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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Unglücklichen und öffneten ihm eine Kammer, wo er nenn Monate elendiglich zubrachte. Endlich wurde auch dieser Aufenthalt verrathen; noch rechtzeitig gewarnt, entfloh Haspinger um Mitternacht am 24. August 1810 über das Gebirg in die Schweiz. Zu St. Maria gewährte ihm der reformirte Pfarrer Püsch acht Tage sichere Unterkunft, dann ging er nach Chur und arbeitete dort als Tapezirer auf dem Schlosse der Gräfin Fuchs. Er hatte sich nämlich zu Innsbruck die Kenntniß dieses Handwerkes, da er bei einem Tapezirer wohnte, einigermaßen angeeignet. Bald darauf schlich er unter tausend Gefahren durch Italien nach Kärnthen. Auf der letzten Station vor der österreichischen Grenze übernachtend, traf er beim Abendessen mit einem französischen Officier zusammen; das Gespräch lenkte sich auf die Kriegsereignisse in Tyrol, und auch vom Mönche ward erzählt. Nachdem Haspinger Tags darauf die österreichische Grenze überschritten, gab er dem Unterofficier, welcher dort die Wache versah, einen Zettel mit seinem Namen darauf, daß er ihn seinem Tischgenossen vom vorigen Abend überreiche. Der Franzose war sehr erstaunt über den gefährlichen Gast, machte jedoch nach einigen Tagen einen kleinen Ausflug in das österreichische Gebiet, um sich mit ihm frei und rückhaltlos zu besprechen. Sie schieden als die besten Freunde.

Zu Wien wurde er in den ersten Tagen des November dem Kaiser Franz vorgestellt. Der Mönch war von Schmerz und Rührung so erschüttert, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzten und die Stimme versagte. Nach einigen Tagen wurde er wieder bestellt, er erzählte vom Kriege und bat vor Allem den Kaiser um Hülfe für jene Tyroler, welche in Folge der Zeitereignisse Weib, Kind und Habe zurücklassend hatten flüchten müssen. Die meisten von ihnen erhielten kleine Pensionen; schwerlich aber belief sich die Gesammtsumme dieser „Gnadengaben“ so hoch, als die Pension von zwei Generalen, welche durch ihre Dummheit dem Kaiser Schlachten verloren und über das Reich tausendfaches Unheil gebracht hatten. Haspinger blieb vorläufig im Kapuzinerkloster zu Wien, wurde jedoch bald daraus durch den Erzbischof von Wien aus dem Ordensverbande entlassen und mit einer Pfarrstelle in Niederösterreich betraut. Dort versah er die Seelsorge, stets seiner gefallenen Waffenbrüder im Gebete eingedenk. Nach und nach beschlich ihn jedoch das Alter, und er wurde als dienstunfähig pensionirt. Gern erzählte der Greis von seinen Thaten, dabei ein Glas Wein schlürfend und im Eifer nicht selten vergessend, daß er in seinen alten Tagen weniger vertrage, als einst in der Jugend, wo er in der Stube beim Sandwirth Etschlands Rebenmost trank. Wie funkelte da sein Auge, wie richtete sich seine ganze Gestalt empor! Krampfhaft ballte sich die Faust und die Rede floß mit einem Feuer, daß man sich fast in die unmittelbare Gegenwart jener längst entschwundenen Ereignisse zurück versetzt fühlte. Ein junger Herr, der einmal bei einem solchen Anlasse zuhörte, rief staunend aus: „Nicht möglich, nicht möglich!“ Haspinger erhob sich, ihn mißverstehend, grimmig und gab ihm eine fürchterliche Ohrfeige mit der weisen Lehre: „Jetzt merk Dir’s, Bue, daß es möglich ist.“ In späteren Jahren verwirrte sich das Gedächtniß Haspinger’s, stets erzählte er zwar die nämlichen Abenteuer, verwechselte jedoch Nebenumstände, Zeit und Ort und vergrößerte die Zahlen. Daher mußte man in der Annahme von Thatsachen, welche aus seinen mündlichen Angaben beruhen, äußerst vorsichtig sein; nicht daß er lügen wollte, er war durchaus eine ehrliche Seele, ein kindliches Gemüth, allein er zollte der Schwäche des Alters seinen Tribut. Dies benutzte mancher Strolch, um nachträglich ein günstiges Zeugniß zu erschleichen; Haspinger bestätigte ihm alle erdenklichen Heldenthaten, wenn er nur keck vortrat und ihm in’s Gesicht behauptete: „Du wirst Dich wohl noch erinnern, daß ich damals bei Dir war und dieses gethan habe.“ Der gute Mann, obwohl hundert Mal betrogen, konnte nicht glauben, daß Jemand so schlecht sei, geradenwegs zu lügen.

So erfreute er sich, trotz seiner Schwächen hochverehrt, eines ruhigen Alters. Da brach 1848 der italienische Krieg los, und die Welschen bedrohten die Südgrenze Tyrols. Allsogleich versammelten sich die zu Wien anwesenden Tyroler und bildeten unter Hauptmann Adolph Pichler eine Compagnie, um zum Schutze des bedrängten Vaterlandes unter schwarz-roth-goldener Fahne an die Grenze zu marschiren.

Da trat plötzlich Haspinger in ihren Kreis und rief mit funkelndem Blick: „Ich will auch nochmals ausziehen, besser ist’s, mich trifft eine Kugel, als daß ich so verkomme.“ Er wurde von den Jünglingen mit Enthusiasmus begrüßt und sein Anerbieten, als Feldpater mitzuziehen, freudig angenommen, obwohl eigentlich nicht abzusehen war, was er noch leisten sollte. Auch die Regierung sah es gern, daß der alte Held nach Tyrol ging, sie hoffte, er werde die Bevölkerung zum Kampf gegen die Welschen begeistern. Der Erfolg entsprach freilich dieser Voraussetzung wenig, der alte Geist von 1809 war erloschen, und daran hatte die österreichische Regierung selbst die größte Schuld. Nicht ohne Mühe gelang es, die Schützencompagnien aufzubieten, Begeisterung war wenig zu bemerken. Als Haspinger in das Pusterthal, seine Heimath, gelangte und die Leute hörten, er sei da, kamen sie wohl in das Wirthshaus, wo er übernachtete, um den „alten Rebeller von Anno Neun“ anzuschauen, wenn er aber von diesem Jahr 1809 redete und man solle wie dort in Masse aufstehen, schüttelten die Männer bedenklich den Kopf, und Einer sagte geradezu: „Wofür?“ Die Angabe von Schönhals, Haspinger sei ausgezogen mit flatterndem Bart, ist ganz unrichtig; als Weltgeistlicher hatte er längst Bart und Kutte beseitigt, sein Kinn war völlig glatt, und er trug einen einfachen braunen Rock. Als man dem Feinde näher kam, schnallte er einen alten Degen um und steckte eine Pistole in den Gürtel. Am glänzendsten wurde er zu Klagenfurt empfangen; man führte ihn auf einem mit Laubgewinden verzierten Wagen in den öffentlichen Garten, wo die Studenten von den Bürgern bewirthet wurden. Er weinte helle Freudenthränen. Mehrere Damen baten ihn, er möge ihnen zum Andenken seinen Namen aufschreiben; er kritzelte mit Bleistift: „Joachim Haspinger und der Herzog von Danzing“. Endlich wurde es ihm zu viel, und er rief, als ihm ein Blatt nach dem andern gereicht wurde: „Na na, glaubt ’s denn, ich sei ein Schreiber?“

Am 4. Mai gelangte der Zug nach Roveredo, wo bereits Gerüchte von einem bevorstehenden Angriff verlautbarten. Nach einem altehrwürdigen Tyrolerbrauche berief Haspinger die Compagnie in die Kapuzinerkirche, um ihr die Generalabsolution zu ertheilen. Er hielt dort eine feurige Rede, die ahnen ließ, was der Mann einst in seiner Jugend gewesen sein mußte.

Die schlichten Worte brachten einen so tiefen Eindruck hervor, daß beim Aufbruche die lustigen Gesellen ernst und entschlossen ausrückten. Am 12. Mai traf die Compagnie zum ersten Male auf den Feind, es entspann sich ein kurzes, aber heftiges Gefecht, bei dem der Schütz Friese gerade an der Grenze zwischen Deutschland und Italien von einer Kugel fiel. Er hatte sich beim Plänkeln hinter den Grenzstein gestellt und ward an diesem Platze getroffen. Man trug ihn zurück. Es war ein erhebender Anblick, als der Heldengreis von 1809 den ersten Schützen, der in diesem Kriege getödtet wurde, mit dem schwarzen Priesterornat zum Grabe begleitete und ihm den Segen ertheilte. Die schwarz-roth-goldene Fahne flatterte im Morgenwinde, – das war eine schöne herrliche Zeit voll großer Hoffnungen, sie sind dort in das Grab gesunken, wie das Opfer des Krieges, welches die Schaar der Jünglinge der Erde übergab. Die Angabe, daß Haspinger an diesem oder einem andern Gefechte theilgenommen, ist völlig unwahr; Alter und Gebrechlichkeit machten es unmöglich. Nach der Beerdigung Friese’s veranlaßte der Hauptmann Pichler Haspinger, sich einige Stunden rückwärts zu den Reserven zu begeben, indem er erwog, daß es nicht gerathen sei, den Greis, welcher raschen Bewegungen nicht mehr folgen konnte, den Wechselfällen des kleinen Krieges auszusetzen. Haspinger willigte, von der Triftigkeit dieser Gründe überzeugt, ein. Nachdem die Dienstzeit der Compagnie abgelaufen war, kehrte der würdige Greis nach Wien zurück, verließ jedoch bald die Hauptstadt, um zu Salzburg einen dauernden Aufenthalt zu wählen. Hier feierte er am 9. September 1855 unter ungeheurem Zulaufe des Volkes in der festlich geschmückten Collegienkirche sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum.

Noch waren ihm einige Jahre behaglicher Ruhe vergönnt, endlich unterlag auch er am 28. Jan. 1858 dem Tode, welchem er so viele Opfer vorausgesendet. Ruhig erlosch sein Dasein, wie Hofer treu und fromm verschied er in festem Gottvertrauen. Als der letzte Vertreter einer großen Zeit stieg er in das Grab, die Erzählungen seines beredten Mundes verklangen dem jüngeren Geschlechte, dem die Empfindungen von 1809 fremd geworden, wie Märchen der Vorwelt. In der Hofkirche zu Innsbruck steht das Denkmal des Sandwirthes. Aufmerksamer als Kaiser Franz ordnete Kaiser Franz Joseph an, daß zu seinen Seiten die Gebeine seiner bewährtesten Waffenbrüder ruhen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_312.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)