Seite:Die Gartenlaube (1862) 441.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sich entwickelnde thierische Wärme dem Körper in genügendem Maße zu erhalten. Als Respirator nützt uns der Bart, wie keine Kunst mit Drahtgeweben dasselbe leisten kann, und dazu sitzt dieser Respirator nicht wie ein schwarzes Siegel im Gesichte, ähnlich dem Stempel eines Passes mit dem Visum in das Reich der Leiden und des Todes. Das Haar des Schnurrbartes nimmt nicht nur Nässe und Miasmen der Atmosphäre auf und hindert mechanisch das Eindringen von Staub und Rauchschmutz in unsere Luftwege, sondern wirkt auch strengwissenschaftlich, aus der ausgeathmeten Luft Wärme aufnehmend und solche der in die Brust einströmenden wiedergebend. Und wie bequem ist dieser Respirator zu tragen! Er wird niemals zu Hause gelassen, wie Schirm und andere Dinge, welche immer fehlen, sobald man ihrer bedarf. Professor Alison beobachtete schon vor vielen Jahren, daß die Steinhauer nur zum kleinsten Theil das vierzigste Jahr überschritten, weil sie in Folge des steten Einathmens feiner Staubtheilchen schwindsüchtig wurden; er empfahl diesen Leuten, den Bart auf der Oberlippe stehen zu lassen (wir athmen vorzugsweise durch die Nase), und es bewies sich der Schnurrbart äußerst wirksam.

Niemand wird die wärmende Eigenschaft des Halsbartes bezweifeln. Die afrikanischen Entdeckungsreisenden Livingstone, Moffat und Andere behaupten, für eine Nacht im Freien komme keine Umhüllung dem Barte an Werth gleich. Merkwürdig aber ist es, daß der Bart gleich dem Kopfhaare auch gegen die Sonnenhitze schützt. Hier wirkt er wie das Strohdach des Eishauses, aber noch besser, denn die ihn durchdringenden Schweißtropfen kühlen, indem sie verdunsten, die Haut. Wer diesen Schutz der Natur annimmt, kann dem rauhen Sturme und dem strengsten Winter Trotz bieten; er kann ungestraft aus heißem Zimmer in die Winterkälte hinaustreten. Deshalb sollen Locomotivführer, Eisenbahn-Couducteurs, Postillons, Nachtwächter, Polizisten Bärte tragen. Verkehrt ist das Verbot, daß Matrosen und Soldaten den vollen Bart nicht führen sollen. Es liegt die Erfahrung vor, daß Soldaten mit Schnurrbart von katarrhalischen Uebeln weit mehr verschont blieben, daß bartlose Rekruten am häufigsten wegen Brustentzündung in die Hospitäler wanderten.

Wem also Gott ein bärtiges Gesicht gegeben, der wahre diesen Schatz als Manneszier und seinem körperlichen Wohle zum Schutz und Trutz, und wer von uns erst heute überzeugt wurde von dem Werthe eines Bartes, welchen er als nutzlos bisher vernichtete, er verlache unbärtiger Moden Zwang und barterschrockener Reactionäre politische Bedenken; er schleudere hinaus zum Fenster Scheermesser, Streichriemen, Pinsel, Seifenbüchsen und wie die Folterwerkzeuge alle heißen!

Burghard.





Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.[1]

1. Die Vorbereitungen.
Von Dr. Karl Wagner.

Uns Deutschen ist es von der Vorsehung absonderlich schwer gemacht worden, frei, einig und mächtig nach innen und außen zu werden. Unsere ganze geschichtliche Entwickelung, vierunddreißig souveraine Häupter und der durch sie genährte königlich, großherzoglich, herzoglich etc. privilegirte Localpatriotismus, der lose Zusammenhalt unserer bundesstaatlichen Organisation, religiöse Verschiedenheiten, Particularismus an allen Ecken und Enden, das Interesse des Auslandes an unserer Zerstückelung und viele sonstige, hundertmal besprochene Ursachen haben alle dazu gedient, uns von einander zu entfernen, anstatt uns zusammenzuführen. Der tiefe Riß zwischen Nord- und Süddeutschland oder – damit wir lieber das Kind beim Namen nennen – zwischen den Cabineten von Wien und Berlin, die Eifersucht zwischen den dort herrschenden Dynastien, denn die Abneigung zwischen den nord- und süddeutschen Volksstämmen wäre in der That leichter auszugleichen – sie tragen die Hauptschuld an diesen unseligen Zuständen, ihnen fällt manche unheilvolle That zur Last. Muß es nicht das Herz eines jeden Deutschen mit Wehmuth und Zorn erfüllen, wenn er ruhig zusehen muß, wie die Diplomaten zweier Großstaaten jetzt wieder mit einem braven und biedern Stamme, der schwergeprüft mit unsäglicher Langmuth das fast Unerhörte getragen hat, ihr Ballspiel spielen und dessen unglückliches Land zum Schauplatz ihrer Absichten machen, wenn in einem andern Staate, nachdem der Fortschritt sich kaum einen Fuß breit neuen Boden erobert, die Reaction wieder drohend ihr Haupt zu erheben wagt? Angesichts dieser und ähnlicher Thatsachen möchte man fast den Muth sinken lassen und an allem Besserwerden, wenigstens auf dem bisher betretenen Wege, verzagen, – wenn nicht zwei Großmächte, die den anderen Großmächten heutzutage gewaltig zu schaffen machen, mit uns im Bunde wären, der Geist der Zeit und der zum Bewußtsein seiner selbst erwachte Geist des Volkes.

Der Geist der Zeit, der die Völker aller Zungen zum friedlichen Austausch ihrer materiellen und geistigen Erzeugnisse auf einen Punkt zusammenruft, der über kurz oder lang die Vorurtheile zwischen den Nationen schwinden machen wird, er duldet es nicht, daß Volksstämme, die eine Sprache reden, sich feindlich gegenüber stehen, er kann es nicht dulden, denn er würde sich selbst untreu werden. Und ebenso ist mit diesem Geiste, der auch die leuchtende Fackel der Wissenschaft schwingt, jeder Anklang an mittelalterliches Feudalwesen und an dumpfe Verfinsterung der Gemüther durch religiösen Wahn unvereinbar. Als einen Ausfluß dieses vereinigten Volks- und Zeitgeistes dürfen wir wohl mit Recht die Gründung des deutschen Schützenbundes und das von demselben veranstaltete erste deutsche Bundesschießen betrachten, welches in diesen Tagen vom 13. bis 20. Juli in der freien Stadt Frankfurt a. M. stattfinden wird.

Das deutsche Schützenwesen, ein so bedeutsames Culturmoment es auch in unserer Geschichte in früheren Jahrhunderten war, hatte längst aufgehört, einen wesentlichen und fördernden Einfluß auf unsere nationale Entwickelung zu äußern. Es fehlte ihm ganz und gar jede höhere Bedeutung und jene einheitliche Tendenz, welche z. B. das schweizerische Schützenwesen zu einer so tief in das nationale Leben der Schweiz eingreifenden, heilsamen Einrichtung gemacht hat. Es gab und giebt zwar heutzutage noch an vielen Orten sogenannte Schützengilden, auch werden von den meisten derselben alljährlich noch „Schützenfeste“ veranstaltet. Aber das ganze Auftreten und Gebahren dieser Gesellschaften ist mit wenigen Ausnahmen – dahin gehört z. B. das Schützenthum von Bremen – eher eine Persiflage auf die fortgeschrittene Schießkunst unserer Tage, als eine ernstliche Uebung in den Waffen zu nennen. Man schießt auf ganz kurze Distancen (250–400 Fuß) und meistens aufgelegt. Die Schützenfeste in den Provinzialstädten sind zu einer lächerlichen Komödie, zu einem niedern Jahrmarkt mit Volksbelustigungen herabgesunken. Der großmächtige Federbusch auf dem Hute, die von der Schulter bis zur Ferse Herabwallende breite Schärpe, der rasselnde Säbel an der Seite und die Sporen an den Füßen spielen eine Hauptrolle. Das Ganze läuft auf nicht viel mehr als auf Befriedigung kleinlicher Eitelkeit und Soldatenspielerei hinaus. In den Schießständen ist der Vogel das Hauptziel, dessen einzelne Stücke auf ganz kurze Distancen abgeschossen werden. Wer das Glück hat – denn die Kunst ist bei diesen Schießen wahrlich nicht entscheidend – den Rumpf vom Pfahl zu schießen, wird zum Herrn und König ausgerufen und mit schweren güldenen Ketten und Schildern behängt. Daß von solchen Helden im Fall der Noth kein Heil für das Vaterland zu erwarten sei, bedarf keines Nachweises. Man hat bei dem vorjährigen Schützenfeste in Gotha das Unnütze und Zweckwidrige der gegenwärtigen Einrichtungen sofort erkannt und mit rückhaltloser Offenheit diese Seite des deutschen Schützenwesens, welche es bei den Gebildeten der Nation in Mißcredit gebracht hat, gegeißelt. Soll das deutsche Schützenwesen wirklich zu neuem Leben erstehen und als ein die vaterländischen Interessen thatkräftig förderndes Institut, Anspruch auf die Theilnahme der Nation machen dürfen, so ist eine durchgreifende Reform desselben dringend geboten.

  1. Wir bitten unsere Leser, nicht zu vergessen, daß die Herstellung einer Nummer der Gartenlaube jetzt drei Wochen Zeit erfordert, Text und Abbildungen also nicht gleichzeitig mit dem Feste erscheinen können.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_441.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)