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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

In dem Gesichte des Mädchens war während seiner Rede die Farbe gekommen und gegangen, auf ihrer Stirne und zwischen den stolzen, dunkeln Brauen hatte der Ausdruck der verschiedensten Empfindungen gewechselt; zuletzt aber trat es wie ein aufdämmerndes stilles Glück in ihre Züge.

„Und Hugo?“ fragte sie, während es noch einmal wie ein dunkler Zweifel in ihren Augen aufstieg, „sind Sie auch nicht sein Feind aus irgend einer mir unklaren Berechnung geworden? haben Sie nicht des Vaters Unwillen gegen ihn durch ein eifriges Zustimmen seiner Ansichten erst zu seiner jetzigen Schärfe gebracht?“

Er blickte rasch auf, als fehle ihm das Verständniß ihrer Worte; dann aber ging ein tiefer Schatten über sein Gesicht. „Bis zu dieser Beurtheilung also ist es gekommen!“ sagte er gedrückt. „Ihr Herr Vater, Fräulein Marie, ist wohl nicht der Mann, erst durch die Ansichten eines Schützlings, wie ich es war, die seinen bestimmen zu lassen; Ihren Bruder habe ich vor seinem letzten Erscheinen hier nicht einmal gekannt; wenn ich mir aber ein nachteiliges Bild von ihm geschaffen hatte, so ist dies erst durch die Klagen Ihres Vaters geschehen, denen ich allerdings mein Beileid nicht versagen konnte. Ich verachte selbst nichts mehr, als die Moderichtung unserer jungen Welt, die an die Stelle alles Erhabenen die rohe Materie setzen und den Genuß zum Zwecke ihres Daseins machen möchte, und meiner Ueberzeugung durfte ich wohl Worte leihen!“

In diesem Augenblicke wurden die festen Schritte des Geheimrathes im Corridor hörbar, und Marie streckte dem Schuldirector mit einem aufleuchtenden Blicke rasch die Hand entgegen. „Wir sprechen weiter mit einander!“ sagte sie hastig und wandte sich nach dem Arbeitstische der Großmutter. Meßner hatte einen halbscheuen Druck ihrer Finger gefühlt und stand einen Moment ihr starr, wie von einem plötzlichen Gedanken getroffen, nachblickend, aber das Oeffnen der Thür ließ ihn schnell sich dieser zukehren.

„Ah, vortrefflich, lieber Freund!“ sagte der eintretende Geheimrath, durch den Anblick des Gastes sichtlich angenehm berührt; „ich dachte soeben an Sie!“ Er nahm nach einem raschen Blicke durch das Zimmer auf dem Sopha Platz, während Meßner sich auf seinem früheren Sitze niederließ. „Die Mama ist noch nicht hier, aber sie kann nicht lange ausbleiben; Helene ist etwas unwohl, und nach dieser wird sie sehen!“ fuhr er fort. „Sie haben etwas über unsere gemeinschafltiche Anlage in den amerikanischen Papieren gehört?“

„Ich habe bereits Alles in Ordnung gebracht und kam eigentlich nur, um Ihnen die nöthige Meldung zu machen!“ erwiderte Meßner. „Es ist nur eine kleine Anzahl der Obligationen hier im Markte, und ich war glücklich, Andern voraus abschließen zu können. Sie haben zwei Monate Zeit, um die Baardeckuug zu arrangiren, Ihre Unterschrift genügt bis dahin, und deshalb hielt ich es für das Beste, sofort Alles nach Ihrer Bequemlichkeit vorbereiten zu lassen. Ich habe die Abschlußformulare zur Vollziehung bei mir, und so würden Sie schon morgen früh im Besitze der betreffenden Papiere sein können.“

Zedwitz sah den Sprechenden einige Secunden lang, wie einen Gedanken verfolgend, an. „Sie sind prompt, lieber Freund, und Sie werden mich nicht lässiger finden!“ sagte er dann. „Diese Capital-Anlage hängt, wie Sie wissen, mit Ihrem Eintritt in unsere Familie zusammen; Beides nun hat die Mißbilligung eines und desselben Gegners gefunden, den sogar unsere Mama zu begünstigen scheint. – Ohne Sorge!“ fuhr er auf einen fragenden Blick des Schuldirectors fort, „ich bin noch immer dem gefolgt, was mir mein Verstand als das Richtige bezeichnete, und so mögen Sie auch meine Unterschrift, welche das Geldgeschäft ordnet, als das Document zu unsern anderweitigen nähern Beziehungen ansehen. – Habe ich Sie in irgend einer Verhandlung mit unserer Marie unterbrochen, so lassen Sie sich nicht stören,“ setzte er, sich erhebend, hinzu, „ich erwarte Sie nachher in meinem Cabinet!“ Mit einem Kopfnicken gegen die beiden jungen Leute verließ er das Zimmer.

„Sie hatten mir noch etwas zu sagen?“ wandte sich Meßner wie in halbem Zagen nach dem zurückstehenden Mädchen.

„Gut, Herr Director,“ erwiderte die Angeredete rasch, einen Schritt auf ihn zutretend, „ich möchte wissen, ob Sie den Muth haben, dem Vater jetzt gleich offen zu sagen, daß Sie die Werbung um meine Schwester aufgeben und sie ihrer eigenen Neigung überlassen. Worte habe ich von Ihnen vernommen, ich möchte aber jetzt auch gern eine That sehen!“

„Und dann, Marie?“

„Dann?“ wiederholte sie, mir einen Moment ihren Blick senkend. „Warten wir erst ab, was sich daraus entwickeln wird – möglicherweise kommen Sie nicht einmal zu einem „dann“. Der Vater führt gern durch, was er begonnen, und noch sind Sie nicht Regierungsrath, Herr Meßner!“

„Marie, noch immer dieser Ton?“

„Der Vater wartet auf Sie – gute Nacht, Herr Director!“ sie neigte sich leicht und verschwand in der Nebenthür. Meßner aber drückte einen Augenblick die Hand gegen die Augen und folgte dann langsam dem Geheimrathe.




9. Entscheidungen.

Drei Wochen waren seit dem letzten Gespräche zwischen Hugo und dem alten Henderson verstrichen; nach dem kurzen Herbste hatte der Winter bereits seine Vorboten gesandt – aber noch hatte der junge Mann seine Stellung nicht verlassen. Wenn er genau hätte sagen sollen, was ihn trotz seiner unveränderten Ansicht der ihn umgebenden Dinge bis jetzt gehalten, so wäre es ihm kaum möglich geworden. Kleine Umstände und Einflüsse hatten sich wie zu einer Kette geformt, um ihm fortlaufend den ersten entscheidenden Schritt zu seinem Austritte zu versperren; die Nothwendigkeit desselben war nicht einen Augenblick aus seiner Seele gewichen, war selbst durch spätere Verhältnisse noch bestimmter vor ihn getreten, und dennoch waren die drei Wochen vorübergegangen, er wußte selbst kaum wie, ohne daß er zu einer Ausführung gelangt war.

Als er damals nach einer halbdurchwachten Nacht, in welcher er sich sein ganzes Abschiedsverfahren gegen Winter vorgezeichnet und dann eine Antwort an Jessy, eine Aussprache seines ganzen Fühlens und Denkens entworfen, in der Office auf das Erscheinen des Principals geharrt, war dieser eilig und sichtlich zerstreut eingetreten. „Es ist möglich, Mr. Zedwitz, daß wir uns einige Tage nur flüchtig oder gar nicht zu sehen bekommen,“ hatte er geäußert, „die Vormittage mögen Sie mit Henderson arbeiten, und Sie werden durch ihn bald einen Blick in unsern Speditions- und Commissionshandel erlangen; die Nachmittage aber, falls das Wetter Sie an einem Ausfluge nach der Farm verhindern sollte, machen Sie sich mit dem Buchhalter bekannt, damit Sie sich Kenntniß von den Eigenthümlichkeiten der amerikanischen Buchführung verschaffen. Ich möchte, daß Sie bald so weit kämen, um mich hier vorkommenden Falles repräsentiren zu können – darüber indessen ein anderes Mal, ich bin heute sehr gedrängt!“ Und ehe Hugo nur daran hatte denken können, die nöthigen Einleitungsworte für das, was ihm auf dem Herzen lag, aus seinem Gedächtnisse hervorzusuchen, war Winter bereits mit einem leichten Gruße aus der Office verschwunden gewesen. Mit einer ganz eigenthümlichen Herzlichkeit aber hatte ihn dann Henderson in Beschlag genommen, hatte begonnen, ihm das Wesen des amerikanischen Commissions- und Consignations-Geschäftes zu erklären, die betreffenden Bücher vor ihm aufgeschlagen und, wie eine besondere Absicht verfolgend, einzelne größere Fälle genau mit ihm durchgenommen.

„Ich denke, an den Geschäften wird nichts Unehrliches sein, wenn auch nicht jeder die Schlauheit hat, um sich einen Gewinn herauszuschlagen, wie Mr. Winter,“ hatte er dann mit einem halben Augenaufschlag gesagt, „und bei der Art Geschäft werden wir nach dem Donnerwetter, wie es jetzt bald genug kommen wird, auch stehen bleiben – nur jetzt ruhig abwarten, Sir!“

Und abwarten mußte Hugo allerdings, denn es vergingen acht Tage, in welchen er den Principal kaum hier und da auf einen Blick und stets so mit sich selbst beschäftigt gesehen, daß es des drängendsten Entschlusses bedurft hätte, ihm in den Geschäften, welche ihn zu treiben schienen, entgegenzutreten. Und Hugo hielt eine ruhige Viertelstunde, um seinen Schritt genügend rechtfertigen zu können, für durchaus nothwendig. Henderson schien übrigens so wenig an eine noch mögliche Entfernung des jungen Mannes zu denken, unterzog sich mit so vollem Eifer der praktischen Unterweisung desselben, machte den Mittelsmann zwischen ihm und dem Buchhalter, wenn die Taubheit des Letzteren das Verständniß erschwerte, und hing sich mit einer so launigen, wohlthuenden Vertraulichkeit an seinen Schützling, als welchen er Hugo offenbar betrachtete, daß dieser nicht ohne Unruhe an den Augenblick dachte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_514.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)