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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Säbel. Erst als die letzten vorübergeflogen waren, stieg er von seinem gefährlichen Standpunkte unter dem Jubel seiner Mannschaft herab. Es war das eine Handlung gewesen, die mit einer frevelhaften Herausforderung des Schicksals, als welche sie auf den ersten Blick erscheinen könnte, nichts zu schaffen hatte, sondern die aus den edelsten Beweggründen und den klügsten Absichten entsprungen waren. Jungmann und seine Leute waren Neulinge im feindlichen Kugelregen, er selbst seiner Mannschaft erst seit wenigen Wochen bekannt. Da galt es, ihnen ein Beispiel von Muth und Todesverachtung zu geben, sie durch die bewiesene eigene Tapferkeit zu einer gleichen zu begeistern, und überdies ihnen Vertrauen zu ihrem Anführer, Achtung vor seinen kriegerischen Eigenschaften einzuflößen. Jungmann’s Absicht wurde vollkommen erreicht. Nicht ein einziger Fall von Verzagtheit ereignete sich während des ganzen fürchterlichen Kampfes, wohl aber wären zahlreiche Proben von Unerschrockenheit, Todesverachtung und hochherziger Selbstaufopferung zu berichten. Hier nur einige davon.

Kurz nach Beginn des Gefechts war die auf dem Blockhause wehende schwarz-roth-goldene Fahne von den feindlichen Geschossen herabgerissen worden. Unter Jungmann’s persönlicher Unterstützung ward sie mitten im heftigsten Kugelregen von dem Premier Lieutenant Schneider des dritten Reservebataillons, dem Bombardier Wommelsdorf und dem Kanonier Böttcher wieder aufgepflanzt. Als mehrere Kanonen der Nordbatterie bereits demontirt waren und eine der letzten noch brauchbaren durch eine feindliche Kugel ebenfalls umgestürzt wurde, rief Jungmann dem Geschützführer zu: „Bombardier Dietrich! In drei Minuten das Geschütz wieder schußfertig, und Sie sind Unterofficier!“ Der wackere Mann arbeitete mit seinen Kanonieren, der einschlagenden Bomben und Kugeln nicht achtend, mit fast übermenschlicher Anstrengung, und siehe da, schon in zwei Minuten stand das Geschütz wieder! Einmal war die Pulverkammer der Nordschanze auf’s Aeußerste bedroht. Zwei sechzigpfündige Bomben waren in ihre Decke eingeschlagen und hatten das Erdreich bis auf die Balkenlage ausgeworfen; ein einziger in’s Innere dringender Funken hätte eine Explosion herbeigeführt, die Alles vernichtet haben würde. Da schützte Feldwebel Clairmond mit äußerster Lebensgefahr die entblößte Pulverkammer durch darauf gewälzte Schanzkörbe, Faschinen, Balken und dergleichen, und rettete so die ganze Nordbatterie vor sicherem Untergänge. –

Der Angriff der beiden riesigen Fahrzeuge auf die winzige Schanze dauerte mit unverminderter Heftigkeit schon länger als vier Stunden, ohne daß es ihnen gelungen wäre, das Feuer der Batterie anders, als höchstens hin und wieder auf einige Minuten zum Schweigen zu bringen. Wohl aber hatten die Schiffe bereits beträchtliche Beschädigungen an Rumpf, Masten, Segeln und Tauwerk erlitten, und Todte und Verwundete gab es an beider Bord schon in Menge.

Freilich entsandten die schwimmenden Festungen auf einmal zwanzig, ja vierzig und mehr Geschosse, aber Dank der heftigen Wellenbewegung, die selbst bei dem sorgfältigsten Richten das Treffen des kleinen Ziels sehr schwierig machte, blieben die meisten derselben unschädlich; hatte die Batterie doch erst bei der fünften feindlichen Lage 1 Todten und 3 Verwundete. Die Schleswig-Holsteiner dagegen erwiderten das Feuer zwar mir mit einzelnen Schüssen, die in dem furchtbaren Gebrüll der feindlichen Feuerschlünde verklangen, aber sie standen auf festem Boden und hatten ein verhältnismäßig großes Ziel vor sich. Mehr aber noch als diese günstigen Umstände trug die ihnen eigene Kaltblütigkeit, einer der Hauptzüge ihres Volkscharakters, der sie gerade zu Artilleristen wie geschaffen erscheinen läßt, zum Erfolge bei. Ruhig, sorgfältig ward jedes Geschütz gerichtet, im rechten Augenblicke jedes abgefeuert, und so kam es, daß nur wenige Kugeln fehl gingen. Am verhängnißvollsten wirkten die glühenden Kugeln, mit denen von etwa 8 Uhr Morgens an geschossen worden war. Schon um 9 Uhr ward an Bord des Linienschiffs Brandgeruch verspürt und weißer Qualm entstieg dem Raume, ohne daß man den Sitz des Feuers hätte ermitteln können.

Inzwischen hatte sich – es war gegen 11 Uhr – der Ostwind stärker erhoben und die beiden Schiffe genöthigt, tiefer in den Hafen hineinzugehen. Dadurch kamen sie nun auch in den Bereich der Geschütze der Südschanze, deren Befehlshaber, der Unteroffizier Preußer, nicht säumte, das Feuer auf sie zu eröffnen, während die Nordbatterie jetzt ihre beiden 84 pfündigen Bombenkanonen spielen lassen konnte.

Uebrigens standen um diese Zeit die braven Schleswig-Holsteiner schon nicht mehr allein im Kampfe. Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha war auf die Kunde von dem Gefechte mit einem Theile seiner Brigade nach Eckernförde vorgerückt, hatte die Infanterie-Bedeckung der Schanzen durch das reußische Bataillon verstärkt und eine nassauische Feldbatterie zur Unterstützung des Artilleriefeuers herbeibeordert. Zwei von den acht Geschützen derselben waren bereits eingetroffen, hatten in der Nähe der Nordschanze Aufstellung genommen und griffen sogleich mit in das Gefecht ein. In diesen Anordnungen des Herzogs liegt sein Verdienst um den Erfolg und sein Antheil an der Ehre des Tages. Tapfer und deutsch, wie er war, lag auch ihm an der Vernichtung des Feindes; darum ließ er Jungmann nicht allein gewähren, sondern er unterstützte ihn, soviel in seinen Kräften stand. Ein anderer Reichsgeneral, der wie Prittwitz den Krieg mit Rücksicht auf die Strömungen in der Diplomatie und gebunden an geheime Instructionen führte, würde sicherlich zur rechten Zeit eingeschritten sein, um nicht einer Schaar von Revolutionären einen Triumph über die regulären Streitkräfte eines legitimen Königs zu gönnen.


(Schluß folgt.)





Schweizer Pensionen und Pensionaire.

Von E. Kossak.

In seinen Jugendjahren, im Zustande der größten Empfänglichkeit für jenen geistigen Nahrungsstoff, mit welchem der Mensch bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahre systematisch genudelt wird, um das nöthige wissenschaftliche Fett für seinen späteren Verbrauch als Staatsbeamter anzusetzen, thut man ihn in allen Fällen, wo Familie und Haus nicht im Stande sind, das nöthige Material herbeizuschaffen, in eine Pension. Später, wenn er seine Pflicht gegen das Oberhaupt seines Landes genügend erfüllt hat und seine Dienste bei abnehmenden Kräften nicht mehr der Höhe des ihm bisher gezahlten Salairs entsprechen, läßt man eine verhältnißmäßige Verminderung desselben eintreten, kennzeichnet ihn im günstigsten Falle durch ein Ordensbändchen unscheinbarster Art und thut ihn abermals in Pension.

Beide feierliche Acte, eine so geringe Aehnlichkeit sie auch für den leichtfertigen Beobachter zu haben scheinen, gehen doch aus dem Bestreben hervor, für die Wohlfahrt der menschlichen Genossenschaft zu sorgen und brauchbare Rekruten für den Dienst in Krieg und Frieden, in der Armee der Büreaukratie, in der Kirche und Schule herbeizuschaffen und auszubilden, sowie die Invaliden und Veteranen zu entfernen und ihr Leben zu fristen. Als charakteristisches Merkmal dieser beiden Pensionirungsarten darf der Umstand gelten, daß sie gewöhnlich vor sich gehen, ohne daß die davon Betroffenen befragt, ja daß sie meistens bei Jungen und Alten wider ihren Willen über sie verhängt werden.

Davon abweichend, obgleich auf der Idee der Erhaltung des Individuums für den Staat oder die Gesellschaft beruhend, besteht eine mittlere Gattung der Pensionirung in der zeitweiligen Entfernung des durch amtliche Dienstleistungen und geistige Anstrengungen, oft auch durch Mißhandlungen der Vorgesetzten oder Uebelstände des städtischen Lebens ermüdeten und geschwächten Sterblichen aus seiner gewöhnlichen Lage, und in der Versetzung an einen anmuthigen Ort und in eine möglichst sorgenfreie Lage. Diese Pensionirung pflegt aus der freien Wahl des gequälten Individuums hervorzugehen und zu den Lichtblicken im modernen Sclavenleben gerechnet zu werden. Sie findet statt, wenn dasselbe auf der Höhe des Lebens und der Casse, der Sommer aber in seiner Blüthe steht. Da zur Stärkung des Geistes und Leibes Alles darauf ankommt, den directen Gegensatz der gewöhnlichen Lebensweise, des landschaftlichen Aufenthaltes und selbst der staatlichen Verfassung zu wählen, empfiehlt sich allein das höchste Gebirgsland

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_508.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)