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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 32.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Zedwitz schien einige Secunden seine innern Regungen niederzukämpfen. „Sie betrachten eben nur die Dinge mit dem Gemüthe, Frau Mutter, und ziehen danach Ihre Schlüsse!“ sagte er dann, während sich eine völlig kalte Ruhe über sein Gesicht legte. „Hugo hätte sehr viel wieder ausgleichen können, wenn er ruhig nach Berlin zurückgegangen wäre und sich dem Gerichte gestellt hätte, wie es jeder Mensch von reinem Gewissen gethan haben würde. Statt dessen zog er es, seinem ganzen zerfahrenen Wesen nach, vor, durch eine Flucht nach Amerika jede Ausgleichung unmöglich zu machen und seine ganze Zukunft unrettbar zu ruiniren. – Es ist nicht vor Allem die letzte Angelegenheit, die mich dem jungen Menschen entfremdet, es war seine ganze vorhergehende Vergangenheit,“ setzte er mit starker Betonung hinzu, „wenn auch seine Chefs geglaubt haben, mir durch ein freundliches Urtheil über ihn einen Trost zu geben. Und daß ich nun einem Manne, der ihm geholfen hat seinem ganzen bisherigen Verfahren die Krone aufzusetzen, nicht besonders günstig sein kann, ist allerdings verständlich – obgleich die Schlüsse, die ich daraus über Römer’s eigenen Charakter gezogen, den Hauptantheil daran tragen. Mit dem Sohne, der mir seine ganze Zukunft, die ich mit allen erdenklichen Opfern erst für ihn geschaffen, vor die Füße geworfen, bin ich fertig, das wissen Sie, Frau Mutter, also bitte ich Sie, seinen Namen nicht mehr gegen mich zu erwähnen!“ – Es war ein großer, tief ernster Blick, welcher jetzt den Sprechenden aus den Augen der Dasitzenden traf und ihn fast zu beunruhigen schien; nach einer augenblicklichen Pause aber fuhr er mit einem Zuge von leichtem Spott um den Mund fort: „Im Uebrigen, liebe Mama, nimmt mich die augenscheinliche Aenderung Ihrer Ansichten einigermaßen Wunder. Waren Sie nicht selbst Meßner’s eifrigste Freundin und unterstützten seine Werbung, während ich mich wenigstens nie entsinne, ein so lebhaftes Interesse für den jungen Römer bei Ihnen bemerkt zu haben? Hielten Sie nicht selbst Helene’s Zukunft durch den Charakter und die Aussichten des Erstern für am meisten gesichert?“

In dem feinen Gesichte der alten Frau stieg es auf wie ein leises Abendroth. „Sie zwingen mich durch Ihren Angriff, wieder Dinge zu berühren, die Sie nicht gern zu hören scheinen,“ erwiderte sie, wie in einer leichten Erregung. „Ich sagte Ihnen, daß ich nicht zum zweiten Male einer ernsten Neigung entgegentreten würde, wenn sie auch meine liebsten Wünsche vereitelte, und eine solche hat sich, wahrscheinlich erst durch Ihre starre Abweisung alles kindlichen Vertrauens, zwischen unserer Helene und dem jungen Kaufmanne herausgebildet. Ich habe ziemlich sichere Anzeichen davon, wenn ich mich auch der Angelegenheit völlig fern gehalten habe. Sie werden mir vielleicht vorwerfen, daß ich das Urtheil des Kindes hätte leiten sollen, ehe es so weit kam. Sie selbst aber, Herr Sohn, haben auch mir durch den Fall mit Hugo das rechte unbedingte Vertrauen der Mädchen entzogen. Sie sehen mich befremdet an, aber es giebt nichts Natürlicheres. Ich habe mir selbst erst in den letzten Wochen klar gemacht, was sich indessen die Mädchen längst selbst gesagt: daß Ihre Stimmung gegen den Sohn kaum zu der bewiesenen Schärfe hätte gelangen können, wenn unser guter Director, als Gegner der jetzigen modernen Richtung, Ihrem Mißfallen an Hugo’s Ansichten nicht noch die rechte Unterstützung geliehen hätte; ich selbst bin völlig unter dem Einflüsse von Meßner’s wohlthuenden Ueberzeugungen gewesen, die mich noch heute zu seiner aufrichtigsten Freundin machen; aber als ich die Wirkungen derselben auf Ihr Verfahren gegen Hugo wahrnahm, der sich doch zuletzt nichts als eine jugendliche, vielleicht unbedachte Lebens-Auffassung hat zu Schulden kommen lassen; als ich herausfühlte, wie die Mädchen, in Folge der hier stattgehabten Scene gegen mich, die sie als eine offene Freundin des Schuldirectors kannten, verschlossener wurden: da ging ich mit mir selbst zu Rathe, wie es Jeder thun sollte, Herr Sohn, der das beste Glück, die Harmonie und Befriedigung in seiner Häuslichkeit, von sich weichen sieht. Ich erkannte, daß wir alten Leute selbst, als wir noch jung waren, unsere eigenen Anschauungen gehabt und oft genug in Opposition zu unsern Eltern gelebt hatten, daß gerade die intelligentesten Kinder die rebellischsten sind, und daß das jüngere Geschlecht für neue Anschauungen, sollten sie auch irrthümliche sein, empfänglich sein muß, wenn die Welt nicht stillstehen soll, daß Unduldsamkeit und starres Festhalten am eigenen Willen die unglücklichsten Mittel sind, um ein Kind seinen Irrthümern zu entreißen. Und unsere Kinder, Herr Sohn, sind eine eigenthümliche Mischung von Vater und Mutter; Sie vermögen sie mit offener Liebe zu Allem zu bringen, während eine Strenge, die ihnen ungerechtfertigt erscheint, ihr Herz erstarrt. – Wollen Sie nun,“ fuhr die Sprecherin, den im Eifer der Rede gerade aufgerichteten Oberkörper langsam wieder zurücklegend fort, „einen Zwang gegen Helene durchführen und die Verantwortung dafür auf sich nehmen, so kann ich nichts dagegen thun; ich habe Ihnen nur die Gründe über die Aenderung meiner Ansichten, wie Sie es nennen, mittheilen wollen.“

Auf dem Gesichte des Geheimraths hatten sich abwechselnd stille Ungeduld, halbunterdrückter Unmuth und eine Andeutung von bitterm Spotte während der Rede gezeigt. „Ich weiß nicht, liebe Mama,“ sagte er jetzt mit einem gezwungenen Lächeln, „wer Ihnen die Materialien zu Ihrer jedenfalls beredten Darlegung geliefert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_497.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)