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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ein neues Künstler-Denkmal.

Im Jahre 1790 trat eines Tages ein Fremder bei Mozart ein und überreichte demselben einige Empfehlungsschreiben, in denen der Vorgestellte als ein sehr talentvoller Clavierspieler und Componist bezeichnet war, der blos nach Wien gereist sei, um den großen Meister zu hören. Das vernachlässigte Aeußere und linkische Benehmen des jungen Mannes erregten keine großen Erwartungen bei Mozart, die auch nicht erhöht wurden, als jener am Clavier improvisirte, denn der Meister glaubte ein auswendig gelerntes Stück zu hören. Gereizt durch die kühle Aufnahme, erbat sich der Fremde ein Originalthema. „Na warte,“ murmelte Mozart, „Dich will ich schon erwischen!“ Er schrieb ein Fugenmotiv auf, in welchem sehr künstliche, nur dem Eingeweihten entdeckbare Combinationen versteckt lagen. Als aber der junge Mann über diese äußerst verfängliche Aufgabe beinahe drei Viertelstunden lang mit immer steigender Kunst und Genialität phantasirte, schlich Mozart auf den Zehen in das offene Nebenzimmer zu seinen dort versammelten Freunden und flüsterte ihnen mit funkelnden Augen zu: „Auf diesen hier gebt Acht! der wird Euch einmal etwas erzählen!“ – Dieser junge Musiker war – Beethoven.

Die vollständige Ausgabe seiner Werke, die soeben begonnen, ein Unternehmen, dem wir an Interesse und Wichtigkeit für die ganze musikalische Welt gegenwärtig kein zweites an die Seite zu stellen wüßten, veranlaßt uns, bevor wir Näheres darüber berichten, einige Notizen über das Leben und die Schöpfungen dieses großen Tondichters hier mitzutheilen, zumal uns eine lange Erfahrung gelehrt hat, daß vom großen Publicum nur wenige den seltenen und seltsamen Menschen Beethoven kennen, über seine Werke aber manche noch bis heute umlaufende falsche Meinung zu berichtigen sein möchte.

Ludwig van Beethoven wurde den 17. December 1770 zu Bonn geboren. Schon vom fünften Jahre an gab ihm sein Vater, der als Tenorsänger in der kurfürstlichen Capelle angestellt war, Unterricht auf dem Clavier. Elf Jahre alt spielte er mit Erstaunen erregender Fertigkeit Bach’s „wohltemperirtes Clavier“, – achtundvierzig der allerschwersten Fugen mit eben so viel Präludien dazu! Auch im Generalbaß erhielt der Knabe später von dem dortigen Musikdirektor Neefe einigen Unterricht und fing bald an zu componiren. Im Jahre 1792 siedelte Beethoven ganz nach Wien über. Dort begann er die Regeln seiner Kunst ernstlicher zu studiren, zuerst bei Haydn, dann bei Albrechtsberger und Salieri. Aber schon zeigte sich ein störrisches Wesen an ihm; er hatte wenig Respect vor Autoritäten und wurde seinen Lehrern oft unbequem durch verfängliche Fragen, Zweifel und Einwürfe. Freilich, während er bei jenen Männern noch als Schüler erschien, arbeitete er insgeheim bereits an einem Meisterwerke, seinen drei ersten Claviertrios. Sie erschienen 1795 und wurden mit außerordentlicher Theilnahme aufgenommen. Der Fall ist selten, daß das Erstlingswerk eines Componisten einen so glänzenden Erfolg gewinnt, noch seltener aber mag es sein, daß der schnell gewonnene Ruhm aushält, ja fort und fort sich steigert. Dies war im Ganzen bei Beethoven der Fall. In einem Zeitraume von 32 Jahren, von 1795 bis zu seinem 1827 erfolgten Tode, erschienen nicht weniger als 255 Compositionen von ihm im Druck. Es offenbarte sich in diesem Geiste eine unerschöpfliche, originelle Erfindungskraft, ein alle Herzen ergreifender Gefühlsausdruck, ein unversiechlicher Quell der schönsten und edelsten Melodien, ein bezaubernder Wohlklang und Farbenreichthum. Jedes folgende Werk bot eine neue Ueberraschung an Charakter, Inhalt und Form.

Denkt man an die schweren Hindernisse, die sich dem beginnenden Componisten entgegenstellen, an die Dunkelheit seiner Objecte, die so geheimnißvoll in der Menschenbrust leben und weben, an das schwankende Wesen der Töne, an das Vorurtheil des Publicums gegen noch unbekannte Namen, an den Neid oder die Dummheit der musikalischen Kritik, an die Sorge und Noth, die so viele zu erdulden haben, wodurch oft die schönsten Kräfte paralysirt oder ganz aufgerieben werden, – so muß man Beethoven einen der glücklichsten Künstler nennen. Denn ihn empfingen am Anfang seiner Laufbahn Anerkennung, Ruhm und pecuniärer Gewinn, und sie blieben ihm treu im Ganzen bis an’s Ende seines Lebens. Was man über seine Geldbedrängnisse erzählt, ist Fabel. Die Verleger stritten sich um seine Manuscripte, er hatte immer Bestellungen auf Jahre hinaus, seine Honorarforderungen waren nicht gering, wurden aber bereitwillig gewährt. Wenn ihm momentan einmal das Geld ausgegangen war, so lag die Schuld nur an ihm selbst, weil er es in früherer Zeit nicht einzutheilen verstand. Später lernte er wohl damit haushalten. Der Vorwurf, daß die Welt ihre großen Geister darben lasse, ist wenigstens in Bezug auf Beethoven ein ungerechter. Erzherzog Rudolph, die Fürsten Lobkowitz und Kintsky setzten dem Tondichter eine jährliche Rente von 4000 Gulden W. W. aus, unter der einzigen Bedingung, daß er sie innerhalb der Erbstaaten Oesterreichs verzehre. Das Beschreiben um Unterstützung an die philharmonische Gesellschaft in London erließ er nicht aus Noth, denn er besaß damals schon ein Capital von 10,000 Gulden, das er seinem Neffen erhalten wollte und auch hinterlassen hat.

Leider in dem Maße, fast, in welchem Beethoven’s Ruhm und Glück als Künstler immer glänzender emporstieg, sank und verfinsterte sich sein Geschick als Mensch. In seinem 27. Jahre schon empfand er mit unbeschreiblicher Angst die Annäherung eines Uebels, das dem Musiker als das schrecklichste erscheinen mußte – Schwerhörigkeit! Da schon zog er sich von der Gesellschaft zurück, um ihr sein Leiden zu verbergen, „wie eine Schande oder einen Schimpf“. Zuweilen zwar hoffte er, und hatte dann wohl noch heitere Stunden, aber das Uebel nahm zu und ging endlich in unheilbare Taubheit über.

Das Unabänderliche mit philosophischer Resignation zu tragen, vermochte Beethoven’s überaus reizbare Natur nicht. Es schlummerten einige üble Eigenschaften in ihm, die sein Unglück weckte und zu hohen Graden steigerte. Seine treuesten Freunde, Ries, Brenning, Wegeler, Schindler, stimmen darin überein, daß der Umgang mit ihm eine penible Aufgabe gewesen, daß er ein sonderbarer, eigensinniger, jähzorniger, heftiger, oft unleidlicher Mensch gewesen sei. Dadurch, sowie durch seine brutale Sprache und plumpen Manieren, wurden viele seiner eifrigsten Verehrer von ihm zurückgeschreckt. Er sah überall Feinde und Verräther, selbst in denen, die ihm am aufrichtigsten ergeben waren; er witterte Fallstricke in den unschuldigsten, ja auf seinen Vortheil berechneten Schritten seiner Freunde. So beschuldigte er einst Schindler, seinen allergeduldigsten Anhänger, die Einnahme eines Concertes unterschlagen zu haben. Der Tiefgekränkte wollte Beethoven nie wieder sehen, kam aber doch zurück, als jener ihm später sein Unrecht abbat. Nicht Alle übten diese Nachsicht, und so vereinsamte Beethoven mehr und mehr. Nicht weniger unleidlich war sein Künstlerstolz, der die erlaubten Grenzen des Selbstbewußtseins weit überschritt. Als er einst in Karlsbad mit Goethe spazieren ging, begegnete ihnen die Kaiserin von Oesterreich mit zahlreichem Gefolge. Goethe trat bei Seite und verneigte sich tief mit entblößtem Haupte. Beethoven lachte über den großen Dichter, knöpfte seinen Ueberrock bis an’s Kinn zu, ging mitten durch die hohe Gesellschaft und nahm seinen Hut erst ab, als ihn die Kaiserin gegrüßt hatte. – Die Wiener nannten ihn auch nur den „Großmogul“. – Viele Ursachen seiner Leiden und Verdüsterungen lagen nur in seiner Einbildung. Er wird in Bezug auf das praktische Leben als ein Kind geschildert, dem alle Menschenkenntniß abging. Seine besten Freunde hielt er oft für Verräther; die wenigen Individuen dagegen, welche sein Mißtrauen und seine Verachtung wirklich verdienten, die sich ihm aufdrängten, um ihn zu bevortheilen, zwei Brüder nämlich und einen total mißrathenen Neffen, schonte er und ließ sich mit unbegreiflicher Geduld die plumpeste und niederträchtigste Behandlung von denselben gefallen. Um den Neffen, den er adoptirt hatte, bei sich zu behalten, processirte er vier Jahre mit der Mutter desselben, die ihren Sohn zurückverlangte. Und weil das Adelsgericht bei dieser Gelegenheit die Beweise seiner adeligen Abkunft verlangte, da bekanntlich das holländische van den Adel nicht involvirt, sah er dies für eine unerhörte Beleidigung an und wollte das Land verlassen.

Andere Schwächen waren mehr belustigender Art. In seinem Haushalte z. B. herrschte eine gräuliche Unordnung. Bücher und Musikalien lagen in allen Ecken zerstreut umher. Die Partitur seiner großen Messe fand er einstmals – in der Küche, wo die Haushälterin Feuer damit anmachen wollte etc.! Es wäre traurig, wenn die bisher geschilderten Züge allein den menschlichen Charakter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_457.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)