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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

nicht mehr thun kannst, als fest an dein Worte halten, das wir uns gegeben!“

Sie standen Beide Aug’ in Auge, die Hände eng in einander verschlungen, ohne Worte und doch in dem schweigenden in einander Versunkensein beredter, als es Worte hätten ausdrücken können – da tönte ein harter Tritt neben ihnen, und erschrocken fuhr Römer empor. Er blickte in das feste, zornig leuchtende Auge des Geheimraths.

„Ich glaube nicht, Herr Römer, daß Ihr Weg hierher durch mein Haus geführt hat,“ begann dieser kalt und scharf, „indessen ersparen Sie mir durch Ihre Gegenwart die Mühe einer Zuschrift. Geh’ in Dein Zimmer, Helene!“ wandte er sich in dem Tone eines bestimmten Befehls nach dem Mädchen.

Helene’s Ueberraschung hatte sich nur durch ein kurzes Aufzucken verrathen, dann aber war ihr Auge groß und unverwandt auf dem Sprechenden haften geblieben. Die verschlungenen Hände des Paars hatten sich unwillkürlich gelöst, aber um so fester umschloß jetzt ihre Rechte, die an ihrer Seite hinabgesunkene Linke des jungen Mannes, als wolle sie es sein, die ihn halten und schützen werde. „Vater, ich habe Herrn Römer eingeladen, mich hier zu sprechen,“ sagte sie mit völlig gemäßigter Stimme, wenn sie auch ein leises Beben der Erregung darin nicht unterdrücken zu können schien, „und Du wirst mich nicht bloßstellen und wegschicken wollen, wie ein kleines Kind – ich glaube vertreten zu können, was ich gethan!“

Zedwitz warf einen schnellen Blick, wie überrascht von ihrer Redeweise, auf das Mädchen und sagte dann finster: „Gut, so magst Du selbst hören, was ich diesem Herrn hier zu sagen habe.“ Und sich mit steifer, eisiger Miene gegen den jungen Kaufmann wendend, fuhr er fort: „Ich glaube, Herr Römer, Ihnen bereits so deutlich ausgedrückt zu haben, wie es unter gebildeten Menschen Sitte ist, daß ich Ihre Besuche in meinem Hause nicht wünsche, und meine, ich hätte Ihnen auch die darauf bezüglichen Gründe deutlich genug angedeutet. Für einen Mann vom einfachsten Ehrgefühl wäre dies hinreichend gewesen, um ihn wenigstens den Bereich meiner Wohnung meiden zu lassen. Sie aber scheinen darin anderer Ansicht zu sein, und so zwingen Sie mich, Ihnen zu sagen, daß ich jedem ähnlichen Versuche zur Bethörung eines jungen Mädchens, das noch kein eigenes Urtheil über das, was seiner Zukunft frommt, haben kann, so begegnen werde, wie ich es jedem gewaltsamen Eindringling in mein Haus gegenüber thun würde!“

Römer war geisterhaft bleich geworden, auf seinen Lippen zuckte eine Entgegnung, die nur des Endes der Rede zu warten schien; Helene aber drückte wie besänftigend seine Hand und trat einen Fuß breit vor, als wolle sie ihn gegen jedes harte Wort decken.

„Und was denn dann, Vater, wenn Du nun so weit gehst?“ sagte sie ruhig, kaum daß Zedwitz geendet. „Du selbst hast mich gezwungen, ihn außer dem Hause zu sehen; nun wirst Du mich je härter Du bist, immer weiter treiben, denn wir haben uns das Wort gegeben, nicht von einander zu lassen. Du hast die Mutter von Dir gestoßen, bis Gott sie erlöst, Du hast Hugo verstoßen, der nichts verbrochen, bald wirst Du wohl auch mich verstoßen – warum hast Du denn nur Deinen harten Willen, Vater,“ fuhr sie fort, und es klang, als dränge sie die plötzlich aufsteigenden Thränen zurück, „und nicht auch ein Theilchen Liebe für uns, die Dich so lieb haben möchten, wenn sie nur dürften –?“

Es war ein seltsamer, unheimlicher Ausdruck, der während der letzten Worte in das Gesicht des Geheimraths getreten war. Er legte die linke Hand um den Arm der Tochter, daß diese unter seinem Griffe zuckte, und wies mit der rechten gebieterisch nach der Gartenpforte. „Gehen Sie, Herr!“ rief er, „damit ich mich nicht vergesse; mit dieser hier will ich dann fertig werden!“ Römer aber, wie in einer plötzlichen Angst sich selbst vergessend, wandte sich ihm nur näher.

„So kann ich nicht gehen, Herr Geheimrath,“ erwiderte er, „thun Sie mir mir nach Ihrem Belieben, aber geben Sie Helenen frei, die ich nicht so zurücklassen kann!“

Die nächste Bewegung des alten Beamten wurde durch eine Hand unterbrochen, die sich plötzlich auf seinen Arm legte. Die Großmutter stand neben der Gruppe. „Lassen Sie mich dies ordnen, Herr Sohn, wenn Sie nicht noch ein Stadtgespräch haben wollen,“ sagte sie bestimmt und legte zugleich ihren Arm um das Mädchen, das sich bei ihrem ersten Laute in krampfhaft ausbrechendem Weinen an ihre Brust geworfen hatte. „Sie, Herr Römer, versprechen mit Ihrem Worte als Ehrenmann, daß Sie nie und unter keinen Umständen mit unserer Helene wieder heimlich zusammentreffen wollen; dagegen verspreche ich Ihnen, daß sie zu keiner Verbindung gezwungen werden soll, gegen welche sie sich sträubt!“

Sie hielt dem jungen Manne gerade ausgestreckt die kleine magere Hand entgegen, und dieser erfaßte sie, wie in plötzlicher innerer Bewegung seine Lippe darauf drückend. „Ich verspreche es!“ sagte er mit halber Stimme.

„So verlassen Sie uns also, Herr Römer – und Du, Kind, gehst nach Deinem Zimmer.“

Das Mädchen schnellte von der Brust der Sprecherin auf, nach der Hand des jungen Mannes fassend. „Leb wohl, Fritz!“ rief sie, „und was auch kommen mag – unser Wort gilt!“ Dann drehte sie sich entschlossen weg und schritt rasch, ohne zurück zu blicken, dem Hause zu. Römer verneigte sich in trübem Schweigen gegen die Zurückgebliebenen und wandte sich nach der Pforte, die ihn eingelassen und sich jetzt bald hinter ihm schloß.

Zedwitz hatte in starrer Unbeweglichkeit die kurze Scene an sich vorübergehen lassen und rührte sich auch nicht, als die alte Dame sich jetzt nach ihm wandte. „Ich habe versprochen, daß das Kind zu keiner Heirath gezwungen wird,“ sagte sie in mildem Tone. „Sie werden mein Wort nicht zu Schanden werden lassen, Herr Sohn!“

„Ich glaube meine Handlungen selbst bestimmen zu dürfen,“ erwiderte er, und seine Stimme klang heiser, wie unter einer zurückgehaltenen Erregung; „die augenblickliche Rücksicht aber, die ich auf Ihr Erscheinen genommen, legt hoffentlich mir selbst keine Verpflichtung auf!“

„So sage ich Ihnen,“ versetzte sie den Kopf hebend, während ein leises Roth innerer Bewegung in die feinen welken Züge trat, „daß Sie mit eigener Hand Ast um Ast mit all dem blühenden Leben daran, das Gott zu Ihrem Segen geschaffen, von Ihrem Lebensbaume brechen, daß Sie dastehen werden in Ihrer Einsamkeit ein kahler, schutzloser Stamm, der nicht einmal das Mitgefühl wird ansprechen dürfen. Denn Gott in seiner Weisheit hat die elterliche Liebe zur Controle der elterlichen Macht geschaffen, damit diese nicht zur Tyrannei werde, und wer kein Herz für das eigene Kind hat, von dem wendet sich wieder jedes Herz als einem ungerechten Gewalthaber –“

Ein rascher Schritt des Geheimraths, der diesen ihr dicht gegenüber brachte, unterbrach ihre Worte. „Und wer sagt Ihnen, alte Frau,“ begann er langsam, als überwinde er mühsam einen innern Druck, „daß nicht in mir die Liebe zu meinen Kindern stärker und mächtiger lebt, als in alle den weichen, schwachen Weiberherzen, die dem Kinde ein spitzes Messer in die Hand geben, nur weil es danach verlangt?“

Sie standen Beide zwei Secunden schweigend Auge in Auge. „So möge Gott diese Liebe aus ihrem ummauerten Grabe auferstehen und an’s Licht treten lassen, ehe es zu spät ist!“ erwiderte sie dann fast feierlich und wandte sich mit geneigtem Kopfe langsam dem Hause zu.

Zedwitz sah ihr einen Moment mit zuckenden Augenbrauen nach, dann ging er in seinem gewöhnlichen festen Schritte nach der Pforte in der Mauer und schob dort die Riegel vor. –

Während dieser ganzen Scene hatte in dem Empfangzimmer der Großmutter ein wunderliches Gespräch stattgefunden.

Meßner hatte sich auf Marie’s Einladung dieser gegenüber niedergelassen, aber seine Augen konnten es nicht verbergen, daß seine Seele völlig auf der Wache war, als sei er des Friedens, der sich in dem ruhigen Lächeln des Märchens spiegelte, nicht sicher.

„Könnten Sie mir wohl eine Gewissensfrage mit Vertrauen beantworten, Herr Director?“ fragte Marie jetzt, nach einer seitwärts liegenden Arbeit greifend, während um ihren Mund wieder der frühere Zug leichter Schalkhaftigkeit spielte.

„Eine Gewissensfrage – und mit Vertrauen?“ erwiderte Meßner, seine Mienen zu einer Art komischer Bedenklichkeit verziehend, „das sind zwei inhaltsschwere Worte auf einmal. Wollen Sie mir nicht erst sagen, Fräulein, wo ich dieses gewünschte Vertrauen hätte erlangen können?“

„Ei, wäre denn dieses Wort zum ersten Male zwischen uns gefallen?“ erwiderte sie, leicht von ihrer Arbeit aufsehend, und vor ihrem klaren Auge, das seinen Blick voll in sich aufnahm, trat ein schwaches Roth in sein Gesicht.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_499.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)