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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Warum nicht?“ war die ernste Antwort, „es kann in Amerika Niemand zu geschwind auf den rechten Weg kommen, und was er noch nicht weiß, das hat er jetzt die beste Gelegenheit zu lernen. – Wenn Sie aber in Ihrer jetzigen Lage einen guten Rath annehmen wollen, so kommen Sie in der nächsten Zeit nicht zu oft hierher, so gern ich Sie sonst auch bei mir sehen möchte.“

„Und weshalb nicht, Herr Marquart, wenn mir die Frage erlaubt ist?“ erwiderte Hugo, befremdet aufsehend.

„Dürfen kein schiefes Gesicht dazu machen, ich sag’ es nur Ihretwegen,“ erwiderte Marquart, ihm mit derber Gutmüthigkeit die Hand reichend. „Erstens weil es Ihr jetziger Principal sehr unliebsam bemerken würde, Sie in einer Gesellschaft, wie die unserige, zu sehen – er drückt mir beim Begegnen jedesmal so freundlich die Hand, als wolle er ein störrisches Maulthier mit Streicheln kirre machen; er kennt mich, der Mr. Winter! Zweitens aber, weil Sie hier leicht als Aufpasser oder dergleichen gelten könnten; seit gestern Abend, wo Sie den Verhandlungen zuhörten, kennen Sie unsere Leute und wissen, wo Sie im Geschäft sind!“

Hugo fuhr sich mit der Hand. über die Stirn. Er war also bereits um seiner Stellung willen eine Art gezeichnete Person unter den Deutschen geworden. „Jetzt giebt es, ja wohl hier nichts aufzupassen,“ sagte er nach einer kurzen Pause mit hörbarer Bitterkeit; „meines Principals wegen aber werde ich meiner Freiheit in keiner Weise Zwang anlegen, und so haben Sie wohl nichts dawider, ein Glas Bier mit mir zu trinken – ich möchte Wohl ein paar Fragen von Ihnen beantwortet haben!“

„Sie nehmen ein gut gemeintes Wort übel, aber – nur zu! vielleicht bitten Sie es mir noch einmal ab!“ erwiderte der Wirth, kräftig seine Mütze rückend und dann nach dem Bierfasse eilend.

„Sagen Sie mir, Herr Marquart, offen und verständlich,“ begann der junge Mann, als der Alte die Bleigläser herbeigebracht und sich dem Sprecher gegenüber bequem auf einem Stuhle niedergelassen hatte, „was hat Winter’s Geschäft mit allen den Dingen zu thun, welche ich gestern Abend hier gehört? oder was ist es wenigstens, das dem Manne Schuld gegeben wird?“

Der Alte fuhr sich mit einem wunderlichen Gesichtsausdrucke unter das Schild seiner Mütze, „Offen und klar? ja wenn wir so weit wären, lieber Herr, so brauchten wir nicht erst ein Untersuchungscommittee,“ sagte er, „ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß eine Zeitlang Aufenthalt in Amerika dazu gehört, um sich aus einzelnen Dingen den rechten Vers zu machen.“

„Das heißt also, es existirt ein Verdacht,“ fuhr der frühere Referendar ruhig fort, als sitze er als Inquirent hinter dem Gerichtstische. „Sie werden mir nun wenigstens sagen können, welcher Art die Beschuldigungen gegen die Stadtverwaltung sind, mit denen Winter auch nur in Verbindung stehen könnte, denn er selbst hat doch kein städtisches Amt.“

Marquart sah, mit einem halb mißtrauischen Blicke in das Gesicht seines Gastes. „Könnte? Warum nicht? es kann Alles in Amerika,“ erwiderte er langsam, „was kann Ihnen aber am bloßen Können liegen?“

„Daß ich mir zuerst den richtigen Vers aus den Dingen machen kann, Herr Marquart,“ erwiderte Hugo ernst, „und daß ich zweitens nicht denken muß, die Deutschen hier gingen in irgend einem Fanatismus oder unbegründetem Vorurtheile so weit, daß sie selbst einen Landsmann zum Spion stempeln, weil er sich bei Mr. Winter seinen ehrlichen Lebensunterhalt verdienen will!“

Der Wirth saß rasch auf seinem Stuhle gerade auf, schob die Mütze auf den Hinterkopf und sah den jungen Mann mit blitzenden Augen an. „By God, Sir! das sollen Sie wenigstens nicht mir gesagt haben!“ rief er, „Sie sind erst seit gestern hier, und ich habe alle Ursache, Sie für ehrlich zu halten, aber ein Nigger muß es verstehen, daß ich Niemanden glattweg einen Spitzbuben nennen mag, ehe ich die Beweise nicht in den Händen habe. Ich werde Ihnen trotzdem klaren Wein einschenken, und wenn Sie es mich selbst bereuen lassen sollten!“

„Sie werden nichts zu bereuen haben!“ erwiderte der Andere ruhig, aber mit gespanntem Blicke.

„Well, Sir,“ fuhr Marquart fort, „wir haben die klaren Beweise in der Hand, daß mehr Stadtschuldscheine ausgegeben worden sind, als die Stadt bewilligt hat; demohngeachtet weist das Buch des Comptrollers nur die bewilligte Anzahl aus, und dies erklärt sich dadurch, daß doppelte Schuldscheine von ein und derselben Nummer an verschiedene Inhaber verkauft worden sind. Das Geld für das zweite Schwindelpapier muß also in die Taschen des Mayors und Comptrollers gewandert sein, und wenn unsere Berechnung der jährlich gezahlten Zinsen, die erst jetzt durch den entstandenen Verdacht auffällig geworden, richtig war, so sind es mehr als eine halbe Million Dollars, um welche die Stadt nur auf diese Weise betrogen worden ist. Well, Sir! jetzt werden Sie fragen, was geht das Winter an? Nun. Mr. Graham als Comptroller hat sich gehütet, durch sein eigenes Geschäft die Obligationen der Stadt in den Geldmarkt zu bringen, ebenso wie er bei andern Manipulationen, die jetzt auch bald heiß auf ihn brennen werden, sich stets eines Dritten als Helfer bedient hat. Dieser Dritte aber ist, soweit sich hat nachkommen lassen, immer Winter gewesen, und wenn er in diesen Fällen auch nichts weiter gethan, als was ein schmutziger Geldmensch, ohne gerade straffällig zu werden, thun darf, so läßt sich doch ganz sicher vermuthen, daß er sich auch als Mittelsmann zum Verkaufe der doppelt ausgestellten Stadtschuldscheine hergegeben hat. Ich bin so lange hier, als der gute Mann selbst, habe seinen ersten Anfang gesehen und weiß, was es für Geschäfte waren, die ihm auf die Beine geholfen; nachher hat es wohl keinen heimlichen Handel zwischen Speculanten und Regierung, keinen stillen Schwindel im Eisenbahn- und Landgeschäfte gegeben, in denen er nicht seine Finger gehabt – ich habe ihm einmal gründlich in die Karten gesehen als ich Mitglied der Legislatur war, wo für einen Staatsbau, der schon übervoll bezahlt war, die kleine Mehrbewilligung von einer Million herausgepreßt werden sollte; seitdem bin ich nichts als sein „old dear friend“, dem er die Hände entzwei drücken möchte – wir kennen uns, und eben deshalb weiß ich auch, wer wieder die Finger in unsern Stadtfinanzen hat.“

(Fortsetzung folgt.




Die Schwester der Wartburg.

Von Friedr. Hofmann.


Ob es noch ein deutsches Land giebt, welches sich zweier Burgen von so hoher nationaler Weihe rühmen kann, wie sie das kleine Gebiet der sächsischen Fürsten von Thüringen und Wanken in der Wartburg und in der Veste Coburg besitzt?

Man nennt Thüringen sammt den ihm angeschlossenen Theilen von Nordfranken und Henneberg das Herz Deutschlands. Und in der That hat dieses Ländchen die Ehre dieses Namens nicht blos durch seine Lage verdient, sondern sie, wenigstens seit fast vierthalbhundert Jahren, redlich dadurch erworben, daß die großartigsten Regungen deutschen Nationallebens von dort ausgingen und dort ihre herrlichsten Triumphe feierten. Aber selbst neben den drei, hervorragendsten Pflegestätten deutscher Wissenschaft, Dichtung und Kunst, neben Weimar, Jena und Gotha, gebührt jenen beiden Burgen die Anerkennung einer besondern Bedeutung.

Beider strahlendste Ruhmessonne ist Luther, aber der Glanz, welchen sie auf Beide ergießt, ist ein verschiedener: er ist für die Wartburg das verklärende Abendroth, für die Coburg das erweckende Morgenroth. –

Die Wartburg tritt an der Hand der Sage gleich in die deutsche Geschichte ein; schon im ersten Morgenschimmer ihres Daseins schmückt sie der Kranz der Dichtkunst, ihre Landgrafen sind deutsche Heldengestalten, ihr Sängerkrieg, ihre heilige Elisabeth sind deutsche Zierden, sie selbst war ein Prachtwerk deutscher Kunst. Ihre hohe, festliche Zeit war jedoch vorüber, sie stand am Niedergang, als Junker Görge ihr einen Ehrenkranz der Reformation auf das alternde Haupt setzte. Als dieser ihr größter und letzter Held von ihr schied, entschlief sie. Sie ward vergessen. Niemand gedachte ihrer fast dreihundert Jahre lang. Erst die deutschen Studenten weckten sie wieder auf, und seit diesem ersten Wartburgfest

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_468.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)