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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 25.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Der Referendar warf den Hut von der heißen Stirn, öffnete das Couvert und faltete einen vollbeschriebenen Bogen auseinander. Er las, während der junge Kaufmann einen langsamen Gang durch das Zimmer begann:

„Lieber Freund und hochgeehrter Herr Referendar!

Sehr sonderbarliche Geschichten, aber der Soldat muß sich in allen Lagen zu helfen wissen, wie unser Unterofficier beim Felddienste sagte. Also die Sache mit dem russischen Grafen ist überall bekannt, auch die Zeitungen haben davon erzählt, aber so verblümt, daß ich ordentlich sah, wie die Polizei Ruhe gewinkt hat, damit der Uebelthäter nicht aus dem Garne gescheucht werde. Es war mir gleich am ersten Tage auf meinem Posten in unserem Logis nicht recht wohl zu Muthe, denn kaum daß ich aus den Federn war, stellten sich schon verschiedene Besuche von ganz verdächtigem Aussehen ein. Zuerst war’s ein Lohndiener mit einer richtigen Polizei-Visage; er wollte nur wissen, ob der Herr Referendar hier wohne und wann er zu sprechen sei. So schlau fängt man aber nicht einmal einen Grobschmieds-Gesellen! Ich konnte keine Sprechstunde angeben, empfahl mich aber zu jeder Besorgung, und damit verlor er sich. Noch vor Mittag kam ein Bote vom Kammergericht, der sehr pressirt that, einen Auftrag vom Abtheilungs-Director oder dergleichen haben wollte und geradedurch in’s Schlafcabinet ging. Sein absonderlicher Auftrag aber sah ihm aus allen Knopflöchern heraus, und ich wußte schon beim ersten Blicke genug. Als er das leere Bett sah, hätte er mich gern examiniren mögen, aber ich ließ ihn mit dem guten Rathe, selber weiter zu suchen und sich nicht zu echauffiren, abziehen.

Zu Mittag schon wurde in unserm Speisehause nur vom russischen Grafen geredet. Es essen zwei Officiers-Bediente dort, welche die Geschichte mitgebracht hatten. Sie wollten auch genau wissen, daß der Thäter bekannt sei, daß aber um ein paar vornehmer Personen willen alle Maßregeln im Geheimen betrieben würden. Es gab Klöse und Meerettig an dem Tage, aber ich hätte es nicht einmal gemerkt, wenn mir vor lauter Aufhorchen der Meerettig nicht in die Nase gekommen wäre.

Nun war ich noch keine Stunde wieder im Logis, als ein dritter Mensch ankam, sich höflich nach dem Herrn Referendar erkundigte und bei meiner Antwort geradeso nickte, als wisse er schon Alles, was ich ihm sagen und nicht sagen wolle. Nachher musterte er mich aufmerksam, und das Gesicht mochte ihm wohl besser als der Rock vorgekommen sein, denn er nickte wieder und sagte, er denke wohl, daß er mir einen Auftrag für den jungen Herrn anvertrauen dürfe, ich müsse ihn aber wörtlich bestellen. Wenn Herr Hugo Zedwitz, sagte er, jetzt etwa eine andere Reise als nach der Schweiz machen wolle, so sei bei dem Orte, der hier aufgeschrieben stehe, auch eine sehr schöne Gegend. Das lasse ihm eine Freundin sagen. Damit hatte er mir die Karte gegeben, welche ich hier mitschicke, und als ich wegen des unbekannten kauderwälschen Namens fragte, wo denn das zu finden sei, sagte er so ruhig, als handele es sich um eine Kremserfahrt nach Charlottenburg: In Amerika! Dann nickte er noch einmal recht freundlich und ging zur Thür hinaus. Ich hatte bei dem merkwürdigen Einfalle zuerst gerade hinaus lachen wollen, aber es schossen mir mit einem Male ganz absonderliche Gedanken durch den Kopf. Ob das nicht ein guter Rath von Jemand sein konnte, der genau wußte, wie die Sachen mit dem russischen Grafen standen? Und eine Freundin –! Dazu habe ich nun freilich nichts zu sagen; aber Eins möchte ich gleich hierher setzen. Wenn Jemand die Reise gern mitmachte, so wäre ich es. Wo es hier Elend giebt, da steckt gewiß ein Tischlergeselle darunter, und über’m Meere soll der Verdienst so gut sein. Das aber nur nebenbei, wenn auch die Speisemarken fast zu Ende sind und ein Mensch mit Geschick und Kraft, wie ich, sich nicht einmal weiter zu ernähren wüßte, er würde denn als Factotum durchgefüttert. Bist doch wirklich ein Lump, Heinrich!

Also wollte ich noch sagen, daß mir heute, wo ich dies schreibe, Alles danach aussieht, als werde das Garn hier mäuschenstill offengehalten, bis der Vogel hereinkommt. Der russische Graf soll so gut wie todt sein, aber nirgends wird etwas Rechtes darüber laut, wie es sonst bei allen Mordgeschichten der Fall ist – wer indessen ein richtiges Auge für Polizeigesichter hätte, würde wohl Verschiedenes von den Gestalten, die sich Abends an unserm Hause herumtreiben, zu erzählen wissen. Ich will nichts behaupten, aber geheuer ist es mir nirgends. Und so laß mich wissen, lieber Hugo, wie es zu Hause steht und was Du etwa vorhast; für alle Fälle aber vergiß nicht die schönen Gegenden in Amerika.

Dein getreues Factotum
Heinrich Mangold.“

Der Referendar hatte, noch ehe er den Brief zu Ende gebracht, hastig nach der zu Boden gefallenen Karte gegriffen und las in fein gestochenen Lettern: John Winter, Oakhill, und darunter in einer Abkürzung, die ihm selbst noch unverständlich war, die Bezeichnung der Lage des Orts. Dann beendete er die Zeilen, faltete den Brief wie in tiefen Gedanken wieder zusammen und blieb so stehen, bis Römer vor ihn trat und mit einem: „Wie ist es, Hugo?“ die Hand auf seine Schulter legte.

„Eine klare Frage und eine bestimmte Antwort, Fritz!“ hob

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_385.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)