! Die Eisjungfrau? Hat sie Dich verlockt? Dann wehe Dir und uns Allen!“

„Die Eisjungfrau? Ja, die Beherrscherin der Berge, so nennt sie sich. Habt Ihr von ihr schon gehört? Ihre Macht ist groß und die Zahl ihrer Diener unberechenbar. Sie will mich erhöhen über Alle und glücklicher machen, als alle Sterblichen.“

„Verloren, zeitlich und ewiglich verloren sind Alle, die in die Gewalt der bösen Geister fallen.“

„Sie ist kein böser Geist. Wer ihr nur einmal in die Augen gesehen hat, kann es nicht glauben. Sie will und wird in meinen Armen erwarmen und dann mit mir glücklich sein.“

„Tödten wird sie Dich! Kehre um von dem Pfade des Bösen, auf den Du Dich verirrt hast, so lange es noch Zeit ist. Vertraue Dich unserm frommen Priester an, daß er Dir beistehe mit der Kraft der heiligen Kirche.“

„Ich glaube ihr, die mich liebt, mehr als allen Priestern und hoffe, daß meine Kräfte ausreichen werden, um auszuführen, was sie wünscht und was ich begonnen habe.“

Er erzählte dann, was er bisher gesehen und gethan; wie aber auch der alte Vetter ihn beschwor, abzulassen, er betheuerte wiederholt, treu den Schwur zu halten, den er der Geliebten gethan.

Er setzte in der That seine nächtlichen Besuche fort, so oft das Glühen der Alpen ihn berief, bisweilen mehrere Nächte hinter einander, bisweilen nach kürzern oder längern Zwischenräumen.

Der Frühling verging und es war hoher Sommer geworden. In dieser ganzen langen Zeit hatte der Adler-Fritz nicht einmal seine gewohnte Bergwanderung unternommen, denn alle seine Lust und Freude daran war dahin, wie die Kraft dazu geschwunden. Selbst der nicht eben sehr ermüdende Gang hinauf zu dem Gletscher fiel ihm bei jeder Wiederholung beschwerlicher. Er verfiel von Tage zu Tage mehr, und die Leute im Orte betrachteten ihn mit furchtsamer Scheu, wenn auch nicht ohne theilnehmendes Mitleid, denn Alle hatten vernommen, daß er mit der gefürchteten Eisjungfrau verkehre, und Alle erwarteten, daß sie selbstsüchtig ihm die Wärme seines Leibes und damit das Leben entziehen werde. Er selbst mußte sich sagen, daß er kaum noch ein Schatten von dem sei, was er gewesen, aber er erzählte immer und immer hoffnungsvoll dem alten Vetter, der ihn fast täglich besuchte und mit herzlichem Zuspruch ihn ermahnte, doch von dem bösen Geiste zu lassen, der

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