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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

lagen noch vor wenigen Jahren als Curiosum an der Einfahrt des Bahnhofes zu Mecheln und erweckten jetzt allerdings bei jedem Beschauer ein mitleidiges Lächeln.

Den mangelhaften Anschlüssen und Einrichtungen auf den Eisenbahnen eine schnellere Beförderung abzuringen, war schon damals Gegenstand der Speculation für denkende Köpfe. Uebten dieselben auch auf Verwaltungen keinen Einfluß aus, so stand es ihnen doch frei, Beschleunigungen für eigene Nachrichten auf ihre Kosten einzurichten.

Der schnellsten, womöglich blitzartigen Beförderung sind am meisten politische und Börsen-Nachrichten bedürftig, die letzteren, weil sie etwas berühren, wobei alle Gemüthlichkeit aufhört, nämlich den Geldbeutel, und was die ersteren betrifft, so kann man sich vorstellen, daß eine wichtige politische Nachricht nicht nur für die Regierung, sondern auch für die Besitzer großer Tagesblätter außerordentlichen Werth hat, wenn man sich an jene fieberhafte Aufregung erinnert, welche entscheidende Nachrichten in den letzten allgemein bewegten Jahren hervorbrachten. Deshalb ging der damalige Eigenthümer der Kölnischen Zeitung bereitwillig auf Vorschläge ein, welche ihm gemacht wurden, um sein Blatt in den Stand zu setzen, die neuesten Pariser Nachrichten schon mit der Abend-Ausgabe versenden zu können, während sie bis dahin erst in der Morgen-Ausgabe enthalten waren. Die Kölnische Zeitung, eines der ersten Blätter Deutschlands, hatte natürlich allen Grund, darüber zu wachen, daß ihr die Vortheile der günstigen geographischen Lage ihres Redactions-Sitzes nicht entgingen, und ein Zeitgewinn von vier Stunden war damals, als es noch keine elektrischen Telegraphenlinien gab, so entscheidend, daß dieses Blatt dadurch in den Stand gesetzt wurde, die westlichen Nachrichten schneller als die betreffenden einheimischen Zeitungen in ganz Deutschland zu verbreiten.

Denn die westlichen Nachrichten sind es, die in allen Fragen der Politik und der Börse den Ausschlag geben. Nicht erst seit unsern Tagen ist der Pulsschlag der europäischen Politik in Paris hörbar, sondern schon lange vor der Zeit, als das Orakel in Frankreichs Hauptstadt die Welt durch das Wort: l’empire c’est la paix zu dupiren glaubte. Politik und Börse aber sind durch so zarte Beziehungen mit einander verwachsen, daß man oft kaum zu sagen vermag, welcher von diesen beiden gewaltigen Hebeln den andern an Wichtigkeit übertrifft. Die Kölnische Zeitung scheute deshalb die bedeutenden Opfer nicht, um sich vermittelst einer Tauben-Briefpost um einige Stunden früher in Besitz der Pariser Nachrichten zu setzen, als ihr dieselben durch die ausschließliche Benutzung der Eisenbahnpost hätten zugehen können. Zu diesem Zwecke installirte sich damals, nachdem mit dieser Zeitung deshalb contrahirt war, eine Persönlichkeit in Aachen, deren Name heute in jeder Nummer nicht nur der Kölnischen Zeitung genannt wird, um jene Taubenpost zu vermitteln. Ein ehemaliger preußischer Officier wurde zu gleichem Zwecke in Brüssel stationirt, und ich löste Letzteren ab, als derselbe in eine andere Stellung eintrat. Der Gang der Sache war nun der, daß jeden Abend zwei Tauben per Eisenbahn von Aachen in einem verschlossenen Kasten in Brüssel eintrafen und die Nacht über in meiner Wohnung stehen blieben. Der Pariser Correspondent übergab seine Nachrichten in doppelter Ausfertigung auf ganz feines Papier geschrieben einem Schaffner, welcher den Abends um 8 Uhr von Paris abgehenden und um 5 Uhr Morgens in Brüssel eintreffenden Zug begleitete: derselbe Schaffner schob den Brief bei seiner Ankunft in Brüssel unter meiner Hausthüre durch, woselbst ich ihn beim Aufstehen in Empfang nahm. In dem Kasten der Tauben befand sich das nöthige Futter sowie Wasser, sodaß diese Thiere unterwegs auf der Eisenbahn keinen Mangel litten und die nöthige Kraft behielten, ihre Rückreise andern Tages ohne Aufenthalt im Fluge zurückzulegen. Die beiden Depeschen wurden kurz zusammengefaltet und jeder der Tauben ein Exemplar davon an eine der Federn unter dem Flügel festgenäht, doch mußte man sich zuvor überzeugen, daß die betreffende Feder nicht auszufallen drohte. Gegen 6 Uhr Morgens warf ich dann diese geflügelten Boten zum Fenster hinaus, wo man sie einige Mal über dem Hause kreisen sah, um sich zu orientiren; dann ließen sie sich entweder erst einen Augenblick auf einem benachbarten Dache nieder, oder flogen ohne Aufenthalt der Heimath zu. Ich habe jedoch nicht bemerkt daß die eine von der andern Notiz genommen hätte, es ging vielmehr jede ihre eigenen Wege. Es wurden zwei Thiere genommen, damit in jedem Falle eine Nachricht ihre Bestimmung erreichte, falls eine Taube durch einen Raubvogel oder auf andere Weise verunglücken sollte. War Nebel in der Luft, so durften die Tauben nicht abgelassen werden, ich hielt sie vielmehr zurück, bis sich derselbe verzog; fand dies indessen vor 7 Uhr Morgens nicht statt, so blieben sie ganz zurück; denn im Nebel können sie sich nicht orientiren, und flogen sie nach 7 Uhr von Brüssel ab, so war es ihnen nicht mehr möglich, im Anschlüsse an den Zug von Aachen ab dort einzutreffen. Bei heiterem, windstillem Wetter legten die Tauben den Weg von Brüssel nach Aachen in stark zwei Stunden zurück. Die Eisenbahnzüge bedurften deren damals beinahe sieben, denn die Entfernung betragt 32 französische Lieues (etwa 20 deutsche Meilen). Bei ihrer Ankunft wurden die Tauben in ihren Schlägen bereits erwartet, der Depeschen entledigt und letztere, nöthigenfalls unter Zuhülfenahme einer Droschke, rasch zur Bahnhofspost abgeliefert, um mit dem um 9 Uhr Morgens von Aachen abgehenden Zuge nach Köln befördert zu werden, woselbst die Redaction gegen 12 Uhr Mittags in deren Besitz gelangte, während der um 7 Uhr Morgens von Brüssel abgehende Zug erst um 4 Uhr Nachmittags in Köln eintraf. Diese Nachrichten umfaßten die Tagesereignisse von Paris und sonstige Neuigkeiten, sowie die Börsencourse des Tages und figurirten in der Abend-Ausgabe der Zeitung unter der Rubrik „Neueste Nachrichten“, wie sich die Leser der Kölnischen Zeitung aus dem Jahre 1850 vielleicht noch erinnern werden.

Was nun die Tauben selbst betrifft, so ist es bekannt, daß dieselben einen überaus raschen Flug sowie die Gabe haben, sich auch in großen Entfernungen von der Heimath leicht zu orientiren, wobei ihr äußerst scharfes Auge sehr dienlich ist. Das Wiederauffinden der Heimath ist lediglich einem diesem Vogel in hohem Grade innewohnenden Instincte beizumessen; denn von einem mittelst des Gesichtsorgans wahrnehmbaren Erkennen kann natürlich bei großen Entfernungen nicht die Rede sein. Eine Taubenart zeichnet sich in dieser Beziehung vor allen übrigen besonders aus, weshalb man diese vorzugsweise Brieftauben nennt. Jedoch auch von diesen würde es zuviel verlangt sein, den Weg von Brüssel nach Aachen sofort wieder aufzufinden; die Thiere werden vielmehr durch eine Art von Cursus auf ihren Beruf vorbereitet, und man würde sie beispielsweise zuerst nach Lüttich bringen, um von dort nach Aachen zurück zu fliegen, ehe man von ihnen die Rückkehr von Brüssel nach letzterer Stadt verlangen dürfte. Der Eigenthümer in Aachen erhielt für das Herleihen, Besorgen etc. von zwei Tauben täglich zwanzig Franken (5 Thlr. 10 Sgr.), incl. Risico. Es ist jedoch zu bemerken, daß diese Thiere mit Sicherheit nur im Sommer verwandt werden können; sobald die Blätter gelb werden und von den Bäumen abfallen, und durch den Eintritt von Nebel erhalten die Landschaften einen so veränderten Charakter, daß das scharfe Auge dieses Vogels den oft zurückgelegten Weg nicht mehr zu erkennen vermag. Die Tauben trafen daher um diese Jahreszeit oft sehr verspätet, einzelne gar nicht, und mehrmals gar keine wieder ein, sodaß mit Schluß des Monats October der Dienst eingestellt werden mußte. Von den ausgebliebenen kamen einzelne nach mehrtägigem Herumirren endlich doch noch glücklich in der Heimath an.

Schon in Aachen, mehr aber noch in ganz Belgien, ist die Liebhaberei an Brieftauben sehr verbreitet, und es giebt in diesem Lande zahlreiche Vereine, welche mit einander in Verbindung stehen, um die Zucht der Brieftauben durch Prämien und Wetten zu befördern. So wurden beispielsweise Tauben Morgens früh in Madrid aufgelassen, welche schon im Laufe des folgenden Tages, jedoch außerordentlich ermüdet, wieder in Aachen eintrafen, eine erstaunliche Thatsache, wenn man die zum Aufsuchen des unentbehrlichen Futters nothwendige Zeit in Abzug bringt und bedenkt, daß diese Thiere über die Pyrenäen, eines der höchsten und größten Gebirge in Europa, hinwegfliegen mußten, wo das Zurechtfinden nach der so entfernten Heimath einen überaus scharfen Instinct voraussetzen läßt, selbst dann noch, wenn die Tauben vorher, wie natürlich, von 4 oder 6 successive entfernter liegenden Städten aufgeworfen worden waren, wie etwa von Lüttich, Brüssel, Valenciennes, Paris und Bordeaux.

Zur Beruhigung für die schönen und theilnehmenden Leserinnen sei übrigens die Mittheilung hinzugefügt, daß zwar die Schwungfedern der Flügel durch das oft wiederholte Annähen der Depeschen, wobei die Federn einmal durchstochen werden müssen, mit der Zeit sehr beschädigt und zerstochen aussehen; diese Operation hat aber durchaus nichts Schmerzliches für die Thiere, indem sie natürlich in den Federn in Ermangelung von Nerven keine Empfindung haben. Den Schaden selbst bessert die gütige Natur wieder aus, indem sie ihren kleinen Geschöpfen alljährlich einen neuen Anzug verehrt.




Zum deutschen Bundesschießen in Frankfurt a. M. Immer näher und näher rücken die Tage des vom 13–18. Juli in Frankfurt abzuhaltenden ersten deutschen Bundesschießens heran. Während Frankfurt selbst im großartigsten Maßstabe rüstet, um seine Gäste würdig zu empfangen, beschäftigt sich die ganze deutsche Presse schon seit längerer Zeit mit dem nationalen Feste, freilich in sehr verschiedener Tendenz, theils um es zu unterstützen und auf seine Bedeutung hinzuweisen, theils um es zu verkleinern oder gar zu verdächtigen. Die Einen wollen eine geschickt in Scene gesetzte große Demonstration des Nationalvereins, die Andern gar einen Zusammenfluß der revolutionären Elemente Europa’s darin erblicken und befürchten bei dieser Gelegenheit nichts Geringeres, als einen unglücklichen Putsch mit Barrikaden, Bürgerblut, rothen Blousen u. s. w. Leider hat eben im Augenblicke, wo wir dies schreiben (zu Ende Mai), ein unliebsamer Zwischenfall diesen Hetzereien von verschiedener Seite neue Nahrung gegeben. Obgleich nämlich das Fest kein internationales, sondern ein rein deutsches ist, so können doch nach § 40 der Bundessatzungen nichtdeutsche Schützen als Gäste theilnehmen. Dieser Bestimmung gemäß hatte das Centralcomité auf eine Anfrage mailändischer Schützen wegen Betheiligung am Feste dieselben in einem Schreiben willkommen geheißen. Kaum war dieser Umstand bekannt geworden, als ihn sofort eine Anzahl süddeutscher Zeitungen zu erwünschten Hetzereien und Verdächtigungen ausbeutete und die bairischen und österreichischen Schützen von dem Besuch des „Garibaldianer-Festes in Frankfurt“ abzuhalten suchte. Ein dahin abzielender Beschluß von Seiten der Haupt-Schützengesellschaft in München stand wirklich in Aussicht, als man noch rechtzeitig von Seiten des Gesammtcomité’s in Frankfurt eine Vermittelung anbahnte, die zu gutem Resultate geführt und es verhütet hat, daß das Fest der Eintracht zu einem Zankapfel erneuerter Zwietracht werde.

Bei diesem Stande der Dinge und den ängstlichen Gemüthern und Schwarzsehern oder absichtlichen Entstellern des Festes gegenüber dürfte ein Rückblick auf die Entstehung und den Zweck des deutschen Schützenbundes am Platze und für die Leser der Gartenlaube von Interesse sein.

Die erste Anregung zur Gründung einen deutschen Schützenbundes ging auf dem Coburger Turnfeste im Jahre 1860 von Dr. J. B. v. Schweitzer aus Frankfurt a. M. aus, welcher auch gegenwärtig als überaus thätiges Mitglied des Centralcomité’s und als Chef des seit einigen Wochen eröffneten ständigen Bureau’s für die laufenden Arbeiten bei der Organisation und Leitung des Festes eine wesentliche Rolle spielt. Schon dieser Umstand dürfte die Behauptung, daß das Fest ein nationalvereinslerisches und kein nationales aller Parteien werde, zur Genüge widerlegen, denn Schweitzer, eine in der letzten Zeit viel genannte und als Vorsteher eines Turnvereins und des Arbeiterbildungsvereins, sowie als Verfasser mehrerer politischer Broschüren (deren letzte „Zur deutschen Frage“ in Berlin confiscirt wurde) und des social-philosophischen Werkes „Der Zeitgeist und das Christenthum“ vielfach angefeindete Persönlichkeit, steht ganz entschieden nicht auf dem Boden des Nationalvereins, sondern er ist

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