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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ziehen? Sacré tonnerre, nicht einen verdammten Schritt! Glaubt wohl, ich habe nichts Besseres zu thun, als spazieren zu reiten?“

„Meine jungen Leute werden die Pferde der beiden weißen Jäger führen,“ entgegnete der Häuptling stolz, „sie werden die Pferde nicht eher von der Hand lassen, als bis der Schatten eines Büffels eine Tagereise lang ist!“

Dem alten Trapper schwebte eine heftige Antwort auf den Lippen, ich ließ ihn aber nicht beginnen, sondern wendete mich mit der Aufforderung an ihn, den Wünschen der Indianer zu willfahren, indem es vom größten Interesse für mich sei, sie auf ihrem Kriegspfad zu beobachten.

„Wohlan denn, wenn Euch darum zu thun ist, dann ziehen wir mit,“ versetzte er, die kurze Geißel auf sein Pferd fallen lassend und so das Zeichen zum Aufbruch gebend. „Möchte im Grunde auch nicht gerathen sein, Streit mit ihnen anzufangen. Tonnerre! Wenn’s nur ein halbes Dutzend wären, aber dreißig ist doch etwas zu viel.“

So grollte und fluchte der alte, unter Gefahren und Entbehrungen ergraute Canadier ununterbrochen fort, bis wir, zusammen mit der wilden Gesellschaft, die Fortsetzung der Schippewä-Fährten erreicht hatten, wo dann eine andere Art des Reisens begann.

Nachdem wir nämlich angewiesen waren, in gleicher Höhe mit ihnen das Ufer zum Wege zu wählen, begaben sich die Indianer in den seichten, mit Hindernissen mancher Art angefüllten Fluß hinab und folgten dann behutsam dessen Lauf gegen Nordosten. Die Räuber, denen sie nachsetzten, mußten ihre Spuren in dem Wasser zu verbergen, mitunter auch ihre Verfolger durch Umwege irre zu leiten getrachtet haben, denn bald nach den Uferabhängen hinauf, bald quer durch das Flüßchen hindurch sah man die Späher, deren Pferde von ihren Cameraden nachgeführt wurden, eilen, während der Haupttrupp dann immer so lange vorsichtig auf derselben Stelle halten blieb, und nur hin und wieder ein Reiter sich eine kurze Strecke zurück begab, um seine Blicke prüfend über die Uferwände gleiten zu lassen.

Unsere Reise ging daher nur sehr langsam von statten. Mein alter Gefährte, der seinen guten Humor wiedergefunden hatte, erging sich in spöttischen Bemerkungen über den nach seiner Ansicht noch immer nicht vollständig ausgebildeten Scharfsinn der Indianer, oder erzählte mit manchen scherzhaften Ausschmückungen irgend eins seiner zahllosen erlebten Abenteuer; ich selbst dagegen beobachtete mit regster Theilnahme die gewandten Krieger, die sich so gänzlich in die Verfolgung ihrer Feinde vertieft hatten.

In den Bewegungen der Späher, die sich unstreitig großen Ruf als Pfadsucher erworben hatten, lag viel, das an das Wesen guter Schweißhunde erinnerte, nur daß, wie die Thiere einzig ihren feinen Geruchsnerven vertrauen, bei diesen Leuten die ganze Kraft, das ganze Empfindungsvermögen allein in den Augen zu liegen schien. Hierhin und dorthin blitzten die von den Lidern halbverhangenen Pupillen; keine Spur außerhalb des Wassers, und wenn sie noch so leise ausgeprägt war, entging ihnen. Es ist oft wunderbar, wie weit der Scharfsinn und die Combinationsgabe dieser Naturkinder in Beurtheilung der kleinsten Merkmale geht. Ein flüchtiger Feind sucht seine Verfolger oft dadurch irre zu leiten, daß er eine Zeitlang seinen Weg rückwärts gehend verfolgt, so daß der Späher in den Abdrücken der Füße eine ihm entgegenlaufende Spur findet. Aber ein rückwärtsschreitender Mensch tritt anders auf, als ein vorwärtsgehender; der Erstere setzt nothwendigerweise zuerst die Zehen nieder, während der Letztere dies mit der Ferse thut. Und nicht nur im Sande, sondern auch im Grase der Prairie, an jedem gebrochenen oder niedergetretenen Halme erkennt der Indianer die ihm bereitete Täuschung. Einige im Gebüsche abgestreifte grüne Blätter erregen seine Aufmerksamkeit, er sieht die Erscheinung an andern ähnlichen Orten sich wiederholen, und er weiß daraus, zu welchem Stamme der Fliehende gehört – eine Zierrath an der Kleidung des letzteren hat die Spur hervorgebracht. Er vermag aus der Beschaffenheit der Fährte zu beurtheilen, wo der Verfolgte stillgestanden und gelauscht, wo er langsam geschritten oder flüchtig davon geeilt; jede verschiedene Biegung eines Grashalmes erregt Gedanken und Schlüsse in ihm, die fast nie fehlgehen; und so genügten bei den Spähern vor uns meist nur wenige gewechselte Worte, um sich über die wahren Absichten ihrer Feinde einverstanden zu erklären.

Der Häuptling und seine Krieger folgten in kurzer Entfernung, und so groß war das allgemeine Vertrauen auf die Fähigkeit und den Scharfsinn der Späher, daß von keiner Seite eine Frage an sie gerichtet wurde, und nur selten, wenn keine Gefahr vorhanden war, die fremden Spuren durch die der eigenen Pferde zu verwischen, sprengten einzelne heran, um die racheglühenden Blicke kurze Zeit auf den Abdrücken der Schippewä-Mocassins ruhen zu lassen.

Meile auf Meile hatten wir zurückgelegt. Mittag war längst vorüber, und die Geduld schien meinen Gefährten verlassen zu wollen, denn häufiger wurde das „tonnerre“ und kürzer wurden seine Erzählungen. Da plötzlich stieß er ein so lautes Lachen aus, daß die Indianer überrascht zu uns emporschauten, und mehrere sogar über die Uferränder lugten, um sich von der Sicherheit der Umgebung zu überzeugen.

Sacré mille tonnerre!“ rief er fröhlich aus, indem er sich, ohne die drohenden Gebehrden der Indianer einer Beachtung zu würdigen, zu mir wendete. „Jetzt will ich Euch sagen, warum die bunten Einfaltspinsel uns ersucht haben, sie freiwillig zu begleiten! Carajo! wie der Spanier sagt; unterscheidet Ihr dort die Büffelheerde, die in der Nähe des Flüßchens lagert? Gut also; sie sehen ein, daß dieselbe bei ihrer Annäherung die Flucht ergreifen wird. Weil aber nun Schippewä-Späher in der Ebene lauern können, sie selbst aber dort unten unentdeckt bleiben wollen, so soll es den Anschein haben, als wenn wir die Bestien verjagt hätten. Beim heiligen General Washington! Schlau ausgedacht! Ja, ja, nur aus diesem Grunde mußten wir – verdammt! ich wollte sagen, baten sie uns, so breit auf dem Ufer zu reiten.“

„Wie wär’ es, Camerad,“ entgegnete ich, nunmehr vollständig über die Absichten der Indianer beruhigt, „wie wär’ es, wenn wir uns dort einen Büffelhöcker oder auch ein paar Zungen holten; ich muß gestehen, daß ich mehr als gesunden Appetit fühle.“

„Um den Buntspechten, die übrigens ganz gute Jungens sind, einen Gefallen zu erweisen? Nein, nein; schnürt Euern Gurt fester, wenn Euer Magen knurrt, aber heute noch Büffel hetzen? Sacré mille tonnerre! Nimmermehr! Sie können uns zwingen, sie zu begleiten, aber Büffel zu hetzen und ihre Feinde auf diese Weise täuschen zu helfen? Caramba! Nimmermehr. Ist einmal mein Grundsatz, neutral zu bleiben; werden so wie so früh genug vom Erdboden verschwinden, die armen Teufel; habe nicht Lust, ihren Hader zu schüren, wird schon mehr wie zu viel von den weißen klugen Leuten geschürt, um ihnen demnächst das Ihrige rauben zu können.“

Bei den letzten Worten war der treuherzige Canadier ernst geworden, und ich bemerkte, daß ein theilnahmvoller Blick aus seinen von buschigen Brauen beschatteten Augen über die Gruppe der Assineboins hinstreifte. Ich wagte nicht, irgend etwas zu erwidern, aus Achtung vor den eben ausgesprochenen Ansichten. Und so ritten wir denn schweigend dahin, bis nach einer Stunde die Büffel auseinander stoben und der Häuptling uns zu sich herabwinkte, um das Pulver in Empfang zu nehmen.

Mit allen Zeichen der Freundschaft trennten wir uns von der kampflustigen Bande und schlugen den Rückweg nach unserer Lagerstelle ein. Unsere Schatten waren mit der nächtlichen Dunkelheit zusammengefallen, aber lange dauerte es noch, eh’ mein Gefährte wieder in der ihm eigenthümlichen leichtfertigen Weise zu erzählen begann; dafür vernahm ich, daß er mehrfach, wie im Selbstgespräch, vor sich hinmurmelte: „die armen, armen Indianer!“


Rechtskunde für Jedermann.
Von Dr. jur. L. Erdmann.
1. Hausfriedensbruch.

Wenn das Rechtsgefühl – einer der edelsten und besten Hebel des gesunden, tüchtigen Volkslebens – nicht blos ein dunkeles Gefühl bleiben soll, so muß es unterstützt und gefördert werden durch die Rechtskenntniß, d. h. die Kenntniß wenigstens derjenigen allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und ihrer Motive, welche im praktischen Leben am häufigsten Anwendung finden und deren Bekanntschaft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_327.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)