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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

auf einen Sitz niedersinkend: „Widerrufen Sie das schreckliche Wort, denn, bei Gott, der Gedanke läßt sich nicht fassen!“

Oliver schwieg.

„Sie konnten es über’s Herz bringen, verbrecherisch in das Rad des Schicksals einzugreifen? – O, o – mir schaudert vor Ihnen; – es kann nicht sein!“ rief Percy entsetzt.

Oliver antwortete nicht.

„Vampyr, Du hast das Grab geöffnet, Du hast Ellen’s Herzblut getrunken? So fließe auch Dein Herzblut! O, wie klein, wie winzig ist diese Rache für zwei elend im Delirium hingeschleppte Jahre eines solchen Gebens! Wehe Dir, Elender!“

„Wohlan, gehen Sie zum Consul, klagen Sie mich an; was liegt daran, daß ich gebrandmarkt werde, da man sie von mir zurückfordert –“

„Nicht den Gerichten gönne ich die Rache – ich selbst will Dich zerfleischen mit diesen Händen. – Es gilt einen Kampf auf Tod und Leben, rüste Dich!“

Oliver, der seine Schuld freiwillig bekannt, der bereits das Opfer der Entsagung gebracht hatte, ihn empörte diese blinde Wuth. In fiebernder Erregung hatte er zwei Pistolen von der Wand gerissen. Douglas ergriff die eine. Da erschien Dolorida auf der Schwelle des Zimmers.

„Percy, mein lieber Percy! Ich bin Ellen, Deine Ellen! – Deine Gattin!“

Douglas ließ die Waffe sinken und, der Sinne nicht mehr mächtig, riß er die Gattin an sich.

„O, nimm sie hin,“ so bebten Oliver’s Lippen, „nimm sie hin, Seligster dieser Erde! Ich überliefere mich selbst dem Gericht, ich will, daß meine Schuld bekannt werde, denn,“ schrie er Douglas in’s Ohr, – „ich will, daß die Welt erfahre: Lady Douglas war die Geliebte Oliver’s’, war freiwillig seine Geliebte!“

„Bube!“ donnerte der Lord ihm zu, „sage, Ellen, daß er lügt, oder –“

Er erhob die eine Pistole, Oliver griff unwillkürlich nach der andern. … Aufschreiend warf sich Dolorida zwischen die Feinde und hielt ihres Gatten Arm fest. Douglas, längst betäubt und verwirrt von dem grauenvollen Auftritt, mißverstand in seiner Raserei Dolorida’s Absicht, die nur ihn schützen wollte, und stieß mit steigender Hast Frage um Frage aus:

„Spräche er Wahrheit? Wußtest Du, was Du thatest? Gingst Du in seine Höllenpläne ein? Besiegte der Mann mit magnetischem Blick die Erinnerung an mich? Siegte er über den unerfahrenen Jüngling, der nur lieben, nicht bestricken konnte?“

Dolorida hing sich flehend an ihn; er drückte sie wild von sich.

„Geh, geh – nicht diese schmelzenden Blicke! Man glaubt solchen Augen und ist betrogen.“

„Percy, mein Geist war umnachtet! Ich war ein willenloses Geschöpf – ohne Erinnerung des Vergangenen.“

„Geh, ich habe Dich nie gekannt, nie an Deinen Lippen gehangen, nie meine Stirn gebadet in diesen Lockenwellen – – ich verleugne Dich!“

Er stürzte aus dem Zimmer. Oliver war auf einen Stuhl gesunken. Dolorida stand mit verstörtem Gesicht, mit aufgelösten Haaren, mit gesunkenem Haupte vor ihm.

„Oliver,“ hauchte sie endlich mit Anstrengung, „Oliver, höre mich! Entweder tödte mich oder laß mich ihm nachfolgen – ihm gehöre ich an – ohne ihn kann ich nicht länger leben.“

Oliver richtete sich empor, stand auf und ging, ohne die Lady anzusehen, nach der Thür. Er öffnete dieselbe und sagte kalt: „Zieh hin – ich habe ferner keine Macht über Dich. Du wirst den Weg finden. Die Allee hinab, wo das Licht schimmert an der Cisterne, jenes Haus – dort findest Du ihn!“

Noch hoffte er, Dolorida würde nicht den Muth haben, in die finstere Nacht hinauszugehen. Er täuschte sich. Sie knieete vor ihm nieder, nahm seine Hand, drückte sie an ihr Herz und flüsterte: „Ich gehe, Oliver – Du oder Percy, Einer muß verzweifeln. Du hast mich heiß geliebt, ich weiß es; nur aus Liebe sündigtest Du. Gott wird Dir vergeben.“ Sie drückte einen brennenden Kuß auf Oliver’s Hand. Er fühlte es nicht mehr. –

„Du thust nur, was recht ist,“ sprach er mit starrer Verzweiflung, „Du gehst zu Deinem rechtmäßigen Gatten, Du stößest den Räuber von Dir – vollende Dein Werk, liefere mich der Gerechtigkeit aus.“

„O Gott im Himmel,“ rief die Jammernde, „nicht diesen Hohn! Nein, nein, so klein, so erbärmlich denkst Du nicht von mir! Du hast mein Herz beherrscht mit Deinem Genie, mit Deiner Güte – bis er kam und mit ihm die alte Liebe – – wie konnte ich anders, Oliver.“ –

Sie erhob sich und schritt dem Ausgange zu. Doch einmal noch kehrte sie zurück, beugte sich angstvollen Blickes zu Oliver und breitete die Hände über die Pistolen auf dem Tische. Worte hervorzubringen vermochte sie nicht mehr.

„Sei ruhig!“ erwiderte er sanft. Daß die Scheidende um ihn bangte, beseligte ihn noch in jenem Augenblick. Er trat an das Fenster und feuerte beide Pistolen in die Dunkelheit ab.

„Dir bleibt Deine Wissenschaft, ein Leben voller Erhabenheit,“ schluchzte sie mit überfließender Seele, „kehre zur Heimath, zu altem Ruhme und neuem Wirken zurück; – wir haben nur unsere Liebe, – gönne sie uns!“

Umsonst harrte sie einer Entgegnung, eines Trostwortes, eines Händedrucks – Oliver war wie empfindungslos. Sie ging aus der Villa. ... Und er blieb allein. ... Ihr leichter Schritt war nicht verhallt, als Oliver die Phiole hervorzog und ihren Inhalt in raschen, gierigen Zügen trank. –

Das Gewitter hatte sich in einen Wolkenbruch aufgelöst, der die ganze Guta unter Wasser setzte. Eisiger Wind blies von Norden her; – ängstlich zogen sich die Damascener in ihre festverschlossenen Häuser zurück; – es war ein Unwetter, als solle die Welt untergehen. Erst gegen Tagesanbruch legte sich der Orkan; erst gegen Tagesanbruch kehrte Douglas in sein Haus zurück; verzweifelt war er in Regen und Sturm hinausgestürzt und während der ganzen Nacht umhergeirrt.

Auf der Schwelle seines Hauses fand er Dolorida todt hingestreckt. Sie hatte die Thür verschlossen gefunden und nicht eintreten können. „Lieber sterben, als zu Oliver zurück!“ war ihr letzter Hauch gewesen. Kälte und Regen, nach einer Aufregung, die ihr Blut in einen Feuerstrom verwandelt hatte, gaben ihr den Tod. – Douglas verlor sie zum zweiten Male.



Einige Zeit später sah man hinter den zartbelaubten Zweigen der durchsichtigen Blätterwand jenes Parks ein räthselhaftes Bild.

Mitten unter prangendem Blumenbeeten eines modernen Gartens erhoben sich auf sammetgrünem Rasen zwei Grabhügel, beide mit weißen Marmorkreuzen geschmückt, von frischen Kränzen und Guirlanden überschüttet; zwischen diesen beiden Gräbern zeigte sich eine offene Grube mit Granit ausgelegt, die auf den Sarg zu warten schien. Am Rande dieser Grube saß ein bildschöner, junger Mann in weißer Kutte und braunem Burnus, nicht anders, als harre er auf den Augenblick des Todes, um in dem dritten Grabe seinen Platz einzunehmen. Es war Douglas.

Unfähig, sich von der Stätte, wo er sie gefunden und abermals verloren, zu trennen, schloß der Lord sich in der Besitzung Oliver’s vor der Welt gänzlich ab, nur der Pflege beider Gräber hingegeben, in deren Mitte er eigenhändig ein kühles Bett für sich gegraben hat. Ohne jemals mit einem Menschen zu sprechen, anscheinend stumpf und theilnahmlos, verwendet er sein großes Vermögen auf die Unterstützung armer Pilger von Mekka und Jericho, auf die Krankenpflege und gottgefällige Werke, um den Damascenern einigermaßen den schweren Verlust des berühmten Arztes, des abgeschiedenen Oliver, zu ersetzen. Oft, im Mondschein, hält er halbvernehmliche Gespräche mit den Geistern der Verstorbenen; wer seine Geschichte nicht weiß, könnte ihn für glücklich halten, so verklärt ist dann sein Antlitz. Aber er schwindet zusehends dahin, und bald wird er den ersehnten Platz unter dem Rasen einnehmen.

Wer denkt hier nicht an Shakespeares Worte:

Sich härmend und in bleicher, welker Schwermuth,
Saß er, wie die Geduld auf einem Grab,
Dem Grame lächelnd.“




Für W. Bauer’s „Deutsches Taucherwerk“

sind ferner (bis zum 10. Mai) eingegangen: 151 Thlr. 29 Ngr. 9 Pf – 22 fl. rhein. und 7 fl. 20 Nkr. österr. Währung, worüber wir in nächster Nummer ausführlich quittiren.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_336.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)