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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wenn ich mich in die Erinnerung an mein unstetes Wanderleben versenke, dann tauchen Bilder und Scenen vor mir auf, so frisch, so lebhaft und geschmückt mit so grellen Farben, als ob die Zeit zwischen dem „Früher“ und dem „Jetzt“ nicht wüchse, gar nicht vorhanden wäre: ich höre das Stampfen von Tausenden von Hufen, die Gras und dürres Erdreich in die feinsten Atome zermalmen; ich sehe die gelbe Staubwolke, die über den mächtigen Heersäulen wandernder Büffel emporwirbelt; ich sehe die Thiere selbst, diese Urgebilde physischer Kraft, wie sie dumpf brüllend sich gegenseitig im Scheingefecht oder im ernstlichen Kampf anfallen, oder mit gemessenen Bewegungen behaglich einherschreiten. Die langen Bärte fegen die Erde, die buschigen Mähnen verbergen fast die kurzen dicken Hörner, und aus den glühenden, halbverschleierten Augen wie aus der ganzen, gleichsam selbstbewußten Haltung leuchtet hervor, dem empfänglichen Gemüth leicht verständlich, der Begriff unbegrenzter, süßer Freiheit. –

Ich sehe, wie die riesenhaften Köpfe sich heben und die schwarzen Nüstern dem Winde entgegenrecken; die kurzen Schweifbüschel richten sich empor, und Alles steht wie gebannt. Die Staubwolke trennt sich von den gekrümmten dunkelbraunen Rücken, doch nur auf Augenblicke, denn schon in der nächsten Minute erneuert sie sich wieder, dichter und undurchdringlicher; die Masse der kolossalen Leiber wirbelt durcheinander, der Erdboden dröhnt und bebt, und donnernd stürmt der mächtige Keil dahin, seine Spuren gleichsam verhüllend in Staub und Flugsand, der noch lange über der betretenen Bahn träge in der stillen Atmosphäre hängt.

Weiter schweifen die Blicke in der Vergangenheit: ich sehe vor mir einen Trupp der stattlichen Wüstenjäger; theils zu Fuß, theils zu Pferde kommen sie daher; ihre Waffen funkeln in den Strahlen der Morgensonne; phantastischer Schmuck umgiebt die schwarz behaarten Häupter und die geschmeidigen Glieder, und farbige Linien und gräßliche Malereien verleihen dem nackten Oberkörper und den finstern Zügen einen furchtbar drohenden Ausdruck. – Ich beobachte sie, wie sie vor dem gestampften Boden anhalten und der fliehenden Heerde theilnahmlos nachschauen. Das ist nicht die Art der Büffeljäger, nicht die Malerei, die zum fröhlichen Jagdzuge der glatten Haut aufgetragen wurde. Kein Büffeljäger ist so schwer bewaffnet, kein Büffeljäger umgiebt sich und sein Pferd mit schönem kriegerischem Schmuck und Zierrathen, die dazu dienen sollen, auf prahlende Weise die Kampflust der Feinde aufzustacheln.

Da trennen sich zwei Reiter von dem Trupp und beschreiben galoppirend, nach verschiedenen Richtungen hin, weite Kreise, während drei Fußgänger die Kreise bedächtig durchschneiden. Erwartungsvoll schauen die Zurückbleibenden den Davoneilenden nach, welche, die Blicke fest auf den Boden geheftet, nach den verwischten feindlichen Spuren forschen.

Dergleichen Scenen, dürfen sie nicht als Poesie betrachtet werden? Was wäre es denn sonst, das der beängstigenden Einsamkeit der Urwildniß einen so eigenthümlichen Reiz verleiht? Steht doch Alles im schönsten Einklang mit einander, die unabsehbare Steppe wie die vereinzelten Baumgruppen auf dem Ufer des nahen Flüßchens, die in der Ferne auftauchenden blauen Gebirgszüge wie die phantastisch geschmückten rothen Krieger und die schwarzen Wogen fliehender Bisons. –

Sacré mille tonnerre! Da gehen sie hin und mit ihnen der fette Büffelhöcker, den wir uns zu Mittag rösten wollten!“ So sagte mein grauköpfiger Jagdgefährte, ein so beweglicher Canadischer Trapper, wie nur je einer sein Gewehr auf den grimmigen Gebirgsbären abfeuerte; „ja, da gehen sie hin, beim heiligen Napoleon! Aber scalpiren will ich mich lassen von einem Ohr bis zum andern und nie wieder das Mark aus dem Beinknochen einer jungen Kuh saugen, wenn das dort drüben nicht eine Kriegsabtheilung der Assineboins ist!“

Mit diesen Worten legte er die Büchse, die er schon zur Hetzjagd in die Hand genommen, quer vor sich auf den Sattel, welchem Beispiel ich mechanisch folgte, und deutete mit seinem langen Reserveladestock auf eine Bande von ungefähr dreißig Indianern, die eben aus dem Bett eines kleinen Nebenarm des Yellow-Stone-Flusses nach der Ebene hinaufgeklettert und geritten waren und offenbar die Büffel verjagt hatten.

„Ja, eine richtige Kriegsabtheilung,“ wiederholte er sinnend. „Die Burschen haben sicherlich die Spuren von Schippewä-Räubern im Sande des Flusses verfolgt, oder wir hätten sie eher bemerken müssen. Aber kommt, es ist oft nicht gerathen, selbst befreundeten Indianern auf dem Kriegspfade zu begegnen; wir thun am besten, ohne sie zu beachten, unseres Wegs zu ziehen.“

Ich machte natürlich keine Einwendungen gegen die Ansichten meines gediegenen Gefährten, drückte meinem Pferde die Sporen in die Weichen und ritt an seine Seite.

Wir hatten noch keine zehn Schritte zurückgelegt, als ein lautes Gellen zu unsern Ohren drang, und indem wir uns umschauten, gewahrten wir einen einzelnen Reiter, der mit größter Eile auf uns zugesprengt kam und zum Zeichen friedlicher Absichten seine flache Hand emporhob.

Der Fremdling, eine echte Matoreh-Gestalt, welche durch den flatternden Federschmuck, durch das weite hellblaue Jagdhemde und durch die mit Glasperlen und Messingnägeln reich verzierten Waffen noch bedeutend gewann, galoppirte dicht vor uns hin und forderte uns, wenn nicht mit feindlichem, doch sehr entschiedenem Wesen auf, vorläufig nicht an die Weiterreise zu denken.

Mein Gefährte, der Sioux-Sprache kundig, richtete einige Fragen an den wilden Krieger, erhielt aber nur sehr kurze Antworten, die noch obendrein mit so viel Stolz und einem solchen Ausdruck von Uebermuth auf den schwarz, gelb, blau und roth marmorirten Zügen, aus welchen über der scharfen Adlernase zwei tiefliegende Augen unheimlich hervorfunkelten, gegeben wurden, daß dem leicht erregbaren Franzosen ein Mal über das andere ein „mille tonnerre“ über die bärtigen Lippen rollte.

„Wenn’s nur sechs oder sieben wären, parbleu!“ grollte er in seinem Eifer, „dann wollten wir ihnen schon zeigen, wer hier zu befehlen hat, aber fünfundzwanzig bis dreißig? Beim heiligen Napoleon, das ist zu viel für uns!“

Ich erklärte abermals, daß ich vollständig seiner Meinung sei, konnte aber doch nicht umhin, eine innere Befriedigung darüber zu empfinden, daß es gerade ihrer dreißig und nicht ein halbes Dutzend waren; denn ich kannte meinen Gefährten zu genau, um nicht befürchten zu müssen, daß er im letzteren Falle, trotz seiner friedfertigen Natur, wenn auch nur aus Laune oder um sich etwas Aufregung zu verschaffen, dem Willen der Indianer gerade zuwider gehandelt hätte, obgleich es lauter Krieger waren, die einzeln, Mann gegen Mann, zu bekämpfen, gewiß nicht zu den leichtesten Aufgaben gehört hätte.

Die zuerst abgeschickten Reiter hatten unterdessen ihren Kreislauf beendigt, ohne auf eine Fortsetzung der von der Büffelheerde vernichteten Fährte gestoßen zu sein; die Pfadsucher waren, scheinbar ohne uns zu beachten, dicht bei uns vorübergeschritten und hatten sich, eine Biegung abschneidend, dem Flüßchen wieder genähert, und noch immer verharrte der Haupttrupp auf seiner alten Stelle.

Da ließen die Späher plötzlich ein jubelndes Gellen vernehmen. Sie hatten die Fortsetzung der Spuren am Abhange des Ufers entdeckt, und augenblicklich schickte sich die ganze Bande an, ihnen zu folgen.

Langsam und ihre noch muthigen Rosse nicht ohne Mühe bändigend, näherten sich die malerischen Gestalten. Sie wollten die Späher offenbar einen Vorsprung gewinnen lassen und hielten deshalb, sobald sie bei uns eingetroffen waren, an.

Der Häuptling, ein noch junger Mann, der sich in seinem Aeußern vorzugsweise durch einen prächtigen Kopfschmuck von den Schweiffedern des Kriegsadlers bemerklich machte, wechselte einige Worte mit dem Krieger, der uns so lange bewacht hatte, und nachdem er meinen Gefährten und mich etwa eine Minute lang aufmerksam betrachtet, wendete er sich zu Ersterem. „Meine weißen Brüder werden mich eine Strecke auf dem Kriegspfad begleiten,“ hob er in der Sioux-Sprache an, „sie werden mich begleiten, bis die Sonne den Rand der Steppe berührt, und dann ihr Pulver mit uns theilen. Wir gebrauchen viel Pulver und Kugeln, wenn wir die Pferde zurück erbeuten wollen, welche die Schippewä-Hunde unsern Weibern raubten. Die Schippewä’s sind feige, sie stehlen die Pferde der Weiber, wagen aber nicht die Hand nach den Rossen von Kriegern auszustrecken.“

„Verdammt!“ rief mein Gefährte lachend auf Französisch aus, „glaube nicht, daß die Schippewä’s es anders machen, als die Assineboins; denke, sie nehmen, wo sie können, ohne zu fragen, von wem es kommt. Pulver sollt Ihr dennoch haben,“ fügte er in der Sioux-Sprache hinzu, die er aber reich mit französischen Ausdrücken vermischte; „werdet uns wohl nicht ohne dem aus den Fingern lassen, Ihr die Hälfte, wir die Hälfte, aber mit Euch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_326.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)