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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 23.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Zwei Welten.

Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Er hatte unter der Zahl der mit ihm angelangten Gäste den großen Gesellschaftssaal betreten; noch lag über der Menge der bereits Anwesenden die eigenthümliche Ruhe, welche das Fehlen noch erwarteter hauptsächlicher Persönlichkeiten andeutet, und langsam wandelte er zwischen den Gruppen der Herren hin, mit scharfem Auge die glänzenden Reihen der Damen musternd, ohne indessen irgendwo seinen Blick gefesselt zu fühlen, und dann sich nach einem befreundeten Gesichte umsehend, that einen Blick in die anstoßenden, noch leeren Räume, und eben steuerte er durch die immer zahlreicher sich ansammelnde Menge einer Fensternische zu, von wo er den Wink eines näheren Bekannten aufgefangen, als eine allgemeine Bewegung sich in der Gesellschaft geltend machte und zugleich das halblaute Rauschen der Conversation in seiner Nähe verstummte. Er wußte, daß der Hof angelangt war, und unwillkürlich änderte er seine Richtung. Als er indessen, sich langsam durch die gebotenen Zwischenräume windend, sich der Mitte des Saales genähert, sah er, daß die Vordersten der Angekommenen schon nach ihren Sitzen geschritten waren; noch folgte aber ein voller Damenflor, begleitet von Cavalieren in den verschiedensten Hof- und Militair-Uniformen, und plötzlich blieb sein Auge in einer bestimmten Richtung haften, während die Farbe aus seinem Gesichte wich. Dort schritt sie, deren Erscheinen alle seine Gedanken entgegengeharrt, langsam zwischen den Uebrigen hin, so berückend schön in der duftigen Balltoilette, daß er die Hand gegen das Herz drücken mußte, welches für das plötzlich zuströmende Blut kaum Raum genug zu haben schien – so ernst und stolz aufgerichtet, als sei all die Entfaltung vornehmen Glanzes umher nur Gewöhnliches für sie. An ihrer Seite ging ein hoher Mann mit vollem dunklem Bart in ausländischer Uniform, sichtlich bemüht, ein angeknüpftes Gespräch fortzusetzen; kaum schien sie indessen seinen Worten zu horchen, und erst als in diesem Momente das Orchester einen rauschenden Satz begann, ging es wie ein neues Leben in ihren Zügen auf. Sie ließ den Blick aufmerksamer über ihre Umgebung schweifen, Hugo sah ihr Auge dem seinigen begegnen – aber achtlos glitt es weiter. Da, als sei ihr sein Blick erst zum Bewußtsein gekommen, kehrte der ihre plötzlich zurück, blieb in sichtlicher Ueberraschung an seinem Gesichte hängen, und ein flüchtiges Roth schoß in ihren Wangen auf. Mit den ersten Tönen der Musik indessen war eine neue Bewegung unter die Versammelten gekommen, zwischen ihm und den Letztangelangten fluthete die Menge der Gäste zusammen, ihm jede Möglichkeit für einen zweiten Blick raubend; aber in einer Empfindung, als hänge von der nächsten Minute der Verlust oder Gewinn seines ganzen Lebensglückes ab, durchbrach er die trennende Masse, kaum der nöthigsten Form zur Entschuldigung seiner Kometenbahn genügend, und fand sich in der nächsten Minute neben dem Begleiter des Mädchens, der soeben den Kopf tief nach ihr herabgebogen hatte, als benutze er das Geräusch der Musik, um ihr ein bedeutsames Wort zu sagen. Aber Hugo sah auch ihr Gesicht sich wie in verhaltener Ungeduld heben, sah in der nächsten Secunde, wie ihr Auge ihn entdeckt und sie mit auflebenden Zügen eine Bewegung machte, als wolle sie sich ihrem Begleiter entziehen und sich ihm selbst zuwenden, und nur dem innern Drange folgend, war er rasch an sie herangetreten, sie mit einem englischen: „Darf ich Sie begrüßen, Miß?“ anredend.

„Bleiben Sie neben mir, so lange es angeht,“ erwiderte sie, nach einem raschen Aufblick in sein Auge das ihre senkend, „ich bin überrascht, Sie hier zu sehen, aber ich bin im Augenblicke glücklich darüber; es ist etwas Entsetzliches um diesen Zwang, jeder faden Rede Stand halten zu müssen.“

„Sie wissen, daß es nur Ihres Wortes für mein Handeln bedarf,“ versetzte er, seine Stimme dämpfend, eifrig, während die vertrauliche Art ihrer Begrüßung ihn wie ein Schauer von Glück durchrieselte, „aber,“ fuhr er zögernd fort, „wie nenne ich Sie auf diesem Boden der Förmlichkeit? Es ist ja noch nicht einmal das Erste und Nothwendigste in diesen Kreisen, eine Vorstellung, zwischen uns erfolgt; das einfache „Mylady“ mag über die erste Schwierigkeit helfen –“

Sie hob rasch den Kopf, und ein Zug voller Laune überflog ihr Gesicht. „Mylady?“ wiederholte sie. –

Da öffnete sich plötzlich ein freier Raum vor ihnen, in welchem die Vorangeschrittenen bereits ihre Sitze einnahmen – der Referendar zögerte mechanisch einen Augenblick, in diesen Kreis, den nur die Creme der Anwesenden zu bilden schien, einzutreten; da fühlte er seine Schulter berührt und aufblickend sah er in das zornig funkelnde Auge des frühern Begleiters seiner Wiedergefundenen.

„Wenn Sie ein Mann von Ehre sind, so folgen Sie mir!“ hörte er die gedämpfte französische Anrede, in welcher indessen eine Aufregung klang, die ganz dem begleitenden Blicke entsprach, und Hugo wußte sofort, um was es sich handeln würde. Aber es war eine fast freudige Empfindung, die ihn bei der Aufforderung überkam, eine Art Genugthuung, seine Stellung zu dem Mädchen sogleich vertreten zu können, und nur eine Secunde lang blickte er unsicher nach ihrem Gesichte umher. Schon sah er aber nur fremde Gestalten um sich und mit einem kurzen, bedeutsamen: „Ich bin bereit, Monsieur!“ richtete er sich zu seiner vollen Höhe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_353.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2020)