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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Levin Schücking.

gewesen. In den Besitz derselben war er durch einen alten französischen Grafen Gruau de la Barre gekommen, der sein ganzes Leben an die Vertheidigung der Rechte Naundorff’s als Ludwig’s XVII. gesetzt, sein treuer Begleiter gewesen war und später den Kindern des Prätendenten ein redlicher Freund blieb. Der Roman ist also in dieser Beziehung als eine historische Quelle zu betrachten. – In „Paul Bronckhorst oder die neuen Herren“ (1858) hat sich das Talent Schücking’s unstreitig am höchsten erhoben. Mehr noch als im „Staatsgeheimniß“ durchgeistigen Dichtung und Realität sich hier gegenseitig. Die Erzählung behandelt die Zerstückelung des Münster’schen Fürstenthums in Folge des Reichsdeputationsbeschlusses und die vorübergehende Herrschaft der Familie Auglure über einen Theil desselben. Die Zeichnung der herzoglichen Familie, welche aus den Niederlanden durch die Franzosen vertrieben war und nun im armen Deutschland mit einer kleinen Souverainetät entschädigt wurde, ist ein Cabinetsstück. Die Gegensätze dieser französisch angestrichenen Herrschaft zu dem derben, zähen, westphälischen Charakter sind von dem Dichter sichtlich mit außerordentlicher Vorliebe aufgestellt worden und geben zu den interessantesten Schilderungen und Conflicten Anlaß. – „Die Marketenderin von Köln“ (1861) ist ein komischer Sittenroman, der auf dem bunten Grunde des Kölner Lebens zu Ende des vorigen Jahrhunderts spielt. Im Rahmen der Neuzeit gespannt sind „die Geschwornen und ihr Richter“ (1861), zugleich mit einer trefflichen Schilderung der deutschen Gerichtszustände und speciell der Moral in dem Wesen der Schwurgerichte.

Leider müssen wir uns wegen räumlicher Rücksichten auf diese Andeutungen über den Charakter der Schücking’schen Romane beschränken. Sie bieten in volksthümlichen Sittenschilderungen, welche selbst mit Hülfe archivalischer Details gegeben werden, das Beste, was wir in dieser Art besitzen. Die ruhige Behaglichkeit der Erzählung, welche an Walter Scott mahnt, die Natürlichkeit der Conflicte und ihrer Auflösungen, die vielfach locale Färbung des Dialogs, der anmuthige Herzenshumor, der oft aus dem Dichter spricht – alle diese Eigenschaften erhöhen in den Romanen Levin Schücking’s die harmonische Grundstimmung. Die Phrase, die Raffinerie der Erfindungen, die künstliche Mache der Mode ist in ihnen nicht vertreten, wohl aber die feine Sinnigkeit, das frische Talent, deutscher Geist und deutsche Herzlichkeit, welche aus der Geschichte des echten, charaktervollen Volkslebens unseres Vaterlandes kostbare Gemälde zu schaffen wissen.

S.-W.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_317.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2020)