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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und Boudoir in Vereinigung darzustellen schien. Die einzelnen umherliegenden weiblichen Arbeiten, Tändeleien und eleganten Bücherbände aber gaben inmitten der herrschenden Ordnung und Sauberkeit dem Raume einen eigenthümlich wohlthuenden Charakter von Behaglichkeit.

Zwei Mädchen saßen unweit des Fensters; das eine, anscheinend ältere, mit dunkeln, scharf sinnenden Augen in’s Freie blickend, während das zweite auf einem Bänkchen zu Füßen der Gefährtin Platz genommen, ihre beiden Arme auf deren Kniee gelegt hatte und mit einem halb ängstlichen Ausdruck in dem milden, lichtbraunen Auge zu dem Gesichte der Ersteren aufsah.

„Ich wage es, Helene,“ sagte diese jetzt, wie in einem raschen, festen Entschlusse zurückblickend; „was kann er Anderes thun, als mich zurückweisen und schlimmsten Falls zur Thür hinausführen? Ich muß reden, denn Du vermagst nichts, als wie die selige Mutter zu dulden und zu schweigen, die Großmutter aber ist noch nicht unterrichtet, und wenn sie auch Alles wüßte, zweifele ich doch noch, daß sie etwas thun würde; sie scheint den eigenen Enkel ans dem Herzen gestoßen und dafür den Schuldirector hinein genommen zu haben, – Hugo hat jetzt kaum einen andern Wortführer als mich! – Es wäre vielleicht Manches anders,“ fuhr sie dann mit einem leichten Zuge des Unmuths fort, „wenn Römer bisher nur die Hälfte des Muthes gehabt, den er jetzt zeigt, und seinen Besuchen einen bestimmten Charakter gegeben hätte; damals hätte er ein stets versöhnendes Element zwischen Hugo und dem Vater werden können – jetzt ist es für Alles, was er auch unternehmen möchte, zu spät!“

„Aber was hätte er denn thun sollen?“ erwiderte Helene, plötzlich den feinen Rücken gerade aufrichtend, während ein dunkler Strahl in ihr Auge schoß – da traf ein eigenthümlich forschender Blick der Schwester den ihren, und ein helles Roth breitete sich über die feinen Züge der Fragenden. „Es ist nichts von dem, was Du meinst,“ sagte sie, mit leisem Kopfschütteln die Augen senkend, „sonst wüßtest Du es. Der Vater hat mich einmal gefragt, ob irgend ein Verständniß zwischen mir und Römer existire; er that es damals so plötzlich, daß ich in dem unwillkürlichen Schrecken blaß geworden sein muß; aber ich konnte ihm nur mit Nein antworten, und das,“ hob sie die Augen, in denen eine unterdrückte Empfindung zu zittern schien, „ist auch noch heute die Wahrheit, Marie! Nachher hat der Vater einmal in Römer’s Gegenwart gesagt, es sei gegen seine Natur, ein Vertrauen zu den Verhältnissen von Spekulanten zu fassen; dazu aber gehöre eigentlich jeder Kaufmann, der auf Chancen hoffe und über das einfach solide Geschäft hinausgehe. Und ich sah es Römer an, daß er die Worte nur seinethalben gesagt glaubte – was hätte er denn thun sollen, um für Hugo zu wirken?“

Ueber der Andern Gesicht glitt rasch ein Ausdruck von Sorge. „Bin ich denn mehr als drei Jahre älter als Du? und doch scheine ich im ganzen Hause die allein Sehende zu sein,“ sagte sie und schob sanft die Hände der Schwester von ihrem Schooße. „Du und Römer spielt noch zusammen die verschämte Schulneigung, die jedem bestimmten Worte ausweicht; aber sage mir doch: willst Du dabei zuletzt den süßen Schuldirector heirathen?“

„Aber Marie, wie bist Du denn?“ fuhr die Jüngere auf, während es wie ein innerer Schrecken in ihren Blick trat.

„Gut, so sieh klar um Dich und wirf die kindliche Harmlosigkeit von Dir; sie thut es nicht in unsern Verhältnissen!“ erwiderte Marie, das dunkle Auge groß und ernst in das Gesicht der Schwester richtend. „Glaubst Du denn, der Mann sitze stundenlang bei der Großmutter, um der alten Frau willen? oder er verkehre meinetwegen im Hause, die er kennt und der er trotz seines süßen Lächelns gern so weit aus dem Wege geht, als er kann? oder er lasse sich zu des Vaters Meinungen bekehren, weil er von diesem lernen wolle? Sieh um Dich, Helene, daß Du mit Dir und Deinem Herzen klar wirst, ehe einmal der Vater seinen bestimmten Willen ausspricht und Du Dich vergebens zur Großmutter flüchtest. Und jetzt will ich gehen,“ setzte sie, sich rasch erhebend, hinzu, „und Gott gebe nur, daß ich komme, ehe sein Entschluß zur vollen Reife gediehen ist!“

„Ich gehe mit Dir!“ rief Helene, sich langsam aufrichtend, und in dem milden Auge glänzte es wie eine plötzlich gewonnene Sicherheit, „er soll uns Beide zur Thür hinausführen, wenn er hart bleiben will; um Hugo’s willen kann ich wohl mehr als dulden und schweigen!“

Marie hatte einen überraschten Blick nach ihr gewandt; dann nickte sie leicht wie in Beantwortung eines eigenen Gedankens, küßte das Mädchen auf die Stirn und sagte: „Komm!“

Sie schritten zur Thür in den breiten Corridor hinaus, welcher den ersten Stock des weitläufigen Gebäudes durchschnitt. Hier war die Privatwohnung des Geheimeraths Zedwitz, – das Parterre und ein Theil des Hintergebäudes nahmen die amtlichen Büreaux der verschiedenen Abtheilungen ein. Nur durch das leichte Rauschen der Gewänder hörbar durchwanderten die Mädchen wortlos den langen Gang; Marie, den Kopf mit dem glänzenden, dunkeln Haare muthig aufgerichtet, während dennoch ein leichter Zug von Trauer um den frischen Mund lag; Helene, fast einen halben Kopf kleiner als ihre Begleiterin, das blondumrahmte Gesicht leicht zur Seite gebogen, fast wie das junge Reh, das seinen ersten kecken Schritt thut – Beide schlank wie junge Tannen, die feinen Taillen knapp von den einfachen, aber tadellos saubern Hauskleidern umschlossen. Am Ende der Zimmerreihe war der Eingang nach dem Arbeitscabinet des Geheimeraths, durch ein Vorzimmer von dem Corridor getrennt, und an diesem öffnete Marie vorsichtig die Thür.

Von einem seitwärts stehenden, mit Papieren bedeckten Tische erhob sich eine lange, derbknochige Gestalt und richtete sich beim Erkennen der Eintretenden respectvoll auf. Der lange graue Schnurrbart, die breite Glatze und die tiefen Falten des Gesichts deuteten auf ein schon vorgerücktes Alter, aber die lebendigen Augen unter den weißen buschigen Brauen verriethen eine noch ungeschwächte innere Frische.

„Haben Sie den Vater schon gesprochen, Mangold?“ fragte Marie, vorsichtig ihren Ton dämpfend.

„Er hat noch nicht geklingelt,“ erwiderte der Angeredete halblaut und zog in vertraulicher Weise den Kopf in die Schultern; „aber es ist schon eine Stunde, daß er drin herumwandert und dazwischen sich zeitweise an das Schreibepult setzt – ich höre dann den Drehstuhl knarren. Sie kommen wegen –?“ setzte er zögernd und mit einem plötzlichen Ausdrucke von Sorge hinzu, während er einen Blick des Verständnisses mit dem Mädchen austauschte; „ich denke, Fräulein, Sie kommen nicht eine Minute zu früh, wie ich die Luft hier kenne – sie ist mir noch nicht wieder so schwül vorgekommen, seit damals, ehe die gnädige Mama starb!“

Ein eigenthümlicher, fast starrer Zug legte sich bei den letzten Worten des Alten zwischen Mariens Augen. „Komm!“ sagte sie, die Hand der Schwester erfassend, und schritt mit dieser der vor ihr liegenden Thür zu.

Der Geheimerath stand, die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen, mitten in dem geräumigen Arbeitscabinet, das wenig mehr als die gewöhnlichsten Bequemlichkeiten zeigte, das Gesicht dem Fenster zugerichtet, und wandte sich beim Geräusch der geöffneten Thür rasch und unwillig um. Der Mann war kaum von Mittelgröße und nur wenig corpulent; aber es lag in diesem graublauen Auge, auf der breiten, nur von dünnem Haar beschatteten Stirn und in den bestimmt ausgeprägten Zügen eine innere Sicherheit, die beim ersten Blicke Respect erzwang. Beim Anblick der Eintretenden bog er leicht den Oberkörper zurück, während es wie eine unangenehme Erwartung über seine Stirn ging. Marie aber begegnete voll dem auf sie gerichteten Auge und trat leichten Schrittes auf ihn zu.

„Wir haben Dir einen guten Morgen sagen und daneben ein herzliches, freundliches Wort mit Dir reden wollen, Vater!“ begann sie mit einem leisen Beben nervöser Erregung in ihrer Stimme.

„Wir wissen, daß Hugo in der Stadt ist und Dich um ein Gespräch gebeten hat; wir wissen aber auch, daß Du vorher schon ungehalten auf ihn warst, und fürchten, daß Du ihn jetzt um so mehr kurz abweisen möchtest. Nun bitten wir Dich von Herzen, Vater – wenn die Mutter noch lebte, würde sie es thun, so aber hat er doch nur uns – sprich mit ihm, Vater, er glaubt sich vor Dir rechtfertigen zu können, und dem ärgsten Verbrecher, was er doch nicht ist, wird ja ein Gehör nicht verweigert!“


(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_356.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)