Seite:Die Gartenlaube (1862) 370.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

das Richtige trifft und einen allmächtigen Einfluß auf den ganzen Gang der Menschheit ausüben könnte, wenn nur die wahre Bestimmung des Frauengeschlechts in ihrer ganzen Bedeutung erkannt würde. Das Mittelalter mit seinem Frauen-Cultus, das Amerikanerthum, als es die Stellung seiner Ladies bezeichnete, wußten recht gut, welchen sittlichenden, sänftigenden Factor sie damit in’s Leben riefen, und wenn jetzt in unsern deutschen Verhältnissen der Cultus der Frauen seine volle Berechtigung hätte, würde es nicht nur vielfach in unserem häuslichen Leben anders stehen, sondern auch unser ganzes modernes Streben, das die Gefühlswelt völlig ausschließt, das dem nüchternen Stückchen Verstand nur allein ein Recht geben will und alles Uebersinnliche mit dem Zollstocke des beschränkten menschlichen Gehirns zu messen unternimmt, würde nicht auf die jetzigen Abwege gerathen sein. Ich besitze nicht die siegende Kraft eines allgemeinen Reformators, und so schaffe ich nur mir eine kleine Welt nach meiner Ueberzeugung, habe den Frauen-Cultus in meinem eigenen Leben aufgestellt und weiß, daß ich nichts Besseres zu meiner eigenen Veredelung zu thun vermag. Da haben Sie Alles, gnädige Frau! Junge Mädchen sind noch gährender Most – es giebt allerdings einzelne bevorzugte Naturen darunter,“ setzte er langsam, die Augen senkend hinzu, „denen jede Übergangszeit erspart ist, die wie Lilien sich in keuscher selbstbewußter Ruhe dem Lichte erschließen –“ er hielt, wie seinen Gedanken folgend, inne.

„Sie sind dennoch ein sonderbarer Mann,“ sagte die alte Dame, ihm mit einem Blicke voll stiller Empfindung die kleine, welke Hand hinhaltend, „aber ich denke Sie zu verstehen und – ich muß Ihnen sagen, das; ich Sie recht lieb habe!“

Er umfaßte die magern Finger mit seinen beiden fleischigen Händen und hob die Augen in einem eigenthümlich schwimmenden Ausdruck zu ihr – da öffnete sich die Thür, die beiden Schwestern einlassend, und schon mit dem ersten Geräusche hatte er sich zu seiner früheren Stellung wieder aufgerichtet; der massiv geschnittene Mund sandte den Eintretenden ein begrüßendes Lächeln entgegen, während die Augen in Secundenschnelle jede Einzelnheit in ihrer Erscheinung überliefen und dann ans Helenens frischen, fein entwickelten Formen haften blieben.

„Heute Morgen habe ich hier Andern den Rang abgelaufen!“ sagte er, eine Miene vertraulicher Neckerei annehmend.

„Wir haben auch nicht gelernt, Carrière zu machen!“ gab Marie trocken zurück und griff, ohne einen Zug zu ändern, nach einer seitwärts liegenden Stickerei; Helene aber hatte die Augen groß auf ihn gerichtet, als denke sie zum ersten Male daran, ihn genau zu betrachten, wandte sich dann nach der alten Frau und küßte diese. „Nicht wahr, Großmama,“ sagte sie, „es könnte mir niemals ein Fremder den Rang bei Dir ablaufen?“ und vor dem eigenthümlichen Tone in ihrer Frage hob Jene verwundert den Kopf. „Wer wird denn einen Scherz so ernst nehmen, Du närrisches Kind?“ erwiderte sie, ihr lächelnd das Haar glatt streichend, „bist Du nicht das Nesthäkchen, das ich aufgezogen habe?“

„Ich habe einen bösen Traum gehabt, Großmama!“

„Träume sind Schäume, Mädchen! frage den Herrn Director hier!“

„Der sich aber doch mancherlei träumen läßt, woran er fest glaubt!“ warf Marie, ohne aufzublicken, dazwischen.

Ein einziger finsterer Strahl schoß aus dem Auge des Mannes nach der Redenden, dann wandte er sich mit demselben geschmeidigen Lächeln wie bisher nach der alten Dame. „Ich glaube wirklich an meine guten Träume, denn sie deuten immer innere Ruhe und Ordnung an,“ sagte er; „böse Träume sind schon in sich Lügen, da sie aus einer gestörten, getrübten Seele kommen, und so, Fräulein Helene,“ schloß er, die breite Hand aussteckend, „lassen Sie uns mit einander nur immer das Beste träumen!“ Es lag eine stille Bedeutung in seinen Worten, und die alte Frau hob die lächelnden Augen erwartend nach dem Mädchen; über Helenens Gesicht aber breitete sich eine plötzliche leichte Blässe. „Was ich für mein Bestes halte, ist vielleicht am wenigsten das Ihre!“ sagte sie, den Oberkörper leicht zurückbiegend, und wandte sich dann der Schwester zu; der Schuldirector ließ die gehobene Rechte auf sein Knie sinken und biß sich auf die Lippen; die Großmutter aber hatte auch schon die magern Finger leicht auf seine Hand gelegt.

„Unruhiger Most! Sie haben es ja selbst ausgesprochen,“ klang ihre gedämpfte, besänftigende Stimme; „bei ihr sollen Sie aber kaum lange auf die Klärung zu warten haben!“ – –

Der Geheimrath hatte, als die Schwestern das Arbeitscabinet verlassen, einen bereits geschlossenen Brief von seinem Schreibepulte genommen, hatte nach der zur Hand stehenden Klingel gegriffen, und unmittelbar nach dem kurzen Läuten trat der alte Büreaudiener in’s Zimmer, sich steif neben der Thür aufstellend.

„Sie bringen das Schreiben hier dahin, Mangold, wo Sie gestern Abend den Brief zur Bestellung erhielten,“ sagte der Erstere kurz und kalt; „ich verbiete Ihnen aber hiermit, sich jemals von dieser Seite wieder zum Boten an mich gebrauchen zu lassen!“ Er hatte das Couvert auf den Mitteltisch gelegt und drehte sich dem Fenster zu.

Mangold hob nur den Kopf straffer, während es kurz unter dem grauen Schnurrbarte zuckte, machte aber sonst keine Bewegung, und nach einer kurzen Pause wandte Zedwitz rasch das Gesicht zurück. „Haben Sie mich nicht verstanden?“ fragte er wie in leichter Ungeduld.

„Ich habe verstanden, Herr Geheimrath,“ erwiderte der Alte, „aber ich wollte mit allem Respecte sagen, daß ich den Brief hier nicht forttragen möchte!“

Der Beamte hob mit einem seltsam aufleuchtenden scharfen Blicke den Kopf und machte drei Schritte gegen den Sprechenden; dann aber legte sich plötzlich eine dunkele Wolke auf seine Stirn. „Sie haben Recht, es ist keine Dienstsache und Sie mögen gehen,“ sagte er langsam, „ich werde zukünftig in Bezug auf Ihre Verrichtungen die Grenze genau ziehen!“

„Das ist es nicht, Herr Geheimrath, und Sie wissen es!“ erwiderte Mangold mit zuckenden Augenbrauen; „aber ich möchte um der Tage willen, die da kommen werden, nicht, daß der Brief aus dem Hause ginge. – Sie können mir befehlen zu schweigen, und ich muß gehorchen,“ sagte er rascher, als Zedwitz mit einer kurzen, finster abweisenden Bewegung den Kopf hob, „aber es sind nun bald vierzig Jahre, seitdem der junge Mangold dem Herrn Lieutenant Zedwitz zuerst das Pferd putzte, und nahe dreißig mögen es sein, seit er zum Einzug der gnädigen jungen Frau half und ein altes Stück Möbel im neuen Hause wurde, und Mangold hat sich nie ein Wort unterstanden. Aber es hat einen Abend gegeben, wo der Herr wie verzweifelt zu seinem Diener sagte: Mangold, kann denn ein Mensch zum Sünder werden, nur weil er streng an Recht und Ehre gehalten? Das war den Abend vor dem Begräbniß der gnädigen Frau. Damals halte Mangold nur die verweinten Augen als Antwort; aber mir ist es, als müsse gerade so ein Abend noch einmal kommen, und darum muß ich jetzt reden und sagen: Herr Geheimrath, denken Sie daran, daß es Ihr einziger Sohn ist, den Sie fortstoßen wollen; denken Sie daran, daß Jugend keine Tugend hat und wir auch einmal jung gewesen sind –!“

Eine kurze, gebieterische Handbewegung, mit welcher sich Zedwitz abwandte, ließ den Redenden stocken; Jener machte einen raschen Gang durch das Zimmer, und blieb dann der lang aufgerichteten knochigen Gestalt gegenüber stehen, ein scharfes, helles Auge fest auf deren Gesicht heftend. „Fast dreißig Jahre also ist dieser alte Mensch neben mir hergegangen, aber Alles, was ihm die lange Zeit von dem Wesen eines Mannes hätte zeigen müssen, der nie von dem gewichen, was er einmal als Recht erkannt, ist nicht so viel für ihn, als die einzige Stunde, in der er die in Trübsal versenkte Seele einmal hat schwach werden sehen. Ja wohl, es giebt Zeiten, in denen selbst der Stärkste an sich und der Richtigkeit seines Handelns zweifeln möchte, wo er in seiner Noth nach dem Nächsten als Halt greift – aber merken Sie wohl, alter Mensch, in solchen Stunden arbeitet der rechte Mann sich nur zu größerer Klarheit und Festigkeit in seiner Ueberzeugung durch, und Ihre Erinnerung an eine vergangene Zeit der Trübsal mag mir wohl jetzt das Herz noch mehr verbittern, aber am wenigsten an einem wohlüberlegten Schritte meinerseits etwas ändern. Und nun, Mangold, sind wir über alle dergleichen Punkte ein für allemal fertig! Sie haben mich an unser langjähriges außerdienstliches Verhältniß erinnert – gut! hier liegt der Brief, Sie mögen selbst entscheiden, ob es bleiben soll, wie es bisher gewesen!“

Er wandte sich von Neuem dem Fenster zu; in dem Gesichte des Alten aber begannen Schnurrbart und Augenbrauen ein Spiel des verschiedenartigsten Ausdrucks, bis endlich eine nothgedrungene Resignation in ihm Sieger zu bleiben schien und er langsam zum Tische trat. „Noch etwas, Herr Geheimerath?“ fragte er nach

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_370.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)