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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Mangold hat aus New-York einen Brief von seinem Sohne erhalten!“ begann die Letztere, wie einen neuen Gesprächsgegenstand eröffnend, und Jener hielt plötzlich seinen Schritt an.

„Er hat mir nichts davon gesagt!“ erwiderte er kurz.

„Glaub’ es wohl, Sie haben ihn scheu gemacht, Herr Sohn!“

„Ich wüßte kaum, daß sein Heinrich je zwischen uns erwähnt worden wäre,“ versetzte Zedwitz, den Kopf hebend, als wolle er dadurch die Erwähnung jeder Nebenbeziehung abschneiden. „Ich dachte soeben an ein Arrangement, das ich zu machen gedenke, wofür mir ein Vertrauensmann in New-York sehr angenehm wäre, und so würde mir die Adresse des jungen Mangold ganz gelegen kommen!“ Er nahm, als wolle er dem eindringlichen Blicke der alten Dame, welchen diese jetzt gegen sein Gesicht erhob, ausweichen, seinen Gang wieder auf und fuhr dann fort: „In den nächsten Wochen wird unser Meßner das Prädicat als Regierungs- und Schulrath erhalten, und ich habe mir vorgenommen, bis zu diesem Tage seine Angelegenheit mit Helene in Ordnung zu bringen – ich weiß, daß in seiner Hand die Zukunft des Mädchens gesichert ist und daß er für uns ein ausgezeichneter Sohn sein wird. Damit wird nun aber in meinem Etat der Nießbrauch von Helenens mütterlichem Vermögen wegbleiben, und ich werde suchen müssen, diesen Ausfall in anderer Weise zu decken. Ich habe der Kinder halber Schulden machen müssen, und diese sollen wenigstens bezahlt werden, ehe ich einmal in den Ruhestand übertrete. Da hat mich Meßner selbst auf einzelne amerikanische Papiere, die jetzt allgemein gesucht werden und, statt unserer gebräuchlichen vier Procent, zehn Procent Interessen bringen, aufmerksam gemacht er gedenkt sein eigenes kleines Vermögen darin anzulegen, und da die Sicherheit dafür einer Staatsgarantie gleichkommt, so glaube ich es verantworten zu können, den Rest, der noch von dem Vermögen der Kinder in meinen Händen bleibt, in dieser Weise profitabeler unterzubringen. Trotz aller Sicherheit ist man indessen mit den amerikanischen Verhältnissen und den nöthigenfalls zu ergreifenden Rechtsmitteln doch nicht vertraut genug, um sich einer völligen Ruhe hinzugeben, und so würde der junge Mangold mir von dort aus die nöthigen sichern Erklärungen leicht verschaffen können.“

„Sie sprechen von einer Verbindung zwischen Helene und unserem Meßner als so nahe,“ erwiderte die Großmutter nach einer Pause, „sind Sie auch Ihrer Sache völlig sicher? Ich habe den Schuldirector fast so lieb, wie einen eigenen Sohn, und doch ist mir auch Helene zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß ich sie einem Zwange unterworfen sehen möchte.“

Der Geheimrath hielt seinen Schritt an und ließ einen Blick voll ernster Bestimmtheit auf der alten Dame ruhen. „Das Mädchen ist noch ein halbes Kind, das geleitet werden muß, wenn es seine ganze Zukunft nicht auf’s Ungefähr setzen soll, und sie kennt meinen Willen; über diese Angelegenheit glaubte ich mich völlig mit Ihnen im Einverständniß, Frau Mutter!“ erwiderte er. „Ich kenne die halbe Liaison zwischen ihr und dem jungen Römer; sie weiß aber, daß ich Gründe habe, mich dieser Neigung auf das Entschiedenste zu widersetzen, und ich fürchte nicht, daß die Großmutter ihr helfen wird, Opposition gegen den Vater zu machen!“

„Sie dürfen völlig ruhig sein!“ nickte die alte Frau langsam. „Auf der andern Seite aber, Herr Sohn, werde ich auch nie wieder eine ernste Neigung zu bekämpfen suchen, und ginge sie gegen meine liebsten Wünsche; – ich bin einmal im Leben dafür gestraft worden,“ setzte sie in sinkendem Tone hinzu, „und mag diese Verantwortlichkeit nicht noch einmal auf mein Gewissen nehmen. – Aber abgesehen von Allem,“ fuhr sie rasch fort, als befürchte sie, ein unbedachtes Wort gesprochen zu haben, „worin wurzelt denn Ihre Abneigung gegen den jungen Römer, den ich allerdings gern unserm Schuldirector nachgesetzt sähe, gegen den sich aber doch kaum eine begründete Einwendung machen ließe?“

In des Geheimraths Gesicht hatte es während des ersten Theils der gehörten Worte wie ein ferner Blitz aufgezuckt, und selbst als die Sprecherin geendet, lag es noch wie ein drohendes Wetter auf seiner Stirn. „Wo Ehre und Gewissen in einer vernünftig geschlossenen Ehe regieren, Frau Mutter, da mag Jeder ruhig die Verantwortlichkeit dafür übernehmen,“ sagte er mit finsterm Nachdruck, „und wenn Sie meiner Tochter vielleicht eine alte trübe Geschichte erzählt haben, so kann sie ihr nur zum Segen in ihrem künftigen Leben werden! – Ich gebe meine Tochter keinem Speculanten, der oft nicht weiß, ob er morgen reich ist oder den größten Theil seines Vermögens verloren hat,“ fuhr er dann ruhiger, seinen Gang wieder aufnehmend fort, „und Römer’s Geschäft schlägt mehr oder weniger in diese Branche. Ich will auch nicht meine Tochter nach dem, was sie eingebracht hat, betrachtet sehen, und vielleicht habe ich auch noch weitere Gründe, mir diese Bewerbung zu verbitten!“

Das Gesicht der Großmutter klärte sich zu einem launigen Lächeln voll stiller Befriedigung auf. Sie erhob sich unhörbar, als Zedwitz ihr den Rücken kehrte, trat ihm bei seinem Zurückkommen langsam entgegen und legte die Hand auf seine Schulter. „Wir sind allein, Herr Sohn, und so lassen Sie uns doch aufrichtig sein!“ sagte sie mit einem Anklang von Schalkhaftigkeit, welcher diesen alten, feinen Zügen einen ganz eigenthümlichen Reiz verlieh. „Ich will Ihnen einmal sagen, was in Ihrer Seele vorgegangen ist, wenn Sie mir es auch wahrscheinlich nicht gestehen werden. Sie glaubten durch das Ereigniß, welches Hugo aus Berlin hierher trieb, sich und den Namen der Familie bloßgestellt, Sie fanden darin nur eine natürliche Folge der modernen Ansichten, welchen er sich zu Ihrem Mißbehagen hingab, und glaubten durch Ihre Strenge gegen ihn nur einen nothwendigen Act der Gerechtigkeit in Bezug auf die Ehre der Familie, wie auf den Uebellhäter auszuführen – im Allerinnersten des Herzens freilich war dennoch die Liebe für den schuldigen Sohn geblieben, wenn auch die Welt keine Ahnung davon erhalten sollte. Nun stellt sich aber auf geeigneten Orts gethane Anfragen heraus, daß nicht allein keine gerichtlichen Schritte gegen Hugo gethan worden sind, sondern daß der verwundete Russe auch jede Bezeichnung des Thäters verweigert und die ganze Schuld der unglücklichen Angelegenheit auf sich selbst genommen hat – daß Hugo’s Vorgesetzte diesem das beste Zeugniß geben und den unbesonnenen Schritt seiner Flucht aufrichtig beklagen – erlauben Sie mir, lieber Sohn, daß ich mein Recht auszureden auch einmal in Anspruch nehme!“ unterbrach sie eine ungeduldige Bewegung des Geheimraths. „Und so wäre die Sache ohne alle ernsten Folgen vorübergegangen, wenn nicht – der junge Römer dem Flüchtling die Mittel zur Reise nach Amerika gewährt hätte. Eine andere und wohl correctere Lesart aber heißt: wenn nicht der Flüchtling aus dem elterlichen Hause, wohin er sich im kindlichen Vertrauen gewandt, gewaltsam gestoßen worden wäre – diese Lesart ist aber etwas unbequem, also hält man sich an die erstere und überträgt auf den jungen Römer die Vorwürfe, die man im Allergeheimsten sich wohl selbst macht. Ich bin noch nicht ganz fertig!“ beantwortete sie eine neue Bewegung ihres Gesellschafters, ohne Rücksicht auf dessen dicht zusammengezogene Brauen. „So muß also der junge Römer auch ein Speculant sein, obgleich er sich mit denselben amerikanischen Papieren nicht einlassen mag, durch welche der Herr Sohn sich höhere Zinsen verschaffen will. Sie haben schon einmal gegen mich von dieser Idee gesprochen, und ich nahm die Gelegenheit wahr, ein kaufmännisches Urtheil darüber zu hören. Verstehen Sie mich recht – ich nehme in keiner Weise die bestimmte Partie des jungen Mannes; ich möchte aber nur, daß Sie jetzt, wo vielleicht noch Manches für den Frieden der Familie zum Guten gelenkt werden kann, aufrichtig gegen sich selbst und gegen mich sind, die einiges Recht auf die Kinder zu haben und einige Rücksicht zu verdienen glaubt!“

Sie sah ihm groß und freundlich in das finstere Auge und wandte sich dann zurück, indem sie sich wieder in den Lehnstuhl am Fenster niederließ und den Kopf erwartend zurücklegte.

(Fortsetzung folgt.)






Victor Hugo im Exil.


Im Canal, dort wo die Dünenspitze des Cap de la Hague und Cherbourgs tief in’s Meer hinüber nach den weißen Kalksteingestaden Englands sich erstreckt, liegen vier Eilande: Alderney, Guernsey, Sark und Jersey. Sie sind kaum einige Lieues von Frankreichs Küsten entfernt, welche letzteren man von ihnen als düstere Nebelstreifen sehen kann; aber sie gehören zu England,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_484.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)