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und seine Zustimmung dazu gab, daß der Kurfürst von Brandenburg König in Preußen, wie die Formel lautete, wurde. Nach einem andern Bericht hatte Bartholdi die Depesche, welche ihm anrieth, den Pater Wolff zu vermeiden, gänzlich mißverstanden und verwenden dafür gelesen. Die Jesuiten erhielten 200,000 Thaler zur Belohnung für ihre Dienste; der ebenso staatskluge als tapfere Prinz Eugen erkannte allein die Bedeutung dieses Ereignisses, indem er den charakteristischen Ausspruch that: „Die Minister, die dem Kaiser gerathen haben, den König in Preußen anzuerkennen, verdienten gehangen zu werden.“ Bartholdi, der aus einer bürgerlichen Familie stammte, wurde mit Geld und Ehren überhäuft und zum Etatminister erhoben. Sein Haus aber gelangte später in den Besitz des bekannten Kapellmeisters Graun, der ein Liebling Friedrich des Großen war und durch eine glänzende Heirath sein Glück gemacht hatte. Hier componirte er eine Reihe trefflicher Werke, von denen sich die berühmte Cantate „der Tod Jesu“ noch heute einer großen Popularität erfreut und jährlich während der Osterwoche in der hiesigen Garnisonkirche ausgeführt wird.

Von den Häusern, welche in der Spandauer Straße einen Theil des jetzigen General-Postamtes bilden und noch aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammen, gehörte Nummer 21 dem berühmten Staatsminister von Meinders, Nummer 22 dem Feldzeugmeister Grafen von Sparr; hier fanden die früher längere Zeit sehr besuchten Flies’schen Concerte statt, der Sammelplatz der Berliner Musikfreunde im Anfange unseres Jahrhunderts. –

In derselben Straße Nummer 68 wohnte einige Zeit Lessing mit seinem Freunde Mylius im bescheidenen Dachstübchen, zuletzt aber Moses Mendelssohn, der das Haus kaufte und darin starb. An diese bescheidenen Räume knüpft sich eine der größten Epochen unserer deutschen Literatur; in Gemeinschaft mit seinen Berliner Freunden Nicolai und Mendelssohn ließ der damals jugendliche Lessing „Briefe die neueste Literatur betreffend“ erscheinen; hier wurde der „Phädon“ von Mendelssohn geschrieben, hier studirte Lessing das Original zu seinem Nathan; hier wurde jener schöne Freundschaftsbund zwischen dem Christen und Juden geschlossen, ein leuchtendes Vorbild humaner Duldung und höchster Toleranz, hier die Saat der schönen Menschlichkeit ausgestreut, die hundertfältige Früchte trug. Das kleine, unansehnliche Haus verwandelt sich vor unsern Augen in einen strahlenden Tempel, beschienen von der leuchtenden Sonne der wahren Aufklärung und echten Menschenliebe. Eine Gedenktafel mit goldenen Buchstaben bezeichnet die Stätte, wo Lessing und sein Freund Mendelssohn oft bis nach Mitternacht in philosophischen und literarischen Gesprächen verkehrten oder vertieft bei ihrer Schachpartie saßen. – Aber noch andere Geister umschweben diesen Ort und wecken die Erinnerung an jenes erste Aufblühen der Berliner Geselligkeit, an jene Tage, wo Bildung und Intelligenz die Schranken des Vorurtheils durchbrachen, wo die Töchter Mendelssohns mit ihren jüdischen Freundinnen von vornehmen christlichen Cavalieren aufgesucht wurden, wo Wilhelm von Humboldt zu den Füßen der schönen Henriette Herz schmachtete, wo der Geist zum Adelsbriefe wurde und sich mit Hülfe dieser frischen belebenden Elemente eine neue Gesellschaft bildete, deren Zierden eine Rahel, ein Schleiermacher, Schlegel und noch viele andere große und bedeutende Männer waren, zu welcher der geniale Prinz Louis Ferdinand, Gesandte, Minister und Diplomaten sich drängten, indem sie dazu beitrugen, die Standesunterschiede zu beseitigen und eine wahrhafte Republik der Geister zu bilden. –

Einige Schritte genügen, um uns aus dem Jahrhundert der Aufklärung und Toleranz wieder in die dunkle Zeit des Mittelalters zu versetzen. Am Ausgange der Spandauer Straße, da, wo sie in die neue Friedrichsstraße mündet, lag „das Hospital nebst der Kirche zum heiligen Geiste“ an derselben Stelle, wo sich Beide, wenn auch in veränderter Gestalt, noch gegenwärtig befinden. Eine unverbürgte Tradition nennt eine Jungfrau aus dem edlen Geschlechte der Salzwedel zu Stendal als die Stifterin des Krankenhauses. Der Name selbst rührt von dem frommen Orden des heiligen Geistes her, der sich im Mittelalter hauptsächlich mit der Pflege der armen „Aussätzigen“ beschäftigte. Die Krankheit, welche wahrscheinlich aus dem Orient durch die Kreuzzüge nach Europa kam, war damals allgemein verbreitet, und die davon Befallenen befanden sich in der bejammernswerthesten Lage. Sie wurden von aller Welt und selbst von ihren nächsten Angehörigen gemieden, so daß ihnen keine weitere Zuflucht blieb als das Spital, worin sie bis zu ihrem Tode eingeschlossen waren. Wer von ihnen sein Gefängniß verließ, wurde mit den härtesten Strafen belegt und sogar für „vogelfrei“ erklärt, so daß Jeder ihn auf der Stelle tödten durfte. Ein derartiges Haus der Aussätzigen, domus leprosorum, war das „Spethal“ oder Spittel zum heiligen Geist in der Spandauer Straße, welches zum ersten Male in dem Gildebriefe der Berliner Bäcker vom 18. Juni 1272 erwähnt wird, wornach das zu leicht befundene Backwerk zur Strafe confiscirt und den Kranken zur Nahrung überliefert werden sollte. Das heilige Geist-Hospital ist bis in die neueste Zeit seiner Bestimmung treu geblieben, nur seine äußere Physiognomie hat sich wesentlich und zu seinem Vortheile verändert. An der Stelle des alten Hauses der Aussätzigen mit den hohen, finstern Mauern und verschlossenen Thoren, hinter denen die Elenden bei lebendigem Leibe begraben waren, steht jetzt ein ansehnliches, freundliches Gebäude mit zierlichem Gitter und Vorgarten, in dem die schönsten Rosen blühen und Reconvalescenten im Schatten der Bäume ruhen. – Dicht daneben, wo heut das Haus Nr. 2 steht, befand sich früher eine Klause mit einem Heiligenbilde, vor dem eine ewige Lampe brannte; darin wohnte der fromme Klausner, welcher von den milden Gaben der Vorübergehenden lebte und nur selten seine düstere Zelle verließ.

In der Nähe lag die „Ruppiner Herberge“, jetzt das Gasthaus zur „Stadt Ruppin“, eine Herberge für Fremde und Reisende, wo sie zwar eine Wohnung fanden, aber die Lebensmittel selbst mitbringen mußten. Nur Kaufleute, die zur Messe oder zum Jahrmarkt zogen, kehrten daselbst ein; die vornehmeren Stände wohnten meist im Privatquartier bei guten Freunden. Das Reisen war in jener Zeit nicht nur unbequem, sondern höchst gefährlich. Auf der Landstraße lauerten Diebe, Schnapphähne, Gesindel aller Art, aber auch edle Ritter, die sich kein Gewissen daraus machten, einen reichen Kaufmann auszuplündern, oder einen Gegner zu überfallen und nur gegen ansehnliches Lösegeld frei zu lassen. Die Herbergen auf dem Lande waren Mordlöcher und die Wirthe häufig mit den Strauchdieben einverstanden, wofür die Namen der übel berüchtigten Wirthshäuser „Paß auf!“, „Sieh dich für!“, „Trau nicht!“, „Mordkretscham“ u. s. w. sprechen. Man übernachtete auch in Mühlen, die gewöhnlich nicht in besserem Rufe standen, oder unter dem freien Himmel, wo dann ein Zelt aufgeschlagen und von mitgebrachten Teppichen und Decken ein Lager bereitet wurde. Selten reiste man allein, sondern in größerer Gesellschaft und bewaffnet, um im Falle der Noth den Räubern Widerstand leisten zu können.

Sicherer und besser als die Krüge und Wirthschaften auf dem Lande waren die Herbergen in der Stadt, welche freilich sich mit unseren heutigen Hotels nicht vergleichen lassen und kaum unseren niedrigsten Anforderungen genügt haben würden. In früherer Zeit herrschte noch die Sitte, daß vor den Thoren der Stadt eine Tafel mit dem Verzeichniß sämmtlicher Wirthshäuser aushing, von denen eines der besten die „Ruppiner Herberge“ gewesen zu sein scheint.

Wo jetzt das Haus Nummer 67 in der Spandauer Straße liegt, stand früher das alte „Kramhaus“, eine auf Kosten der Stadt erbaute Halle, wo die Kaufleute und besonders die damals so bedeutenden Tuchhändler und Gewandschneider ihre Waaren auslegten und Sicherheit, Schutz und Bequemlichkeit fanden. Derartige Gebäude, welche schon in den ältesten Zeiten vorkommen, hatten gewöhnlich Schwibbogengänge, wie sie noch jetzt am „Mühlendamme“ sichtbar sind. In diesen Arcaden oder sogenannten „Lauben“ wurden die Waaren auf Bänken ausgestellt und zum Verkaufe ausgeboten. „Kaufleute“ hießen im Mittelalter nur die Großhändler, während alle Detaillisten „Krämer“ genannt wurden. Der Markt wurde mit einer Glocke eingeläutet und zugleich öffentlich ein großes Kreuz in der Mitte des dazu bestimmten Platzes aufgerichtet, zum Zeichen des gebotenen Friedens. Jeder Streit wurde deshalb als Friedensbruch angesehen und auch streng bestraft. Auch die Zelte der größeren Kaufleute waren mit kleinen Kreuzen geschmückt, um Alle an Ruhe und Ordnung zu mahnen. Für die Aufstellung der Zelte so wie für die stehenden Buden nahm der Magistrat einen bestimmten Zins, außerdem bezog derselbe ansehnliche Steuern und Zölle von den fremden Kaufleuten und Krämern. Besonders drückend für den Verkehr war das „Niederlagsrecht“ der Stadt, wonach alle durchgehenden Kaufmannsgüter lagern und für die Einwohner feil geboten werden mußten. Ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_472.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2024)