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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Hitze hat, und der Deutsche dort nie unter den Pflanzern und Sclavenhaltern als freier Arbeiter existiren kann, bietet der Süden dagegen ein prachtvolles gesundes Klima, einen reichen Boden und eine dichte Bevölkerung deutscher Landsleute, die sich mit wenigen Ausnahmen Alle wohl befinden.

Es giebt allerdings Manche, die auch auf diesen Theil des Reiches ihr Gift ausschütten und die entsetzlichsten Geschichten davon erzählen. Die Leute haben aber jedenfalls ihre eigenen und persönlichen Gründe dafür und schimpfen, weil sie eben weiter nichts zu thun haben. Es ist das Nämliche mit Nordamerika, wo der gebildete Deutsche, der kein Vermögen mit in das Land brachte und Handarbeit nicht verrichten konnte oder wollte, auch mit edler Entrüstung in die Lärmtrompete stößt und seinen Aerger über ein Land ausläßt, das ihn nicht ohne Arbeit füttern wollte. Der fleißige Arbeiter dagegen in Nordamerika wie Brasilien schreibt gar nichts; er bestellt sein Feld, macht einen Acker Land nach dem andern urbar, wird, während er seine Familie in glücklichen Verhältnissen heranwachsen sieht, reich oder doch wohlhabend, und ist mit seiner freundlich eingerichteten Plantage oder chagra, mit seinen behäbigen, sorgenfreien Verhältnissen, die beste Illustration zu einem Buch über brasilianische Auswanderung.

Er schreibt allerdings nicht, aber er erzählt, wie er auch im Anfang von Auswanderungsagenten geprellt wurde, wie man ihn da oder dorthin schickte, und wie schwer, wie furchtbar schwer er Jahre lang arbeiten mußte, um nur den ersten Grund zu seinem jetzigen Besitzthum zu legen – aber er arbeitete eben, und es ging.

Ich zeigte Einem von diesen Leuten eines Tages einen in Berlin geschriebenen Artikel, worin Brasilien etwa so geschildert wurde, als ob siedendes Pech und Schwefel noch eine Art von Behagen gegen einen Aufenthalt in Brasilien gewähren müßte. Der Mann lachte, warf das Papier unter den Tisch und sagte: „Der weiß wahrscheinlich warum er schimpft!“

Und trotzdem hat Brasilien viele Schattenseiten, die aber in Süd-Brasilien nicht etwa in Land oder Klima zu suchen sind, sondern ihren Grund anderweit haben. Die Hauptklage und zwar die gegründetste gegen Brasilien ist das von der Regierung oder vielmehr den Ständen nicht gehaltene Versprechen freier Religionsübung, denn unter freier Religionsübung muß man natürlich verstehen, daß eine Religion, die frei geübt wird, Berechtigung ihres Cultus und besonders dessen Gültigkeit vor den Gesetzen hat. Die Stände Brasiliens bestehen aber ausschließlich aus Kaffeejunkern und Pfaffen, und die Letzteren besonders fürchten, durch jedes den Protestanten eingeräumte Recht den Boden unter den eigenen Füßen zu lockern oder doch wenigstens zu gefährden.

Zu neuerer Zeit ist allerdings ein Gesetz gegeben, das anscheinend die Gültigkeit der protestantischen Ehen regelt und feststellt, in Wirklichkeit aber wird es sich nicht bewähren und noch Ursache zu vielen Conflicten und Processen geben.

Merkwürdig leicht nehmen es dabei die Deutschen in den Colonieen, denn unser guter Bauer ist nun schon einmal von daheim gar nicht gewöhnt, auch nur je über ihn betreffende Gesetze nachzudenken. Sind die Gesetze gegeben, so müssen sie befolgt werden, und greifen sie endlich störend in sein eigenes Leben und Wirken ein, so schimpft er allerdings – aber weiter thut er nichts. Er ist ein ganz vorzüglicher Unterthan.

Die Katholiken haben allerdings gar nichts mit diesem Gesetz zu thun, denn ihre Verhältnisse sind geregelt, und die Protestanten lassen eben Alles in dem alten Schlendrian hingehen, bis sie einmal durch ein paar recht auffällige Beispiele aus ihrer Ruhe aufgeschreckt werden.

In allen solchen Colonien hält es dabei ungemein schwer, einen guten Geistlichen und besonders Schullehrer zu bekommen, denn die Leute können sich Alle, ohne ihr Leben in lauter Aerger und Noth zu verbringen, recht gut und unabhängig ihre eigene Existenz mit dem Ackerbau gründen – und wer möchte da Schulmeister sein? Die Folge davon ist, daß sich gewöhnlich nur junge Leute zu diesem Amt melden, die, mit einem gewissen Grade von Bildung, keine harte Arbeit thun, mit den Fäusten nicht zugreifen mögen und, da sie doch leben müssen, gezwungen sind, ein solches Amt auf kurze Zeit anzunehmen. Sobald sie aber eine andere, ihnen mehr zusagende Beschäftigung finden, hängen sie das mühselige Schulamt an den Nagel, und die Kinder wechseln so ununterbrochen mit ihren überdies meist sehr mittelmäßigen Lehrern.

Mit den Geistlichen findet ein ähnliches Verhältniß statt, und trotzdem, daß die Regierung selber an verschiedenen Colonien protestantische Geistliche anstellen wollte, konnte sie doch keine passenden Kräfte dazu in den Colonien finden, und so viel ich weiß, hat sie jetzt einige Geistliche selbst von Deutschland verschrieben.

Ueberhaupt kann man, wenn man gerecht sein will, nicht anders sagen, als daß die brasilianische Regierung alles in ihren Kräften Stehende gethan hat, den deutschen Colonisten in Brasilien gerecht zu werden und die Colonien zu fördern. Sie hat besonders dazu keine Geldausgaben gescheut und allen Einwanderern sogenannte Subsidiengelder oder Unterstützungen bewilligt, die ihnen ausgezahlt wurden, bis sie ihr Land selber urbar gemacht – und selbst dann wurden die Gelder kaum zurückgefordert, oder wenn ja, von den Wenigsten wieder gezahlt, obgleich sie jetzt recht gut die Mittel dazu gehabt.

Land ist fast Allen ebenfalls gratis bewilligt worden, und wenn den Einwanderern nicht Alles so zu Gute kam, wie es wohl gesollt, so war das allein der Fehler räuberischer Unterbeamteter, die sich wie die Aasgeier auf jeden Geldposten stürzen, der von irgend einer südamerikanischen Regierung zu irgend einem Zwecke bewilligt wird.

Wo die Deutschen deshalb selber mit der Regierung zu thun hatten, fanden sie auch selten oder nie Ursache zur Klage, aber wehe ihnen, wenn sie sich mit den brasilianischen Pflanzern einließen, wenn sie trotz aller Abmahnungen und Warnungen Privatcontracte mit den Kaffeejunkern und Pflanzern (sogenannte Parcerieverträge) schlossen, denn in dem Fall waren sie fast immer verloren, und viele Hundert unserer Landsleute büßen noch jetzt in fast mehr als halber Sclaverei mit ihren Familien die frühere Dummheit.

Diese Parcerieverträge klangen allerdings verlockend, und mit den Lobpreisungen deutscher Auswanderungszeitungen und Agenten, die ihre Landsleute gewissenlos an’s Messer lieferten, gelang es den brasilianischen Pflanzern, eine große Anzahl Deutscher in die vorgehaltene Schlinge zu locken. Daß sie schrieen, als sie darin saßen, half ihnen eben nicht mehr viel, denn wer sich contractlich mit einem Privatmanne verbindet, kann sich wohl beklagen, wenn er betrogen wurde, aber nie den Contract rückgängig machen oder von einer Regierung verlangen, daß er rückgängig gemacht werde, den Fall natürlich ausgenommen, daß nachweisbare Betrügereien stattgefunden.

Es kann deshalb unseren deutschen Landsleuten nie genug zugerufen werden, unter keiner Bedingung, wie verlockend die Aussichten auch klingen mögen, einen überseeischen Contract, das heißt einen solchen, der für einen fremden Welttheil bindende Kraft hat, in Deutschland abzuschließen. Sie können von hier aus die dortigen Verhältnisse nicht beurtheilen. Sie wissen nicht, wie ein solcher Contract zu ihrem Schaden gedreht und gewendet werden kann, und sie müssen vor allen Dingen bedenken, daß sie, wenn übervortheilt, als deutsche Unterthanen vollkommen schutzlos in der Fremde sind. Die deutschen Consuln von aller Herren Länder, so große und so bunte Flaggen und hübsch gemalte Schilder sie auch auf ihren Häusern und über ihren Thüren haben, nützen ihnen gar nichts, denn sie können höchstens protestiren, und die Regierungen jener Länder nehmen natürlich keine Notiz davon.

Wer aber als freier Mann nach dem Süden von Brasilien auswandern will und sich als Protestant nicht an die Bevorzugung der katholischen Religion stößt, oder wer, wenn er sich dort, vielleicht in gemischter Ehe, verheirathet, noch die Vorsicht gebraucht, über das Erbschaftsrecht seiner Kinder einen festen Civilcontract aufzusetzen, der mag auch die Ueberzeugung mitnehmen, daß er dort in ein gesundes, fruchtbares Land kommt, von der Regierung selber jede vernünftige Unterstützung erwarten darf und eine Masse von Landsleuten findet, die es durch Fleiß und Ausdauer dahin gebracht haben, sich vollkommen wohl zu befinden.

Um Gotteswillen soll aber Niemand glauben, daß er in einem Lande wie Brasilien „mit sehr leichter Mühe“ sein Feld bestellen kann, weil ihm die ungemeine Fruchtbarkeit des Landes zu Hülfe kommt. Fruchtbar ist das Land allerdings, aber dafür treibt ein recht üppiger Boden auch wieder eben so üppig Unkraut, und einen brasilianischen Urwald auszuroden, ist ebenfalls keine Kleinigkeit. Nein, wer es dort zu etwas bringen will, muß arbeiten, hart arbeiten, und er darf sich außerdem nicht einbilden, daß er dort unentbehrlich sei und mit seiner Arbeitskraft dringend verlangt würde.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_455.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)