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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und die sich daran knüpfenden Sagen erzählend. Vor mir auf dem Rasen tummelten sich in der Morgenkühle meine stattlichen Pferde, während die Boedjang (spr. Budjang, javanesische Diener) damit beschäftigt waren, meine Kisten und Kasten aufzuschnüren, um in möglichster Kürze Gemüthlichkeit und Bequemlichkeit in meiner neuen Behausung herzustellen.

Ihre Thätigkeit wurde plötzlich durch einige laut gesprochene Worte des Häuptlings unterbrochen, der aufstehend nach dem Gebirge zeigte und mir sagte: „Toewan, goelang-goelang“ (Herr, ein Staffettenreiter!) Aller Augen wandten sich nach der angegebenen Richtung, und ich gewahrte einen jener unglücklichen, geplagten Javanen, die sich ihre kümmerliche Existenz dadurch verdienen, daß sie Tag und Nacht unterwegs sind, um für ein Geringes sowohl Privatbriefe als auch Staatsdepeschen in kürzester Zeit zu überbringen; er ritt den steilen Gebirgspfad mit Sicherheit herab, und als er meiner ansichtig wurde, spornte er sein übermüdes Pferd zur letzten Kraftanstrengung an.

Wie ich mir gleich dachte, war es ein an mich gerichteter Brief, den der Ueberbringer aus einem sorgfältig zusammen gelegten, roth kattunenen Kopftuche hervorholte und mir, nach dortiger Sitte, knieend übergab. Es war ein Billet meines Freundes W., ein Billet so kurz und bündig wie er selbst, das nur folgende Worte enthielt:

„Lieber Freund!

Bei mir in Soebang wird der Weihnachtsabend gefeiert; ganz Deutschland wird vertreten sein, daher erwarte ich auch Sie mit Bestimmtheit.

Ihr W.“

Diese Einladung, so unerwartet sie kam, war mir dennoch sehr lieb, und ich freute mich herzlich, meine elf Cameraden wiederzusehen und mit ihnen das Christfest zuzubringen, denn wir waren ja zwölf junge Deutsche, freilich aus den verschiedensten Königreichen und Fürstenthümern stammend, aber doch Deutsche, zufällig Tausende von Meilen von unserm lieben deutschen Vaterlande in Indien auf einer Scholle Land zusammengewürfelt, Alle in holländischen Staatsdiensten und vom Genie-Büreau mit der topographischen Vermessung der Provinz Cheribon betraut.

Die Entfernung von Toendagan nach Soebang betrug über dreißig englische Meilen, eine Entfernung, die ich gewohnt war auf ebenen Wegen in kurzer Zeit zurückzulegen; aber die Gegend, in der ich mich befand, war eine der unwegsamsten, der wildesten Java’s; ich mußte über den südlichen, dreitausend Fuß hohen Gebirgsrücken, Thäler und Flüsse passiren, dann eine neue Bergkette ersteigen, auf deren hohem Plateau Soebang, versteckt im dichtesten Urwalde, lag.

Ich ließ mir sofort ein warmes Frühstück nach Landessitte, aus gekochtem Reis und gebratenem Huhn bestehend, bereiten, setzte meine Waffen in besten Stand, und nach Verlauf von zwei Stunden saß ich schon wieder im Sattel und sprengte auf meinem prächtigen persischen Jagdpferde, einem Geschenke des Sultans von Cheribon, den wildromantischen Gebirgen zu. Vor mir ritten zwei des Weges kundige Einwohner Toendagan’s, die voraussehend, daß ich erst am späten Abend mein Ziel erreichen würde, einige Fackeln bei sich führten, hinter mir meine beiden Boedjang, der Eine mein geladenes Gewehr in der Hand, der Andere den in Indien unentbehrlichen Tali-api (eine brennende Lunte) und mein Cigarrenkästchen tragend. Trotz der großen Strapazen der vorhergehenden Tage legte ich diesen beschwerlichen Ritt mit dem nur der Jugend eigenen frohen Sinn zurück und langte, nachdem ich am Mittag eine Stunde geruht und mich mit der Milch einiger Kokusnüsse erfrischt, am Abend in der Dunkelheit auf dem Plateau von Soebang an. Dort erst fand ich einen breiteren Reitweg durch die Wälder der Hochebene vor, und so erreichte ich nach kurzem, scharfem Ritt Abends gegen acht Uhr Soebang, wo meine Freunde mich, den zuletzt Angekommenen, jubelnd begrüßten.

W. bewohnte ein sehr großes Bambushaus; dasselbe bestand aus einem langen, viereckigen Saal, an dessen längeren gegenüberstehenden Wänden auf jeder Seite vier Thüren nach ebensoviel kleinen Stübchen führten, während an den beiden kürzeren Seiten große, stets geöffnete Flügelthüren den Saal mit Vorhallen verbanden, von denen die eine an der Straße lag, die andere die Hinterseite des Hauses bildete. Diese geräumige Wohnung hatte W. mit allen möglichen Bequemlichkeiten versehen, ich möchte beinahe sagen, mit Luxus ausgestattet, was er zwar besser vermochte als wir, da er, der Aelteste von uns Allen, zugleich unser Vorgesetzter war, der, während wir uns nur kurze Zeit in einem Orte aufhielten, seinen Wohnsitz auf längere Dauer in Soebang genommen hatte, von wo aus er die topographische Aufnahme leitete und beaufsichtigte. W. selbst, ein Oesterreicher von Geburt, war einer der edelsten Charaktere, die ich je getroffen; er war zwar schon fünfzehn Jahre in Ostindien, als ich dort ankam, bedeutend älter als wir Alle, aber die Liebenswürdigkeit, mit der er stets in unsere damals oft noch unreifen Ideen einging, die Schonung, mit welcher er dem Unerfahrenen und Kenntnißärmeren entgegentrat, und die strenge Unparteilichkeit, mit der er unsere Leistungen kritisirte, machten ihn so ungemein beliebt bei uns, daß wir stolz darauf waren, seine Freundschaft zu besitzen.

Als ich vom Pferde gestiegen, drückte er mir herzlich die Hand, indem er ausrief: „Das ist schön, daß Sie auch gekommen sind; nun sind wir Alle zusammen und können einmal wieder auf deutsche Weise Weihnachten feiern! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, bester Freund, wie sehr ich mich auf den heutigen Abend gefreut habe, denn in den sechszehn Jahren, die ich in Indien bin, ist es das erste Mal, wo es mir vergönnt ist, das schöne Weihnachtsfest einzig und allein im Kreise von Landsleuten zu feiern!“

Er führte mich in die Vorhalle, und nachdem ich meine Cameraden sämmtlich begrüßt und dort mit ihnen einige Erfrischungen genommen, öffnete W. die bis dahin verschlossen gewesenen Flügelthüren zum Saale. Ein Ruf der Ueberraschung und Freude entglitt unsern Lippen! Das Gemach war hell erleuchtet; inmitten erhob sich eine hohe, prächtige Palme, von oben bis unten mit brennenden Kerzen geschmückt und mit allen erdenklichen Sachen behangen; vor derselben stand ein gedeckter Tisch, wo Jeder von uns ein Geschenk vorfand, ein Geschenk aus Deutschland stammend, das uns an das liebe Vaterland erinnerte. Schweigend traten wir in den Saal; es herrschte eine feierliche Stille, denn da war kein Auge thränenleer, kein Herz, das nicht stärker klopfte, keine Seele, die sich nicht wehmuthsvoll der Erinnerung an die vergangenen glücklichen Jahre in der Heimath hingab. Wir reichten tiefgerührt unserm liebenswürdigen, aufmerksamen Wirthe die Hände und gaben uns dann so recht der ungetrübten Freude hin, die ja am Christabend in jedes noch etwas empfängliche Herz in so reichem Maße einzieht und die, ich möchte beinahe behaupten, diesen Abend erst zu einem wahren Festabend weiht. W. war nicht weniger glücklich als wir Alle; unsere Freude schien ihm die größte Genugthuung für seine Mühe und Aufmerksamkeit zu sein, und man hätte glauben können, einen glücklichen deutschen Hausvater im Kreise der Seinen zu sehen, hätte die Palme uns nicht ernst daran erinnert, daß wir Tausende von Meilen von unserm Vaterlande waren.

„Aber jetzt, meine lieben Freunde,“ rief W. plötzlich, „wird es wirklich Zeit, daß wir meine Haushälterin berücksichtigen, denn ich glaube, sie macht schon ein böses Gesicht, daß wir so lange Anstand nehmen, ihrem sorgfältig zubereiteten Mahle die gebührende Ehre zu erweisen. Wessen Magen daher hülfsbedürftig ist, der komme!“ und mit diesen Worten wandte er sich, von uns gefolgt, der hell erleuchteten Halle hinter dem Hause zu, wo eine reich besetzte Tafel uns erwartete. Lachend und scherzend setzten wir uns, und ich kann wohl mit Recht sagen, dieser Abend, oder besser diese Nacht war, was ungezwungene Heiterkeit, Laune und Unterhaltung betraf, für mich eine der angenehmsten und genußreichsten, die ich je in Indien verlebt habe. Einer suchte den Andern an Witz zu überbieten, Einer den Andern an genialen Bemerkungen zu übertreffen und an Gedankenreichthum zu überflügeln.

Was mich betraf, so beobachtete ich erst längere Zeit, sowohl unsere heitere Gesellschaft als auch unsere Dienerschaft, denn es war interessant und ergötzlich zu sehen, wie unser Gefolge und unsere Boedjang, einige Schritte von uns auf über den Rasen ausgebreiteten Bambusmatten lagernd und ihre Mahlzeit verzehrend, uns neugierig, beinahe entsetzt angafften, indem sie sich sicherlich selbst sagten, daß sie nie ihre Herren in so ausgelassener Laune gesehen. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß während des Mahles ein Toast den andern verdrängte, und es wären wohl noch unzählige gefolgt, hätte W. nicht plötzlich mit sonorer Stimme das herrliche Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ angestimmt. Kräftig fielen wir alle ein, und so tönte dies kernige Volkslied hoch oben auf Soebang’s Plateau durch die Stille der Tropennacht, während nur das ferne, dumpfe Gebrüll des Tigers im Urwalde dem deutschen Liede Beifall zollte. Plötzlich wurde unser Gesang durch einen furchtbaren Schrei vor dem Hause unterbrochen, ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_359.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)