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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Gesellschaft geworden war. Ich wußte auch, daß, falls die neue Marine wirklich dazu bestimmt war, die dänischen Kriegsschiffe, welche damals die deutschen Küsten bedrohten, anzugreifen, ich reichlich Gelegenheit haben würde, mich auszuzeichnen, denn, Charley, Sie wissen, daß ich schon oft dem Tode in das Auge gesehen habe, ohne zu zwinkern. In dieser Erwartung that ich ruhig meinen Dienst, wie ich mir als Instructeur einen guten Namen erwarb. Einmal, in Bremerhaven, wollte es der Zufall, daß ich einen meiner alten Cameraden erblickte, indessen nahm er glücklicher Weise von mir keine Notiz, da er mich in der deutschen Marineuniform nicht erkannte. Da wir auf der Weser unthätig vor Anker lagen, hatten wir begreiflich viel Zeit übrig und benutzten dieselbe, um Ausflüge in die Umgegend zu machen; auf einem dieser lernte ich die Tochter eines Landgeistlichen kennen, ich wußte sie für mich zu gewinnen, und sie ward trotz des Widerspruchs ihres Vaters mein Weib. Charley, ich sage Ihnen, damals war ich sehr glücklich und ich glaube auch auf dem besten Wege ein braver Kerl zu werden.“

Hier wurde Morton unterbrochen, denn Brown, der Bootsmann, steckte sein buschiges Haupt in die Kajüte und rief uns schnell auf’s Deck. Ich warf einen flüchtigen Blick auf den Barometer und fand, daß das Quecksilber plötzlich gesunken war. Oben angekommen fanden wir das Firmament pechdunkel, kein Sternchen war zu sehen, nur hin und wieder leuchteten die grün und rothen Lichter des Preußen. Bei vollständiger Windstille schlugen die Segel schlaff an den Mast, und ein schwaches Wetterleuchten über den felsigen Küsten Schwedens mahnte uns, daß ein Gewitter im Anzuge sei, wie das so häufig in diesen Breiten bei dem Nahen der kalten Jahreszeit der Fall ist und stets als Vorbote von stürmischem Wetter betrachtet wird. Dieses Mal war es aber kein so zahmes Gewitter mit den dünnen Zickzacklinien nordischer Blitze, wie sie gewöhnlich in Nordeuropa vorkommen, sondern es glich an Heftigkeit jenen Donnerstürmen, wie sie die tropischen Gegenden heimsuchen. Wir zogen alle Segel ein, bis auf das doppelt gereffte Vormars- und das Vor-Steng-Stagsegel, gerade genug Leinewand, daß damit das Schiff dem Steuer gehorchte, und warteten auf die Dinge, die da kommen sollten. – Und das Gewitter kam, aber wie?

Wer auf dem Meer einmal Gelegenheit gehabt hat, diese Naturerscheinung in ihrer vollen Größe zu beobachten, wird gefunden haben, daß die See mehr durch ihre großartigen Längen- und Breitenproportionen imponirt, als durch Kühnheit und groteske Ausprägung der Formen, wie die Gebirge. Höhe, Spitze und Tiefe sind weniger da. Hier bei diesem Gewitter schien es mir, als wenn sich der Charakter des Meeres auch am Himmel abspiegele. Die Blitze bei solchem Donnersturm sind ganz anders beschaffen, als die auf dem festen Lande, oder vielmehr kann dabei vom Blitzen kaum die Rede sein. Die elektrischen Entladungen schießen oder vielmehr flammen und fallen wie ganze Lichtergüsse vom Himmel herab. Um die endlose, schäumende, aufgeregte Fläche des Meeres zu beleuchten, muß man ein anderes Licht aufstecken. Es ist, als wenn ganze Seen von Elektricität plötzlich ausleckten, als ob ganze Katarakten von Licht gleichsam herabstürzten. Bei jedem Schlage ist das ganze Firmament eine Halbkugel, die mit feuriger Röthe sich über uns wölbt. Man könnte denken, ein solcher Schlag sei hinreichend, möchte fürchten, die Kraft habe sich damit erschöpft. Allein wunderbar genug – man begreift es kaum wie, – auch die Anzahl der Blitze, wie auch die Stärke jedes einzelnen ist hier viel größer als auf dem festen Lande. Mehrere Stunden hinter einander war der Himmel in einem Schlag auf Schlag folgenden Zucken und leuchtenden Beben ergriffen, bis endlich der herabströmende Regen seine funkelnden Lichter auslöschte.

Morton stand neben mir auf dem Promenadedeck und deutete mit seinem Fernrohr nach der preußischen Corvette hin, die eine halbe Meile vor uns ihre Umrisse am feurigen Firmament abzeichnete; es war ein wahrhaft dämonischer Anblick, würdig des fliegenden Holländers. Die Amazone zeigte ebenso wie wir fast nackte Spieren, doch schien sie in der jetzt aufgeregten See hin und her zu taumeln, wie ein Betrunkener, offenbar eine Folge ihrer schlechten Bauart, während unser Schiff wie eine Puppe zierlich aber stetig auf der Backbordseite lag. Gegen Morgen ging Morton hinunter, nachdem er mir den strengen Befehl ertheilt hatte, das vor uns segelnde Schiff nicht aus dem Auge zu lassen; ich ging deshalb vorn auf die Back und ließ mir bei der jetzt vorherrschenden Dunkelheit mein Nachtglas bringen. Meine Aufgabe war um so leichter, weil die Amazone so gut wie wir das Skagener Riff sechs Meilen auf der Leeseite lassen mußte. Mr. Brown gesellte sich zu mir, machte einige Bemerkungen über das plötzliche Gewitter und meinte, wenn er nicht gewußt hätte, daß wir im Kattegat seien, würde er geglaubt haben, wir befänden uns auf dem Golfstrom mitten im Floridacanal. „Was hat denn der Master,“ fuhr er fort, „mit dem verdammten Preußen im Schilde? ich fürchte nichts Gutes. Wenn wir mehr Segel aufgesetzt hätten, würden wir ihn schon längst überholt haben; der Master ist doch sonst nicht so ängstlich um ein Paar Spieren oder ein Bischen Havarie; wir sind ja gut versichert.“

„Das weiß Gott und Morton allein,“ erwiderte ich. „Sie mögen Recht haben, indessen, Mr. Brown, Sie kennen den Act des Congresses, durch welchen die Mannschaft bei schwerer Strafe gezwungen ist, den Befehlen des Capitains unbedingt zu gehorchen; er allein hat die Verantwortlichkeit zu tragen.“

Der Bootsmann entfernte sich nach hinten, mit geheimnißvoller Miene, den Yankee-doodle pfeifend, und ich sah, wie er, der Zimmermann und Andere die Köpfe zusammensteckten. Mittlerweile war die Dämmerung hereingebrochen, und das graue Gewölk verzog sich langsam vor den Strahlen der steigenden Sonne. Als sich der Horizont nach und nach aufklärte, sahen wir deutlich ungefähr zwei Meilen vor uns die preußische Corvette mit halbnackten Masten vor uns hertreiben, sie hatte ihre Oberbramstenge während des Gewitters verloren, wahrscheinlich durch einen kalten Schlag. Die See ging hohl, der Wind hatte sich mehr nach Osten umgeschlagen, und nicht sehr weit von uns, keine sechs Meilen, brandeten die Wellen an den Dünen einer öden sandigen Küste. Als ich diese nichts weniger als angenehme Gegend mit dem Fernrohr musterte, trat Morton zu mir, zeigte auf die Amazone und sagte: „Well, Charley, ich danke Euch, daß Ihr den Cameraden da nicht aus den Augen verloren habt. Der Kerl hat Havarie gehabt, eine Oberbramstenge hat ihm der Blitz zerschmettert; kömmt von den Kanonen, ziehen den elektrischen Funken an! Solchen Kindern muß man kein Geschütz anvertrauen; hätten sie Theertuch darüber gedeckt, würden sie besser gefahren sein.“

Immer stärker fing es jetzt an zu wehen, und immer näher kam uns die gefürchtete Landspitze des Skagener Riffes. Dort ist ein wahrer Kirchhof für Schiffe; mit dem Fernrohr konnten wir deutlich die geschwärzten Skelete der Wracks erkennen, die hoch oben auf dem Sande nur bei der Fluthzeit von den Wellen gepeitscht werden. Hier war es, wo Nelson, als er durch seinen Ueberfall die dänische Flotte vor Kopenhagen geraubt hatte, die schwach bemannten Prisen in einem Südoststurm verlor; hier war es, wo Peter der Große auf seiner Fahrt von Saardam nach Petersburg sein hochbordiges Schiff stranden sah und mühsam sein Leben rettete. – Die andern Fahrzeuge, welche mit uns Helsingör verlassen hatten, waren sämmtlich aus Sicht verschwunden, da wir sie alle übersegelt hatten, und so kämpften wir einsam mit der Amazone, um diese den Seefahrern so gefährliche Spitze bei ungünstigem Winde und hoher See zu umfahren. Endlich gegen Abend, als die lange nordische Dämmerung in Nacht überzugehen drohte, befanden wir uns, nachdem wir mühsam bei kurzen Segeln lavirt hatten, im Eingange des Skagener Racks, wie die Skandinavier es nennen. Außer dem Preußen war kein Schiff in Sicht, nur in der Ferne glaubten wir den Rauch eines nach der Ostsee segelnden Dampfers zu erkennen. Der Barometer deutete auf Sturm, Morton gab die nöthigen Befehle für die Nacht, befahl dem Manne am Ruder, die Lichter der Corvette nicht aus den Augen zu lassen, und lud mich dann in seine Kajüte ein. Nachdem der Steward wieder für den Punsch gesorgt hatte, und nachdem uns der Dampf des türkischen Tabaks wieder in seine Wolken gehüllt hatte, begann er wieder:

„Charley, wenn ich Ihnen erst recht mein Herz ausgeschüttet habe, werden Sie sehen, welche gerechte Ursache ich habe, jenem verdammten Preußen auf den Hacken zu sitzen. Nach dem, was mir in Deutschland passirt ist, möchte ich alle Schiffe, welche jene verd– schwarz-weiße Flagge führen, in Grund und Boden segeln. Sie wissen, wie glücklich ich im Besitz meiner Mary war, wie ich ein neues Leben angefangen hatte! Unser ganzes Streben auf der neugegründeten Flotte ging dahin, etwas Ordentliches zu leisten, die Ausländer wollten sich dem Adoptivvaterlande als dankbare Kinder erweisen; da verbreitete sich auf einmal das dumpfe Gerücht,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_434.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)