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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sehen wir nun auf das Leben des Thieres, so dürfen wir zwar nicht leugnen, daß mannigfache Processe vor sich gehen können, ohne daß sie dem individuellen Leben des Thieres unmittelbar dienen oder unmittelbar von demselben abhängig sind, zum Beispiel die in irgend einem Theile vor sich gehenden chemischen Processe, die wir Ernährung nennen, aber das ist gewiß, daß, so weit diese Processe für das Ganze, für das Einzelwesen als solches, von Bedeutung sein sollen, sofern die Wirkung dieser Processe sich weiter erstrecken soll, als auf den kleinen Theil, in welchem sie gerade vor sich gehen, – sie dies nur dann können, wenn mit ihrer Thätigkeit sich die Thätigkeit jenes eben nachgewiesenen Einheitsorgans verknüpft, und da während des wachen Lebens des Thieres dieses überhaupt immer als Ganzes, als Einzelwesen auftritt und sich der Außenwelt gegenüberstellt, so muß auch dieses Einheitsorgan während des wachen Lebens ununterbrochen thätig sein und folglich nach längerer oder kürzerer Zeit auch unvermeidlich der Ruhe bedürfen.

Kehren wir nach diesem Ergebniß wieder zu unsern früheren Resultaten zurück, zu der Frage nach dem Organ des Bewußtseins, so kann es uns wohl kaum noch zweifelhaft erscheinen, daß das rein körperliche Organ der individuellen Einheit auch zugleich der Träger derjenigen Erscheinung im Seelenleben sein müsse, die wir Selbstbewußtsein nennen, denn nicht Arm und Bein, nicht Nase und Ohr sind sich ihrer bewußt, sondern das Ganze, als Ganzes und als Einheit. – Somit dürften wir uns diese so oft gestellte Frage so beantworten: „Schlaf ist die Unthätigkeit desjenigen Theils des Centralnervensystems, von welchem die sämmtlichen Organe des Körpers als von dem sie alle beherrschenden und unter einander zur Einheit verknüpfenden Mittelpunkte abhängen und an dessen Bewegungen die Seelenthätigkeit, die wir Bewußtsein nennen, als an ihr körperliches Organ gebunden ist, die daher durch Unthätigkeit ihres Organs ebenfalls zur Ruhe gezwungen wird.“

Mit dem Bewußtsein hört der bewußte Wille auf, daher kommen die dem Willen unterworfenen Muskeln in Unthätigkeit, insbesondere erschlaffen auch die Muskeln, welche die Augenlider nach oben und unten ziehen, die zusammenziehenden Muskeln bekommen die Oberhand und das Auge schließt sich, dadurch wird der Augennerv von dem größten Theil des Lichtreizes, namentlich dem geordneten, abgetrennt. – Mit dem Bewußtsein hört auch die vom bewußten Willen bedingte Aufmerksamkeit auf. Schon aus dem wachen Leben wissen wir, daß, wenn einem Körpertheile die Aufmerksamkeit dadurch entzogen wird, daß dieselbe sich mit ganzer Kraft einer andern Region zuwendet, jener Theil dadurch verhältnißmäßig unempfindlich gegen äußere Eindrücke wird, oder richtiger gesagt, daß die Eindrücke zwar vom Sinnesorgan aufgenommen, aber nicht zum Bewußtsein gebracht werden; namentlich gilt das für alle schwächeren Reize. Wir werden es daher natürlich finden, wenn Auge und Ohr, wie die übrigen Sinne und überhaupt alle Empfindungsnerven, im Schlaf zwar eben so gut wie im Wachen von den äußeren Reizen angeregt werden, aber doch nicht stark genug, um das schlafende Bewußtsein zu wecken. Nur durch die im Körper etwa unbewußt und unwillkürlich hervorgebrachten Gegenwirkungen erhalten wir Kunde davon, daß die betreffenden Nerven auf ihrem Posten nicht schliefen, zum Beispiel die Lagenveränderungen oder abwehrenden Bewegungen des schlafenden Körpers, wenn ein stechender Gegenstand die Hautnerven reizt. – Ist aber der Reiz stark genug, oder erregt er Vorstellungsspiele, die zu dem Bewußtsein in sehr naher Beziehung stehen, so wacht der Schlafende auf. So die Mutter, vielleicht nicht bei einem Kanonenschuß, aber beim leisen Wimmern ihres Kindes; so der Müller, nicht vom lauten Geklapper der Mühle, aber von dem leisen Glöckchen, welches anzeigt, daß die Mühle leer geht; so jeder Mensch, vielleicht nicht von starkem Geräusch, aber von dem leise in’s Ohr geflüsterten Namen.

Was soll ich Sie noch viel vom Schlafe unterhalten, wenn ich nicht fürchten will, ihn selbst herbeizuführen? Etwa von der Zeit des Schlafes, den ein alter Aberglaube an den Wechsel von Tag und Nacht knüpft? Wir schlafen zu jeder Zeit gut, wenn wir uns innere Ruhe und äußere, das heißt Abgeschlossenheit von Reizen, verschaffen können. Aber arbeiten können wir nicht so gut im Dunkeln als bei Tage, und deshalb schlafen wir lieber bei Nacht. Sollen wir nach Tische schlafen? Wie es der kluge Arzt anräth. Gefordert scheint es in heißeren Ländern, und der Orientale legt großen Werth auf den Mittagsschlaf. Die erste Seligkeit, die der Gerechten nach dem jüngsten Gerichte harrt, ist die Mittagsruhe, sagt der Koran. Einige Gottlose rechnen den Kirchenschlaf mit zu den süßesten Genüssen, dagegen gebietet die Fürstlich Gothaische Landesordnung, daß Männer mit Stäben anzustellen seien, die in den Kirchen während der Predigt umhergehen und die Schläfer wecken und, wenn nöthig, strafen. – Wie lange sollen wir schlafen? Der unverdorbene, natürlich lebende Mensch, so lange er kann, das heißt, bis er von selbst erwacht. Länger schläft der intensiv geistig Thätige, als der nur mit seinen Muskeln Arbeitende. Kranke schlafen oft übermäßig lange, so der Mathematiker le Moivre 20 Stunden jeden Tag; ein Kranker bei Haller schlief 70 Tage, und Fichet erwähnt eines Menschen, der mit geringen Unterbrechungen vier Jahre verschlief. – Dagegen wacht das Weib am Bette des kranken Mannes, die Mutter an der Wiege des leidenden Kindes oft wochenlang, weil ihr Bewußtsein und dessen Organ im höchsten Grade erregt ist.

Gehen wir zu andern und interessanteren Erscheinungen über. Wo das Bewußtsein, der Wille und die Aufmerksamkeit zurücktreten, da folgt das Vorstellungsspiel des Menschen nicht mehr der Richtung auf willkürlich gesetzte Zwecke, sondern sinkt auf die niedere Stufe der unwillkürlichen Associationen herab. Stille stehen kann es nun einmal nicht, da sein Organ nicht schläft. Es würde mich viel zu weit führen, wollte ich hier die ganze Lehre von der Verbindung des Körpers und Geistes in allen ihren Einzelheiten entwickeln. Es ist ganz gleichgültig, ob man materialistisch oder anders denkt; nur ein Unwissender wird es leugnen, daß das geistige Leben nur dadurch und nur so weit zur Erscheinung kommen kann, als es in einem körperlichen Organ und in dessen Thätigkeit seinen Ausdruck findet. Nur ein Unwissender kann von einer im Erdenleben bestehenden Unabhängigkeit des Geistes von seinem körperlichen Organe, dem Gehirne, träumen. Der Thätigkeit des Geistes entspricht eine Thätigkeit des Gehirns, und umgekehrt. Nun ist aber gewiß, daß jede einzelne Nervenfaser, von der andern isolirt, ihr eignes Thätigkeitsgebiet hat, und so auch natürlich die Millionen Fasern, aus denen das Gehirn besteht. Hier kann nicht die kleinste Faser zucken, ohne daß sich eine Vorstellung damit verknüpft; nicht der leiseste Schatten eines Gedankens kann durch unsere Seele fliegen, ohne daß eine gewisse Anzahl Nervenfasern in Thätigkeit gerathen. – Diese Thätigkeit der Nervenfasern wird aber noch durch viele andere Potenzen in’s Spiel gesetzt, als nur durch unsere Vorstellungen und Gedanken. – Jede Blutwelle, die an sie anklopft, jede veränderte Beschaffenheit des Blutes, jede Verminderung seiner normalen Menge, jede Temperaturveränderung, jede Erschütterung kann sie erregen, und so bleibt, auch ohne daß der Geist willkürlich auf sie einwirkt, im Schlafe ein ununterbrochener Wechsel von Erregungs- und Ruhezuständen, die sich in mannigfacher Weise combiniren, im Gehirne zurück, und allen diesen muß auch ein ununterbrochener Wechsel von kommenden und gehenden und sich mannigfach verbindenden Vorstellungen entsprechen. Dieses Spiel, welches uns immer nur dann zum Bewußtsein kommt, wenn es ganz nahe an unser waches Leben herangerückt ist, nennen wir nun Traum.

Aber so faßt nicht Jeder den Traum auf, diesen phantastischen Affen des wachen Lebens, dieses bunte Kaleidoskop der entfesselten Einbildungskraft, diesen Fluch des redlichsten Hypochonders, dieses Paradies des schlechtesten Sanguinikers. Das ist er, und traurig ist die Verirrung eines Monboddo, wenn er sagt, daß angenehme Träume Folgen der Tugend, unangenehme und schreckhafte die natürlichen Folgen des Lasters wären. Auch Plato dürfen wir nicht Recht geben, wenn er behauptet, daß, wenn der Mensch mäßig und frei von unordentlichen Leidenschaften lebte, er philosophische Träume haben und darin große Entdeckungen machen würde. Besser schon empfiehlt Schaaffhausen dem Menschen, sich seine Träume selbst als Spiegel vorzuhalten, um daraus seine geheimsten Neigungen und Gefühle kennen zu lernen, und Dichtern dürfen wir es nachsehen, wenn zum Beispiel Collin im Regulus der Attilia die Worte in den Mund legt:

Die That war Traum,
Nicht seine Liebe, die den Traum gebar.

Wie toll und sinnlos sich die Vorstellungen im Traume durch einander wirren, zeigt sich am auffallendsten darin, daß der Mensch, so oft er im Traume sich selbst entfremdet, seine eigenen Gedanken fremden Persönlichkeiten unterlegt. Johnson träumte häufig, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_377.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)