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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wie ich! – Nach einer langen, fürchterlichen Krankheit konnte ich mich auf nichts mehr besinnen! Mit Mühe mußte mein Gatte mich auf alle vorgefallenen Begebenheiten nach und nach aufmerksam machen - - ich vergaß, wie lange wir verheirathet sind, wo wir früher waren! – Meiner gereizten Nerven wegen verordnete er mir die tiefste Zurückgezogenheit. … Ich bin es zufrieden, – ich liebe ihn, ... und doch sehne ich mich fort von hier; – – die Sonne dieses Landes versengt mir das Herz!“

„Und Deine Kindheit?“

„Meine Kindheit?!“ wiederholte die Traurige mit verwirrtem Lächeln und wiegte das Haupt – – da plötzlich flog ein Strauß aus Rosen, Myrthen und Epheu den beiden Frauen vor die Füße, wie von kecker Hand aus dem Garten auf die Terrasse geschleudert.

Ein leichter Schrei entfuhr Messaouda’s Lippen. Betroffen blickte die Herrin erst auf die Blumen und auf die Negerin, dann über das Geländer hinab; doch sie vermochte Niemand unter den Bäumen zu entdecken; nur meinte sie, die Magnolienzweige über einer fliehenden Gestalt zusammenschlagen zu sehen.

„Schon wieder, – gerade wie gestern um dieselbe Zeit!“ flüsterte Messaouda mit sichtbarer Bewegung und hob den Strauß vom Teppich auf. „Ein Selam – wie sinnreich gebunden! Ei, Herrin, Dich verfolgt ein verliebter Djinn. Wer weiß – – aber was ist Dir? Du bist wie gelähmt vor Schreck!“

„Um Gottes willen, daß er keine Sylbe von dieser räthselhaften Rosenspende erfährt,“ bat die Herrin mit fliegender Blässe. „Verbirg die Blumen, Messaouda!“ – Laß uns hinein gehen; zeig mir meine Perlen und Kleider – komm!“

Die Sclavin folgte ihrer Dame, nicht ohne einen verschmitzten Blick über die Gefilde der Guta zurückgeworfen zu haben, und leise vor sich hin summend: „So kehren uns täglich Asad’s Blumen zurück! – Dem muß das Blut verbrennen, der in die weiße Herrin verliebt ist!“

Während dieser Scene lauerte Asad, der Spion, auf einem Pomeranzenbaum, den er erklettert hatte, und von wo aus er ungesehen die Landstraße, den Park und die Front der viereckigen, maurischen Villa überblicken konnte. Er sah die beiden Frauen auf der Terrasse mit einander sprechen, ohne ihre Stimmen vernehmen zu können, denn dazu war die Entfernung zu groß; auch vermochte er ihre Gesichter nicht zu unterscheiden, nur die weiße und die dunkle Gestalt hoben sich deutlich gegen das grüne Palmenbosket der Terrasse ab.

So hatte er eine geraume Zeit verschanzt gesessen, als er die Straße entlang, zwischen hohen Maulbeer- und Wallnußbäumen, einen einsamen Spaziergänger einher ziehen sah. Asad strengte seine ganze Sehkraft an, den Kommenden zu erkennen. Aber der Unbekannte kehrte um und verschwand wieder. Asad hatte genug gesehen – er hatte den schwarzen, weißgefütterten Burnus des „fremden Sidi“ erkannt und wußte genug. Ruhig blieb er im Pomeranzenbaum sitzen und wartete. Durch die grünen Blätterwände der Bäume und Schlingpflanzen tauchte ab und zu die verhüllte Gestalt des Europäers auf; dieser schien die Runde um die Villa zu machen; er bewegte sich zögernd, vorsichtig, wie ein Dieb, unter den Maisstauden und überhangenden Zweigen hin und her.

Jetzt mußte er hart an dem lauschenden Knaben vorüber; Asad hielt den Athem an; der Fremde, die Kapuze über das Gesicht gezogen, stand im nächsten Augenblick unter dem Pomeranzenbaum; denn von dort aus überschaute er die ganze Terrasse, auf welcher die Negerin ihre schweigsame Herrin zum Plaudern bewegen wollte.

Ein elektrischer Schlag durchbebte den Abendländer, so wie er der Frauen ansichtig ward. Er blieb wie eingewurzelt stehen – seine Brust hob sich heftig – er schob die Kapuze aus den Augen, schirmte die Stirn mit der rechten Hand, und seine Blicke bohrten sich in der Richtung nach der Terrasse fest. Doch vermochte er nicht deutlich genug zu unterscheiden, was er zu schauen begehrte. Bald stampfte er mit dem Fuß auf, blickte wieder in die Höhe, seufzte tief und ballte die Hand krampfhaft vor der Brust.

So stand er, bis ein Entschluß in ihm zur Reife gekommen schien. Auf den Zehen schlich er dicht an einer Cactuswand entlang, bis er ein Magnolienbosket gegenüber der Terrasse erreicht hatte. Noch einmal ängstlich um sich blickend, schlüpfte er unter die großblätterigen Aeste .... Weiter vermochte Asad nichts mehr wahrzunehmen; doch gleich darauf sauste etwas durch die Luft; es war der Strauß, den der Gärtnerknabe vor einigen Stunden zu Markte getragen hatte; – der Wurf gelang – Messaouda hob die Rosen auf – beide Frauen verschwanden – die Terrasse war leer.

Behend glitt Asad vom Baum auf den Rasen hinab, raffte seinen Spaten auf und lief ein paar Schritte bis an die Landstraße. Mit der harmlosesten Miene fing er an, das Erdreich aufzulockern, hin und wieder verstohlen seitwärts durch die Wimpern blickend.

Aber er hatte gut graben, Niemand kam an ihm vorüber; tief einsam war es jeden Abend in der Guta, kaum daß hin und wieder ein Landmann mit seinem Lastthier vorbei zog.

Asad wartete über eine halbe Stunde; aber er war zu zäh, um nach einer halben schon ungeduldig zu werden. Endlich schimmerte der weiße, fliegende Burnus; der Abyssinier grub emsiger; jetzt stieß er den Spaten in den Boden, stützte sich auf den hölzernen Schaft und warf den Lockenkopf in den Nacken. Soeben kam der Fremde des Weges entlang.

„Gott erfreue Dein Herz, habibi sidi!“ rief der Knabe freundlich dem träumerisch Dahinwandelnden zu.

Der Fremde stutzte beim Klang der hellen Stimme und wandte Asad das Gesicht zu, ein interessantes Gesicht von zarter Jugend und zarter Blässe. Ein freudiger Aufschrei antwortete Asad’s Gruße; der junge Reisende öffnete die Lippen zu einer Frage – doch er besann sich, holte tief Athem und dann erst, nach einer Pause, sprach er: „Kleiner, ist die Guta Deine Heimath?“

„Ja, Sidi; mein Vater ist der Gärtner jener Villa.“

„Wem gehört diese Villa?“

Asad schmunzelte geheimnißvoll. Der Fremde war so gespannt, daß er vergaß, die Hand nach der Tasche zu führen und mit dem Gelde zu klimpern. Asad, um ihn immermehr zu reizen, legte vorsichtig den Zeigefinger an die Lippen.

„Darfst Du nicht reden? Wer verbot es Dir?“

Asad biß sich auf die Lippen und blickte so andächtig zum Himmel empor, daß während einer Secunde nur das Weiße seines Auges zu sehen war.

Der Fremde riß nunmehr eine volle Börse aus der Brusttasche und drückte dem stummen Knaben ein Goldstück in die Hand.

„Herr, die Sünde ist schwer,“ begann Asad endlich nach langem Kopsfchütteln. „Mein Leben setze ich auf’s Spiel, indem ich rede.“

Der weiße, junge Mann hing an den Lippen des Gärtnerburschen.

„Den Namen meines Brodherrn weiß ich nicht; von wannen er kommt, ahne ich nicht; die Sprache, die er spricht, versteh’ ich nicht.“

Der Unbekannte gab seine Ungeduld durch eine verzweifelte Gebehrde zu erkennen.

„Jedoch, Sidi, so viel ist gewiß, mein Herr lebt erst seit zwei Jahren im Lande der Sonne; das Abendland ist seine Heimath; der Prophet mag wissen, warum er es verließ! Vielleicht war es ihm unter den Ungläubigen zu geräuschvoll, denn kein Marabout lebt einsamer als er. – Ich will Dir sagen, schöner Sidi, er ist ein weiser Mann, der mit dem Schatz seiner Wissenschaft hieher in die Guta floh; denn er macht jeden Kranken gesund, wie dereinst der wunderthätige Paulus, der Apostel Sidna Aissa’s (Christus).“

„So ist er ein Arzt?“

„Nicht anders. Die Landleute befreit er vom Fieber, ohne dafür eine Kupfermünze anzunehmen. Geheimnißvolle Kräfte weiß er aus den Pflanzen, aus den Wurzeln, aus dem Erdreich zu ziehen, und er braut Zaubertränke, die dem Sterbenden neues Leben einflößen.“

„So steht dem Hilfsbedürftigen sein Haus offen?“

„Wo denkst Du hin, Kühner? Seine Thür ist Jedem verschlossen. Er zieht selbst zu Roß im Lande umher und heilt und lindert, zu ihm aber kommt Niemand.“

„Seltsam!“

„Es ist so todtenstill in der Villa, daß man oft meint, keine Seele wohne darin; denn das Weib seines Herzens lacht niemals ....“

„Er ist vermählt?“

„Nach Eurer Sitte nur mit einer Sclavin; sie ist lieblich wie eine Hyacinthe im Thal, aber“ – der Knabe deutete mit der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_306.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)