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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


Preußische Lustschlösser.
1. Charlottenburg.

Friedrich der Große in der Schloßkapelle zu Charlottenburg.

An einem heitern Frühlingstage des Jahres 1696 erblickte die geistreiche Sophie Charlotte, die Gemahlin des prachtliebenden Kurfürsten von Brandenburg, das kleine, eine Meile von Berlin entfernte Dörfchen Liezen oder Lützen genannt. Die stille, ländliche Umgebung gefiel ihr besser, als das geräuschvolle Treiben des Hofes. Sie beschloß, sich daselbst niederzulassen, und kaufte zu diesem Zwecke das ihrem Oberhofmeister, Baron Debrzinsky, gehörige Landgut für 25,000 Thaler. Der berühmte Baumeister Schlüter erhielt den Auftrag, ihr ein Schloß zu bauen, das später durch seinen Nebenbuhler Eosander[WS 1] von Göthe vergrößert und mit einer stattlichen Kuppel versehen wurde. Durch den bekannten Gartenkünstler Le Nôtre wurde in französischem Geschmack der Park angelegt. Die innere Einrichtung war reizend, wenn auch in dem so oft mit Unrecht geschmähten Rococostyl jener Zeit. Ein großer Saal diente zur Bibliothek, ein zweiter zum Concertzimmer. Die Kurfürstin liebte die Musik, sie spielte das Clavier, sang und componirte selbst ganz ausgezeichnet; ihre Musikaliensammlung kostete eine Tonne Goldes, und das Instrument, das sie benutzte, war ein kostbares Geschenk ihrer Cousine, der originellen, durch ihren Briefwechsel bekannten Herzogin von Orleans. Ein drittes Zimmer enthielt das feinste japanische und chinesische Porzellan, und in einem vierten waren die Leuchter, ein kleiner Kaffeetisch, ein vollständiges Kaffeeservice und selbst die Roste des Kamins von gediegenem Golde, ebenfalls ein Geschenk des galanten Kurfürsten. Das schöne Schloß erhielt den Namen Lietzenburg; erst nach dem Tode seiner hohen Besitzerin wurde es ihr zu Ehren von dem untröstlichen Gatten Charlottenburg genannt.

In diesen Räumen verkehrte Sophie Charlotte, die „philosophische“ Königin, wie sie von ihren Zeitgenossen bezeichnet wurde; hier musicirte, studirte und philosophirte sie, um den Grund der Dinge zu erforschen. Ihre Wißbegierde war so groß, daß ihr der berühmte Leibniz eines Tages sagte: „Es ist gar nicht möglich, Sie zufrieden zu stellen. Sie wollen das Warum des Warum wissen.“ – In diesem Garten wandelte sie mit ihren Hofdamen, dem witzigen Fräulein von Pöllnitz und der liebenswürdigen Frau von Bülow, die sie mit den übrigen Cavalieren und den Damen ihrer Umgebung ausschickte, um zwei gleiche Blätter zu suchen, da Leibniz einst behauptet hatte, daß es in der Welt nicht zwei sich vollkommen gleichende Dinge gebe. Der Philosoph hatte Recht, denn jedes der gefundenen Blätter war bei genauer Prüfung von dem anderen verschieden. In diesen Sälen gab Sophie Charlotte jene heiteren Feste, bei denen es so lustig herging und die von der berühmten Feder eines Leibniz geschildert und verewigt sind. Hier wohnte sie dem auf ihre Veranlassung veranstalteten theologischen Turniere ihrer Geistlichen mit dem Jesuiten Vota, dem witzigen und weltklugen Beichtvater August des Starken bei, wo mit den Waffen des Geistes und mit bewunderungswürdigem Freimuthe über die Wahrheiten der reformirten und der katholischen Religion gestritten wurde. Welche Erinnerungen knüpfen sich an Charlottenburg und seinen Park, die das Andenken an die schöne, geistreiche Fürstin gleichsam geweiht hat!

Nach ihrem Tode wurde Charlottenburg einigermaßen vernachlässigt, da ihr Sohn, der bekannte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., hauptsächlich in Potsdam residirte, wo er seine Riesen bei der Garde fortwährend unter Augen hatte. Statt des Claviers rasselte jetzt die Trommel, und die Philosophen und Schöngeister mußten den Generälen und dem Tabakscollegium mit seinen Hofnarren weichen. Auch sein Nachfolger, Friedrich der Große, zog Potsdam oder vielmehr Sanssouci Charlottenburg vor. Oben auf der hohen Terrasse versammelte der König die Helden seiner Tafelrunde, die Ritter vom Geiste, Lord Keith, den Helden ohne Furcht und Tadel, den liebenswürdigen d'Argens, den witzigen Lamettrie und den Fürsten der Denker und Dichter, Voltaire, der mit seiner Feder, wie mit dem Schwerte, die Welt beherrschte. Selten nur kehrte der große König nach dem verwaisten Charlottenburg zurück, das während des siebenjährigen Krieges von einem sächsischen Streifcorps geplündert und verwüstet wurde. Die erbitterten Feinde schlugen Thüren und Fenster in dem Schlosse ein, zerbrachen die kostbaren Möbel und großen venetianischen Spiegel, schossen mit Kugeln nach den aufgehängten, unschätzbaren Bildern und verunstalteten die herrlichen antiken Marmorstatuen, die Friedrich aus der Polignac’schen Sammlung erstanden hatte; selbst die in dem Schlosse befindliche Kapelle wurde nicht geschont und von den Barbaren vielfach geschändet. Als der Feind wieder abzog, bot das arme Charlottenburg einen traurigen Anblick; die Zimmer, in welchen die geistreichste Königin geweilt, waren

  1. Vorlage: Ersander
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_533.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2024)