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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zu einem arm gekleideten Mädchen hatte setzen und ihr Zuckerzeug mit ihm theilen können, nur weil die geputzten Kinder nicht mit ihm hatten spielen wollen – sie kümmerte sich um die feinen Herren nichts und um Mr. Graham am wenigsten. Aber der Comptroller machte sich bei Zeiten an den Vater, nicht mit seinen Werbungen, sondern mit verschiedenen profitablen Geschäften – und Mr. Winter hat eine Leidenschaft für Geschäfte, die nicht offen für Jeden liegen. Ich sah schon damals, wo es hinausgehen sollte, sah, wie Graham jeden Tag mit nach Oakhill fuhr, aber der Mann gefiel mir nicht mit seinem Schleichwege nach dem Mädchen, und seine Geschäfte, in die er die Office verwickelte, noch viel weniger. Da kam zuletzt eine Speculation mit Stadt-Obligationen – es war ein Geschäft, um einen Engel zu verführen, wenn er für den Gewinn nur eine halbe schwache Seite hatte! Hier auf dem Platze, wo wir sitzen, wurde der Handel.abgeschlossen; es brauchte für Beide nur halbe Worte zum Verstehen, aber auch für den alten Henderson nicht mehr. Es galt für uns nur ein einziges Auge zuzudrücken, und übernahmen wir die Sache nicht, so gab es sicherlich zehn andere Hände dafür. Aber, Sir, es war die erste offene Unredlichkeit, die mir, so viel geheime und sonderbare Geschäfte auch durch unsere Office gegangen sein mögen, hier vor das Gesicht trat; ich wußte zudem auch, welchen Preis sich Graham für den Gewinn, der daraus entsprang, ausbedungen, und Mr. Winter fiel so leicht in die goldenen Schlingen, die ihm der Comptroller gestellt, daß, wenn ich nicht an dem eigenen Principale zweifeln sollte, ich den Andern wie den höllischen Versucher, der uns noch Alle in’s Verderben bringen würde, hassen mußte. -– Well, Sir, nachher folgte die europäische Reise, und die Leute hier meinten, Miß Jessy und der Comptroller würden als ein Ehepaar zurückkommen. Darin hatten sie sich freilich betrogen, eine Veränderung indessen war doch mit dem Mädchen vorgegangen, und wenn nicht ihr liebes glattes Gesicht dasselbe gewesen wäre, hätte ich gemeint, sie müsse um zehn Jahr älter geworden sein – Mr. Graham aber schien nach ihrem Wesen gegen ihn mit seiner Werbung unrettbar auf den Sand gerathen. Und im Monate darauf hieß es doch plötzlich, es solle Hochzeit gemacht werden; aber Miß Jessy ging herum, bleich wie eine verwelkte Lilie, und als der alte Henderson zu ihr kam, den sie zur Unterstützung bei ihrer neuen Einrichtung hatte rufen lassen, und sie kopfschüttelnd ansah, da fiel sie mit dem Gesichte auf seine Schulter, wie sie es oft als Kind gethan, wenn ihr das Herz schwer war, und weinte sich aus, als wolle ihr der innerliche Jammer die Brust zersprengen, und Henderson wußte, daß irgend ein teuflischer Streich gespielt worden war, der das Mädchen gefangen. Und in der Stunde schwor ich mir zu, daß das Unglück des armen Kindes auf den zurückfallen solle, der es verschuldet. Ich hätte sie noch damals gern rebellisch gemacht, denn sie kann ein Herz haben wie ein Mann und durchsetzen, was sie sich vornimmt; aber als der erste Ausbruch bei ihr vorüber war, stand sie wieder als ganze Lady vor mir, sagte mir, was sie thue, geschehe freiwillig, und ich solle nur ohne Fragen ihren Anordnungen nachkommen. Aus diesen Anordnungen aber, die Sie auch noch einmal erfahren werden, wenn es die rechte Zeit dafür ist, konnte ich schon abnehmen, wie es mit ihrem freien Willen beschaffen war, und ich hätte gerade so wenig davon verstanden, wie von den Umständen, die sie zu der Heirath vermochten, wenn Flora, die mit ihr aufgewachsen und ein ganz gescheidtes Mädchen ist, mir nicht bald ein Licht aufgesteckt hätte. – Well, Sir, ich kannte den Namen, der für die junge Mistreß der rechte gewesen wäre, noch ehe Sie hierher kamen; ich wußte, daß sie hätte glücklich werden können, wenn Mr. Winter nicht dem Versucher erlegen wäre, und wußte auch, was ich zu thun hatte, um die Office, in der ich bis jetzt ehrlich mein Leben verbracht, wieder rein zu machen, um das arme Kind von ihren Ketten zu erlösen und den Mann, der sich ihr aufgezwungen, sich in seiner eigenen Schlinge fangen zu lassen. Sie haben ja selbst gehört, wie er schon den Strick um seinen Hals fühlt und nicht weiß, wer ihm dazu verholfen hat; Sie konnten aber freilich den alten Henderson nicht verstehen, der mit dem ersten Schritte, den Sie in die Office thaten, wußte, wie jetzt für Miß Jessy die Sachen standen, der Ihr Freund wurde, Sir, eben so treu, als er an dem geopferten Kinde seinen Schwur gegen den Comptroller erfüllt. – Und nun sage ich also noch einmal: Muth, Sir! es wird Alles kommen, wie es soll, was sie auch jetzt in ihrem Unglücke geschrieben haben mag. Nur abwarten und dem alten Henderson vertrauen!“

Hugo hatte mit immer weiter geöffneten Augen der abgerissenen Rede gehorcht, deren Bedeutung er in manchen Theilen kaum ganz hätte fassen können, wenn die Mittheilungen des deutschen Wirths ihm nicht im Voraus ein volles Verständniß eröffnet gehabt. In einzelnen Augenblicken war es ihm gewesen, als ob es in ihm wie eine neue Hoffnung aufjauchzen sollte, und in andern war ihm wieder der Alte wie von einer fixen Idee eingenommen erschienen, bis zuletzt der Gedanke, daß Henderson es gewesen sein könne, der in seinem Hasse gegen Graham dem Untersuchungscommittee die Beweise der Betrügerei geliefert, in ihm durchbrach. Aber wurde Jessy dadurch frei, oder wurde seine Stellung in Winter’s Geschäft dadurch ehrenhafter? Er streckte langsam dem Alten die Hand entgegen, welche dieser derb und fest ergriff. „Sie meinen es gut, Mr. Henderson,“ sagte er, „aber Sie werden weder Jessy noch mir dadurch etwas helfen können. Sie hat mir hier zum zweiten Male gesagt, daß sie nichts in ihrer eingegangenen Verbindung zu bereuen habe, daß es eine unabweisbare Nothwendigkeit gewesen sei, der sie gefolgt, und sie will nicht einmal mehr von mir, als daß ich ihr Freund bleibe. Was wollen Sie nun daran ändern, da Ihnen selbst die Ursachen für ihre Einwilligung unbekannt sind? Ich aber habe keinen Anspruch, als den sie mir selbst einräumt, und wenn ich meine, unter so kalten Verhältnissen nicht neben ihr leben zu können, so bleibt mir eben die Freiheit, zu gehen. Und das werde ich auch außerdem aus denselben Gründen müssen, die Sie, Mr. Henderson, zuerst zu Graham’s Feinde gemacht haben. Vertrauen gegen Vertrauen, Sir! die Stadt ahnt mehr von den Geschäften, die hier gemacht worden sind, als Mr. Winter wissen mag, und wenn ich auch heute Morgen wohl selbst unbewußt eine Hand dazu geliehen habe, so werde ich mich doch sicher nicht wieder einer gleichen Gefahr bloßstellen. Ich denke morgen früh offen und ehrlich von Mr. Winter Abschied zu nehmen – und damit auch meine stillen Hoffnungen zu begraben, ohne die ich wohl nicht hierher gekommen wäre. – Es muß sein, Mr. Henderson,“ setzte er auf eine Bewegung des Alten hinzu, „ich selbst ginge hier auf doppelte Weise zu Grunde, und Mrs. Graham’s äußere Freiheit und Ruhe hat ebenso meine Entfernung zu fordern, denn ich bin nicht stark genug für eine Selbstbeherrschung, welche die Verhältnisse und ihre eigene Gefühlsweise verlangen.“

„Aber ich sage Ihnen, die Office wird rein werden, Sir, und was auch sonst an Geschäften gethan worden ist, für die nicht Jeder die Hand und die Schlauheit von Mr. Winter hat, so sind sie ehrlich gewesen, Henderson muß das wissen!“ rief der Alte eifrig. „Im Uebrigen aber weiß ich, was ich weiß, und Miß Jessy wird ihr Recht bekommen, mag auch der Teufel selber ihre Heirath zuwege gebracht haben. Muth, Sir, und Abwarten! Henderson sagt Ihnen, es wird Alles kommen, wie es soll, und das muß für einen Mann, den sie sich ausgewählt hat, genug sein!“

Hugo drückte mit einem matten Lächeln des Sprechers Hand. „Es gehört in manchem Falle mehr Muth dazu, zu gehen, Sir, als sich den kommenden Dingen zu überlassen!“ erwiderte er. „Ich werde mit mir selbst klar werden und sehe Sie morgen früh noch einmal, ehe ich einen meiner Entschlüsse ausführe!“

Henderson sah ihm mit einem langen besorgten Blicke in’s Auge und schüttelte dann den Kopf. „Sie hat bitter geweint, Sir, als sie den Brief da geschrieben,“ sagte er, sich langsam erhebend, „thun Sie, was Sie verantworten können!“ Er ging ohne weiteres Wort nach der Thür, und als diese sich hinter ihm schloß, ließ Hugo das Gesicht auf’s Neue in seinen Arm fallen. Was konnten alle wunderlichen Hoffnungen und aller guter Wille des Alten gegen unumstößliche Thatsachen helfen? War Jessy nicht verheirathet, war nicht jeder seiner Tage in Winter’s fernerem Dienste eine neue Gefährdung seiner Ehre? Fort, so lange er noch selbst die Kraft dazu fühlte und seine wenigen Mittel ihm einen Anfang in völlig fremden Umgebungen ermöglichten!




8. In Deutschland.

Der Geheimerath Zedwitz ging nachdenklich, die Hände auf den Rücken gelegt, in dem kleinen Empfangzimmer seiner Schwiegermutter auf und ab, während die alte Dame den Strickstrumpf in den Schooß hatte sinken lassen und durch das Fenster in den beginnenden Abend hinausblickte. Draußen fielen langsam die ersten diesjährigen Schneeflocken von dem grauen Novemberhimmel.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_483.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)