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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

von rohen Horden bewohnt und entweiht worden, der herrliche Park glich einer Wildniß, die ganze Umgebung einer traurigen Wüste. Aber gerade in dieser Zerstörung erinnerte sich der König an das von ihm vernachlässigte Charlottenburg. Sobald der Hubertusburger Friede geschlossen war, gab er den Befehl, so schnell als möglich das geplünderte Schloß und besonders die ruinirte Kapelle wieder herzustellen, zur nicht geringen Verwunderung des alten Castellans, der wohl wissen mochte, daß die Frömmigkeit im Allgemeinen nicht die stärkste Seite des großen Königs war.

Am 30. März 1763 hielt der Sieger seinen Einzug in Berlin. Vom frühen Morgen an wogten die Straßen von einer fröhlich bewegten Menschenmenge, da Niemand den Triumph des Helden versäumen wollte. Alt und Jung strömte nach dem Frankfurter Thore, durch das er kommen mußte. Die Bürgerschaft stand in zwei Reihen längs der Königsstraße; die Kaufmannschaft, mit ihrem Führer, dem patriotischen Handelsherrn Gotskofsky, an der Spitze, paradirte hoch zu Rosse; in ihren Reihen erblickte man den guten Marquis d’Argens, der bald in gutem Französisch, bald in schlechtem Deutsch sich mit seinen Nachbarn unterhielt und das Lob seines königlichen Freundes in allen Zungen sang. Auch die Bürgerschützen und das ehrsame, seit den ältesten Zeiten angesehene Schlächtergewerk hatte sich eingefunden; die Väter der Stadt waren versammelt, um den Vater des Vaterlandes zu begrüßen, der Bürgermeister hielt seine pomphafte Anrede in der Tasche bereit, und die weißgekleideten Jungfrauen ihre Lorbeerkränze und Gedichte. Seit dem frühen Morgen schon wurde der König erwartet. Stunde auf Stunde verging, aber er kam nicht; es ward Mittag, und noch immer ließ sich der große Friedrich nicht sehen. Die Bürger wunderten sich und wurden ungeduldig, die Väter der Stadt machten lange Gesichter, und die weißen Jungfrauen klagten über ihre grau gewordenen Kleider. Als aber der Abend heranrückte und der Held des Tages noch immer nicht erschienen war, da entstand eine allgemeine Verstimmung und man hörte laute Klagen, bis sich die Nachricht verbreitete, daß der bescheidene Sieger, der einer Welt in Waffen getrotzt, in der Dunkelstunde wie ein Dieb in sein Schloß heimlich sich gestohlen, um den ihm zugedachten Ehrenbezeigungen zu entgehen. Zur Entschädigung aber für die vereitelte Freude gab er den guten Berlinern zwei Millionen Thaler Kriegssteuern zurück, was ihren Schmerz über den verunglückten Einzug wohl gelindert haben mag.

Der König selbst aber eilte nach Charlottenburg, wohin er heimlich seine Kapelle unter Anführung des berühmten Kapellmeisters Graun in die Schloßkapelle bestellt hatte, um ein von diesem eigens zu dem Zwecke componirtes „Tedeum“ aufzuführen. Die zerstörte Kapelle war wieder hergestellt, auf dem Altar brannten die Lichter, und die Musiker standen voll Erwartung der glänzenden Versammlung hinter ihren Pulten und an ihren Instrumenten. Aber auch diesmal harrten sie vergebens auf den prächtigen Hofstaat, auf all die Prinzen, Generäle, Gesandten, Minister, Kammerherren, die nach ihrer Meinung dem Tedeum beiwohnen sollten. Endlich öffneten sich die Thüren, und der König erschien mit dem dreieckigen, welthistorischen Hute auf dem Kopfe und mit dem Krückstock in der Hand. Kein Mensch begleitete ihn, keine Pagen gingen ihm voran, keine Leibhusaren folgten ihm; er war allein. – Die Musiker sahen sich verwundert an, als auf ein Zeichen des Königs der berühmte Graun den Taktstock schwang und das Tedeum in der einsamen Kapelle erschallte. Bei den ersten Tönen der Musik nahm der König den Hut von seinem Haupte und stand auf; dann setzte er sich wieder und hörte mit andächtigem Schweigen zu. Es war ein feierlicher Augenblick, wo Friedrich der Große sich vor Gott beugte und das Walten der Vorsehung mit Dank anerkannte. Er wollte und brauchte keine Zeugen für seine Frömmigkeit, die bei ihm tiefer auf dem Grunde seiner Seele lag, als bei andern Fürsten, welche nicht wie er denken und sagen: „In meinem Lande kann jeder nach seiner Façon selig werden.“ Solches aber geschah in der Kapelle zu Charlottenburg, die gewiß noch keinen schöneren und erhabeneren Gottesdienst seitdem gesehen hat. –

Auf die Tage des Glanzes unter Friedrich dem Großen folgten schwere, traurige Zeiten für das Volk und das preußische Herrscherhaus. Der alte Waffenglanz erblich bei Jena vor dem Genie Napoleon’s. Friedrich Wilhelm III. mußte mit der geliebten Königin Louise seine Hauptstadt verlassen und nach Königsberg fliehen. Dort schaarten sich um ihn die besten Männer seiner Zeit, die edelsten Kräfte, mit deren Hülfe die Wiedergeburt des fast untergegangenen Staates bewirkt wurde. Ein neuer Geist war erwacht, und an die Stelle der verrotteten Zustände trat ein frisches Leben. Die Königin stand in dieser trüben Periode muthig dem hohen Gatten zur Seite; sie richtete ihn auf, sie erfüllte ihn mit Vertrauen; sie wurde sein Leitstern in der dunklen Nacht und bald der Mittelpunkt aller besseren Elemente, die sie mit zarter Weiblichkeit, mit seinem Takt zu verbinden und zu dem großen Werke zu stärken wußte. Wo die Schroffheit des Königs zurückstieß, sein scheues Wesen befremdete, versöhnte ihre Anmuth und Milde, vermittelte sie die entgegengesetzten Ansichten, die widerstrebenden Meinungen zum Besten des hülfsbedürftigen Vaterlandes. Aber es war ihr nicht vergönnt, ihr Werk gekrönt zu sehen, die Stunde der Befreiung, den Sturz des übermüthigen Siegers zu erleben. Zu groß war ihr Leid, zu tief die Kränkung gewesen; ihr Herz war gebrochen, und sie konnte sich von dem furchtbaren Schlage nicht wieder erholen. Sie starb, um der Schutzengel ihres Volkes zu werden. –

In Charlottenburg ruht die Königin Louise in dem von Schinkel auf Befehl des Königs errichteten Mausoleum. Eine dunkle Fichtenallee führt zu ihrem Grabe, über dem sich der Trauertempel des genialen Baukünstlers in würdiger und zugleich erhabener Einfachheit von geschliffenem ägyptischem Granit erhebt. Wir treten ein und erblicken ihre Statue von der Meisterhand des berühmten Rauch. Der Marmor scheint zu leben, die auf dem Sarkophag liegende Königin zu athmen. Ein unendlicher Zauber ist über die lieblichen Züge ausgegossen, welche die Heiligkeit des Grabes und den süßen Frieden des Schlummers vereinen. Tod und Schlaf verschmelzen zu einem wunderbaren Bilde und umschweben die entzückende Erscheinung. Auf dieses Grab legte Friedrich Wilhelm III. den Lorbeer nieder, welchen ihm die Töchter Berlins überreichten, als er im Triumph von Paris nach seiner Hauptstadt zurückkehrte. Wieder wogte das Volk in den Straßen Berlins; von dem Brandenburger Thore, das die wiedergebrachte Victoria schmückte, bis zum königlichen Schlosse drängte sich die Menge, um den aus so schweren Prüfungen siegreich hervorgegangenen König und die tapferen Freiheitskämpfer zu begrüßen. Es war ein Tag des Jubels und der Freude: Frauen umarmten ihre zurückkehrenden Männer, Kinder ihre Väter und vor Wonne weinende Mütter ihre wiedergeschenkten Söhne. Aber in die Freude mischte sich auch der Schmerz, und manches Auge füllte sich mit Thränen beim Andenken an die glorreich gebliebenen Vaterlandsvertheidiger. Das schönste Mädchen der Stadt reichte Friedrich Wilhelm III. den Lorbeerkranz unter dem Jauchzen des begeisterten Volkes. In der Dämmerstunde, als die Residenz in einem Meer von Glanz schwamm und die Freudenfeuer hell aufloderten, wandelte ein hoher Mann in der dunklen Fichtenallee, welche zu dem Mausoleum in Charlottenburg führt; er war allein, ohne jede Begleitung. Der Hüter des Grabes empfing ihn und schloß die eheren Pforten auf. An der Ruhestätte der geliebten Königin kniete Friedrich Wilhelm III. zum stillen Gebet hin und legte das noch frische Lorbeerreis auf das Grab der unvergeßlichen Louise.

Das sind die Erinnerungen, welche sich an Charlottenburg und seinen Garten knüpfen; Sophie Charlotte, Friedrich der Große und die Königin Louise sind die Genien, die es umschweben, und die alten Bäume des Parkes rauschen und singen im Abendwind von vergangener Schönheit, Größe und Liebenswürdigkeit, so daß den Wanderer unwillkürlich ein wehmüthiges Gefühl und die Erinnerung an die Geister beschleicht, die einst hier gelebt, gebetet und geweint haben.

Max Ring.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_534.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)