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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Hüte. Sollen wir noch hinzufügen, daß der Eindruck dieses Festzuges, in dem jeder einzelne Gau des großen deutschen Vaterlandes in seinen Vertretern verkörpert war, ein überwältigender, daß das Gemeingefühl der Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme, wie es sich in seiner Aufnahme aussprach, etwas unendlich Ergreifendes und Erhabenes hatte?

Auf dem Festplatze selbst fand noch eine Feier am Gabentempel statt, bei welcher Herr Dr. Passavant in kurzer Rede den Festgenossen den Platz mit allen seinen Gebäulichkeiten zur Verfügung stellte. Wieder erschallten dem „einigen, freien, deutschen Vaterland“ tausendstimmige Hochs, und ein Chor, wie er vollzähliger wohl noch nie gewesen, sang die deutsche Nationalhymne. Diese Feier erhielt dadurch einen besonderen Reiz, daß ihr die Festjungfrauen, welche auf den Stufen des Gabentempels Platz genommen hatten, gleichsam präsidirten und von jedem der vorüberpassirenden Schützen- und Sängerzüge mit feurigen Hochs und kurzen Ständchen gefeiert wurden. Vor der Pforte des Gabentempels war inmitten der um sie geschaarten Vereinsfahnen die kolossale Bundesfahne aufgestellt, die wir bereits in vorletzter Nummer beschrieben haben.

Die Fahnen wurden nun in die Festhalle getragen und dort zwischen den Bannern der deutschen Bundesstaaten und den schwarzrothgoldnen Flaggen aufgesteckt. Welch ein zauberisches Bild entfaltete sich da vor den Augen der entzückten Festgenossen, als die weite Halle, reich und geschmackvoll geziert mit Grün und Blumen, beschattet von dem wehenden Fahnenwalde, von der Abendsonne, welche durch die gemalten Papierfenster einfiel, mit magischem Lichte übergossen ward! Das erste Banket, welchem der Herzog beiwohnte, begann. Es ging nicht mit der Ruhe und Ordnung von Statten, wie die späteren. Glücklich Der, welcher zu seiner Banketkarte auch einen Platz erobert hatte, denn bald drängte von außen ein gewaltiger Menschenstrom herein und versperrte die Gänge. Alles wollte den Herzog, welcher an der Tafel des Centralcomités unter der Rednerbühne Platz genommen hatte, sehen und die Reden hören. Das Letztere ward nur äußerst Wenigen zu Theil, denn das Wogen und Summen der zwischen den Tischen auf und ab wandelnden Menschenmenge, das Plätschern der Springbrunnen, das Knallen der Büchsen draußen an den Schießständen, der Lärm, der vom Festplatze her eindrang, das Alles vereinigte sich zu einem betäubenden Getöse und rief in Dem, der sich mitten darin befand, ein Gefühl hervor, ähnlich dem, das man empfindet, wenn man sich dicht unter den Rheinfall bei Schaffhausen stellt. Die Töne des starken Orchesters, das auf der Musikgallerie spielte, waren kaum über den Mittelpunkt der Halle hinaus zu vernehmen. Trotzdem wurden Reden gehalten und auch stenographirt, und Letzteres war gut, denn so konnte man doch wenigstens des andern Tags nachlesen, was zu hören unmöglich gewesen war. Die beiden officiellen Toaste wurde von Dr. S. Müller auf das Vaterland und von Dr. Reinganum auf das Volk und seine Bestrebungen ausgebracht. Die schweizerischen Cadettenknaben brachten indessen mitten in diesem unbeschreiblichen Tumult den mitspeisenden Ehrenjungfrauen ein Hoch mit Trommelwirbeln. Später wurde eine reiche Anzahl von allerwärts her eingelaufenen Telegrammen theils verlesen, theils angekündigt. Während es draußen in der Schießhütte schon lange lustig knatterte, denn die eifrigen Schützen schossen sich schon am Sonntag ein, sprach man drinnen in der Festhalle noch fleißig dem trefflichen und feurigen Schützenwein zu, auf dessen Etikette die Firma P. A. Mumm, welche eine Lieferung von nicht weniger als 60,000 Flaschen übernommen hatte, die hübsche Devise angebracht hatte: „Deutsche Frau’n und deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang – sollen in der Welt behalten ihren allerschönsten Klang.“ Mitten in dem allgemeinen Treiben aber bildeten sich wieder einzelne Gruppen in buntem Durcheinander aus Tyrolern, Schweizern, Bremensern, Schwaben und allen möglichen Stämmen zusammengesetzt, machten sich mit einander bekannt und tranken zusammen Brüderschaft. Dazwischen durch tönten die schrillen „Juch-Schroa“ der Tyroler, die sich vor Vergnügen kaum zu fassen wußten. Einer in Kurzhosen und Ledergurt um den Leib, ein prächtiger schlanker Bursche, war von dem Empfang und der Aufnahme in Frankfurt so außer sich, daß er überselig ausrief: „Wönn nit glabet, daß i erst in Himmel kimm, nacher hätt i gmoant, es war dös der Himmel gwös’n.“ Die Tyroler wurden aber auch nicht wenig gefeiert, von allen Tischen reichte man ihnen die Wein- und Champagnergläser entgegen. Sie redeten Jedermann mit ihrem gemüthlichen Du an, und wenn sie im Vorbeigehen an irgend einem Tische zum Verweilen eingeladen wurden, so hieß es vor Allem: „Wanns D’ nit Du sagst, nacher trink i nit mit Dir!“

So schloß unter allen Zeichen der herzlichsten Verbrüderung aller Stämme schon der erste Festabend. Man erzählt sich eine Masse kleiner Züge, welche an demselben in der Festhalle und auf dem Festplatz vorgefallen sein sollen. Wenn sie auch nicht alle wirklich und getreu so geschehen sind, wie man sie erzählt, so galten sie doch unter den Festgenossen allgemein für glaubwürdig, und das beweist schon, daß Keiner sie unter die Unmöglichkeiten rechnete, wie z. B. die folgende Episode überall Gläubige fand. Auf dem Festplatz fällt ein Schütze einem anderen, der ihm grade in den Weg kommt, um den Hals und ruft voller Freude aus: „Das freut mich, Bruder, daß Du auch da bist!“ Der Umarmte tritt einen Schritt zurück und bemerkt, daß er im Augenblick sich nicht erinnere, wen er vor sich habe. Der Andere aber umhalst ihn auf’s Neue und sagt: „Was thut das, ich kenne Dich ja auch nicht.“ Jetzt kannten sich die Beiden und schlenderten Arm in Arm weiter.

Wir haben den ersten Tag ausführlicher behandelt, weil er für den ganzen Geist und Verlauf des Festes entscheidend war, weil wir durch ihn in die Stimmung der nun folgenden Festwoche eingeführt werden. Diese Stimmung, sie war eine in jeder Beziehung vortreffliche, echt patriotisch gehobene und für die Zukunft unseres Vaterlandes gewiß bedeutungsvolle. Es war ohne Zweifel ein politisches Fest, was wir gefeiert haben. Laßt nur erst das Bewußtsein der engen Zusammengehörigkeit aller Theile des deutschen Volkes recht lebendig werden in Tausenden und Abertausenden, und es wird auch seine praktischen Früchte tragen. Hat es nicht schon Früchte getragen? Hat es nicht die Lauen und Zagenden aufgerüttelt und sie zur Theilnahme an der großen nationalen Frage herangezogen? Hat sich nicht im Volke der Drang nach freiheitlicher Einigung des Vaterlandes energischer ausgesprochen denn je? Und wird man diesem Drange, wenn er immer und immer wieder als ausgesprochner Gesammtwille des Volkes auftritt, der seine Rechte verlangt, auf die Dauer widerstreben können? Sind wir nur erst einmal darüber einig, daß wir einig sein wollen, so wird auch die Frage über das Wie? – allerdings die bei Weitem schwierigere – ihrer Lösung näher rücken.

Das Fest hat nach allen Seiten hin gute Lehren gegeben, zunächst dem Volke selbst, es hat ihm gezeigt, welche reiche, der Entwickelung fähige Kraft, welche Wehrkraft es besitzt. Es hat aber auch den Regierungen gezeigt, wie ungefährlich die Bewegungen im Volke sind, denen man nicht voreilig einen Hemmschuh anzulegen sucht. Es ist mit der größten Freisinnigkeit, ja von Einzelnen ganz radical, gesprochen worden, und doch bewahrte das Publicum im Ganzen die größte Mäßigung. Das Schützenfest hat weder zu einem staatsgefährlichen Congreß, noch zu einem Putsch Veranlassung gegeben. Es ging Alles in der schönsten Ruhe und Ordnung ab, und dazu trug nicht wenig der Umstand bei, daß man das Volk seiner eigenen Oberaufsicht überließ, die es mit größerem Geschick auszuüben weiß, als man in den höheren Regionen zu ahnen scheint. Die Achtung vor dem Rechte und vor dem Gesetze ist auch dem deutschen Volk tief eingepflanzt. Eine Handvoll Turner genügten, Hunderttausende von Menschen in aufgeregter Stimmung in bester Ordnung zu halten!

Aber noch etwas weit Bedeutenderes müssen wir als eine positive Errungenschaft des Festes bezeichnen, wir meinen die Achtung, die es mit Ausnahme einzelner gehässiger Stimmen, die auch im Inland nicht fehlen, dem Auslande abgenöthigt hat, und die innige Stammesverbrüderung, die wir wieder mit den Schweizern angeknüpft haben. Mit welcher herzlichen Aufrichtigkeit haben sie dem sich offenbarenden deutschen Volksgeiste ihre ganze Hochachtung gezollt, wie schienen mit einem Male die Vorurtheile gewichen, welche diese beiden Völker bisher stets in einiger Entfernung von einander gehalten hatten! Mußte ihnen nicht schon die festliche Aufnahme, die sie bei der Reise nach Frankfurt allüberall in Deutschland fanden, Kunde davon geben, daß wir sie für unsere natürlichsten und ersehnenswerthesten Bundesgenossen halten? Und wie haben ihre Redner, ein Kurz aus Bern, ein Brönner aus Basel, ein Curti aus St. Gallen, uns in’s Herz geredet, wie haben sie uns ermuthigt, unsere „Völkerpracht“ und unsere „Völkerherrlichkeit“ zu pflegen und einheitlich zusammenzufassen, mit Hinweisung auf das Beispiel ihres kleinen, aber geeinigten Landes!

So haben wir also allerdings thatsächliche Errungenschaften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_523.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)