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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sie am Gabentempel dem deutschen Schützenbund das Sternenbanner in Gegenwart des Herzogs von Coburg, des Vorstandes des deutschen Schützenbundes, der Comitemitglieder und einer großen Anzahl Schützen und Festtheilnehmer. Mit der größten Hochachtung vor dem deutschen Volke, das überall voran ist, wo es die wahren Interessen der Civilisation zu vertreten gilt, das jetzt in Amerika in den Kampf für Freiheit und Recht Hunderttausende von Streitern gestellt hat, sprach Generalconsul Murphy in englischer Sprache. Der deutsche Schützenverein in Philadelphia hatte eine Adresse gesandt, die bei der Fahnenweihe verlesen wurde. Dies Schreiben ergriff alle Anwesenden durch den echt deutschen Sinn, die Herzlichkeit und Freimüthigkeit, die es durchwehte. Unter Anderem heißt es darin:

„Auch inmitten der schweren Prüfung, mit welcher jetzt unser amerikanisches Vaterland heimgesucht ist, und inmitten der schweren Pflichten, welche uns dieselbe auferlegt, vergessen wir nicht das deutsche Vaterland. Mit Jubel begrüßen wir die Stiftung eines großen deutschen Nationalschützenbundes! So ist es recht! Die Wehrhaftigkeit einer Nation ist ihr einziger Schutz, ihre einzige Macht nach innen und außen, und daß Nichts so sehr eine solche hebt, wie die Schützen-Vereine, das beweist uns die gepriesene Schlagfertigkeit der Bürger unsrer freien deutschen Städte in frühern Zeiten, und die Geschichte und die Volkswehr der Schweiz. Die Vereinigung aller deutschen Schützen-Vereine zu einem großen Nationalbunde ist uns sichere Gewähr, daß das deutsche Bewußtsein in mächtigem Voranschreiten ist. Sobald auf der Fahne aller deutschen Patrioten das Motto zu lesen sein wird: „Freizügigkeit in ganz Deutschland!“ so wird das deutsche Bürgerthum aus den Ruinen der Kleinstaaterei sich mit Macht erheben, und ihm wird Eure Fahne mit der Inschrift: „Allgemeine Wehrhaftigkeit!“ siegreich voranschreiten, zur Begründung des neuen Volksstaates der deutschen Union. Glück ans! theure Landsleute und Waffenbrüder! Voran aus der schweren Bahn, die Ihr so muthig betreten! – Möge auch für Deutschland die Zeit bald anbrechen, wo als Unterbau für ein einiges Volksreich fest begründet ist: Einheit des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, Handels- und Gewerbefreiheit und Freizügigkeit ohne alle Paß- und Polizeibehinderung im ganzen deutschen Vaterlande. Der Staat, der aus solcher Grundlage errichtet wird, steht fest ohne Wanken – ihn erschüttert kein Sturm von außen oder innen – und Volksheer auf Volksheer erhebt sich freiwillig in der Stunde der Gefahr für seine Vertheidigung, seine Macht, seinen Ruhm und seine Größe. Denn seine Erhaltung ist die Erhaltung der Wohlfahrt Aller. Unsere Union giebt davon das Beispiel!“

Tags darauf übergaben die Schweizer das eidgenössische Kreuz an den Frankfurter Schützenverein, das jedoch Dr. S. Müller dem ganzen Deutschland gewidmet wissen wollte und es so entgegennahm. „Nicht in den Farben der Cantone erscheinen wir hier; nein, wir sind Bürger eines Landes, denn für uns giebt es nur eine Schweiz, wie es für Euch Deutsche nur ein Deutschland giebt. – – Euch, deutsche Schützenbrüder, Euch, Bürger Frankfurts, Dir, Deutschland, Du Vaterland der Denker und Dichter, Euch Allen, die Ihr aus allen Weltgegenden Germaniens zu diesem Nationalfest geeilt seid, reichen wir die Bruderhand. Die freie Schweiz ist gekommen, mit dem freien Deutschland sich zu verbrüdern.“

Das war ein offenes, aufrichtiges Manneswort und ans solchem Munde doppelt werthvoll. Die Schweizer wissen, was sie wollen. In diese dargebotene Bruderhand eines Volkes, das sich eines festen, geordneten Staatswesens und freien Bürgerthumes erfreut, dürfen wir getrost einschlagen und wir haben eingeschlagen.

Kaum waren die preußischen Abgeordneten abgereist, am vorletzten Festtag, als gegen Abend am Gabentempel auch die Wiener dem Schützenbunde eine Fahne übergaben. Die Wiener Fahne zeigt auf der Vorderseite das reich in Gold gestickte Wappen der Stadt Wien auf weiß-rothem Seidengrunde, rückwärts aber auf dem Felde von grüner Seide eine Scheibe auf zwei Stutzen ruhend, mit goldgesticktem Eichenlaub umschlungen und auf Blättern die Namen der Schießstände in der nächsten Nachbarschaft von Wien tragend. Der Schaft endet in einer reich vergoldeten Hellebarde mit dem Reichsadler. Der Redner, der die Fahne übergab (Stuböck aus Wien), betonte besonders die Liebe, mit der die größte Stadt Deutschlands an Deutschland hänge und verwahrte sich nochmals im Namen Deutsch-Oesterreichs gegen das „Schmerzenskind“, fügte aber zugleich hinzu: „Wir Deutsche in Oesterreich haben einen schweren Stand, da wir umringt sind von verschiedenen Nationalitäten. Sind wir erst zur vollen Geltung gekommen, dann werden wir auch mit Macht eintreten.“

Noch eine Fahnenübergabe hat stattgefunden keine freudvolle, aber eine tief erschütternde. An einem düstern, regnerischen Abend zog unter Anführung eines umflorten Banners die rüstige Turnerschaar der Schleswig-Holsteiner nach dem Gabentempel. Von seinen Stufen herab sprach Graf Baudissin mit jenem heiligen Zorne, den das Bewußtsein des Rechts und das Gefühl erlittener Schmach eingiebt, von dem Schandflecke, der auf dem deutschen Namen haftet und den wir dem Geiste jenes Hauses in Frankfurt verdanken, das jetzt auch mit den deutschen Farben zu liebäugeln anfängt. „Wollt Ihr mir versprechen, diese umflorte Fahne zu ergreifen, sobald die Stunde ruft, und nicht eher zu rasten, als bis Ihr sie uns zurückgebracht habt, und bis an der Stelle des schwarzen Flores die deutschen Farben wehen werden?“ Und ein tausendstimmiges Ja machte die Lüfte erzittern. „Darf ich meinen Landsleuten die Versicherung geben, daß sie auf die deutsche Jugend zählen können?“ – „Ja, ja, das dürfen Sie!“ erschallte es wieder in begeistertem Chorus. Das war ein Schmerzensschrei in all den Jubel und die Festfreude hinein, der so lange Nachhallen möge’ bis diese große, die größte Schuld Deutschlands getilgt ist ans dem Schuldbuch der Geschichte.

Noch eines Theiles der Festgeschichte, der nicht wenig dazu beitrug, die Gemüther zu heben und dem Feste den echt deutschen Charakter zu wahren, dürfen wir nicht vergessen, des Antheiles, den die Kunst, den der Gesang an dem Feste hatte. Schützen, Turner und Sänger – diese Trias ward während des Festes in unzähligen Gedichten und in Inschriften als der wahre Mittelpunkt aller Bestrebungen der Gegenwart gepriesen – sie war beim Feste selbst in der schönsten und förderlichsten Weise verkörpert. Der Antheil, den die Turner nahmen, ohne die das erste Bundesschießen kaum zu ermöglichen gewesen wäre, ist schon früher berührt und gewürdigt worden. Aber auch die Sänger haben das Ihrige gethan und das ernste Streben und seine hohen Ziele im Liede verherrlicht. Schon am zweiten Festtage traten die verbündeten Männergesangvereine der Stadt (700 Sänger) auf einer eigens zu den Gesangesaufführungen gebauten Bühne zusammen und ließen ihre kräftigen vaterländischen Weisen über die Häupter einer Zuhörerschaft, die sich nach Zehntausenden zählte, dahinbrausen. Dem gesungenen Worte, das nicht Alle vernehmen konnten, kam das auf weite Entfernungen hin sichtbare lebende Bild zu Hülfe, zuerst die „Wacht am Rheine“.

Den Hintergrund des Tableau’s bildete die Gegend bei Caub am Rhein. Schützen stehen auf Vorposten. Da gewahrt der Posten den Feind. Es wird lebendig, die Wache verstärkt sich. Der Feind kommt näher, und man beschließt den Angriff. Mit gefälltem Gewehr ziehen die Schützen dem Feinde entgegen unter dem Klang der beiden Schlußstrophen des Liedes. Das zweite Bild, ein Barde in bengalischer Beleuchtung, erschien bei der mit Enthusiasmus aufgenommenen Hymne von Heinrich Neeb: „Frisch auf zum Siegen,“ eine Composition, die schon beim vorjährigen Nationalfeste in Nürnberg Tausende von Herzen entflammt hatte. Die verbündeten Männergesangvereine brachten dann noch an einem andern Festabend das mit vielem Beifall aufgenommene „neudeutsche Schützenlied“ von Friebel und verschiedene Chöre zur Aufführung. Wieder ein anderer Abend war durch den Frankfurter „Liederkranz“ würdig ausgefüllt. Er brachte ein Festspiel von Dr. H. Weismann mit Chören seines Dirigenten Gellert zur Aufführung, welches in hochpoetischer Weise dem Einheitsgedanken des Festes zum Ausdruck verhalf und dadurch eine besondere Weihe erhalten hatte, daß Fanny Janauschek vom Hoftheater zu Dresden, die hochgefeierte Tragödin, einst der Stolz der Frankfurter Bühne und der Liebling des Publicums, die Rolle der Germania übernommen hatte. Ihre majestätische Erscheinung, ihr machtvolles Organ und ihr schwunghafter Pathos einten sich zu einem Bilde der Germania, das einen gewaltigen Eindruck machte und einen namenlosen Jubel unter der andächtig lauschenden Menge hervorrief.

So war jeden Abend dafür gesorgt, daß die vielen Tausende, welche bis spät in die Nacht den hell strahlenden Festplatz erfüllten und nur zum kleinsten Theile in der Festhalle Platz finden konnten, Aug’ und Ohr anregende Unterhaltung fanden. Zu verschiedenen Malen wurden auch großartige Feuerwerke abgebrannt mit bengalischen Beleuchtungen des Platzes, welche von magischer Wirkung waren.

Der weite Festplatz vermochte die zahllose Menge der Festgenossen nicht alle zu fassen. Es war daher sehr gut, daß dieselbe aus einem zweiten viel größeren Raume, auf der Bornheimer Haide, wo kein Entrée erhoben wurde, sich nach Lust ausbreiten konnte. Hier war eine ganze Stadt von Wirthschafts- und Verkaufsbuden und von Sehenswürdigkeiten aller Art entstanden, und ein echt volksfestliches Treiben in großartigem Maßstabe spielte sich hier zwei Wochen hindurch vom frühen Morgen bis zum späten Abend in ununterbrochener Bewegung ab. Da fehlte auch nichts, was zu einem großen Jahrmarkt gehört, vom Kunstreitercircus bis zum Kasperle-Theater, Caroussels, Mordgeschichten, Seiltänzer, Wahrsagerinnen, Schießstände, Harfenistinnen und Riesenschweine. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend tobte, schwirrte und sauste es auf dieser Haide wie in einem Riesenbienenkorbe.

So war unter Spiel und Ernst das Ende des schönen Festes herangenaht. Schon in der Mitte der Festwoche und noch mehr in der zweiten Hälfte derselben waren die meisten Gäste wieder von dannen gezogen, alle voll des Lobes über die treffliche Anordnung und Leitung des Festes durch das Comite, und voll des Dankes für die überaus herzliche und gastfreundliche Aufnahme, die sie gefunden hatten. Die am weitesten hergekommen waren, blieben am längsten da, – die Oesterreicher und die Tyroler. Am Abend des 21. feierten sie in der Halle ihren Abschied. Sie jodelten und sangen Alpenlieder, daß es eine Lust war.

„Frankfurt, du, du bist mei Freud’!
Da hab’n d’ Madeln sakrisch Schneid.
Zwar giebt’s keine Gamslen zu derjagen,
Aber Becher zum Vertragen.“

Und unter einem lustigen Jodler flogen die Hüte in die Luft, und die ganze Halle gerieth in freudige Bewegung.

Des andern Tages – eben hatte um 4 Uhr die Preisvertheilung stattgefunden – holten die Baiern und die Tyroler ihre Fahnen in der Halle ab. Die Scheidestunde war gekommen. Manchem schmucken Hochlandssohne stahl sich da ein salziges Tröpflein hinter die Wimpern, – aber er wischte es weg und verjubelte seinen Trennungsschmerz in desto lauteren Juchschroa’s. Eben hatten sich die Tyroler und die Oesterreicher unter ihre Fahnen geschaart und zum Abzug angeschickt, als Einer rief: „Wir begleiten die Tyroler nach der Bahn! Wer geht mit?“ Gesagt, gethan. Im Nu hatte sich ein improvisierter Zug gebildet, Comitémitglieder, Turnerschützen Turnerknaben, Publicum und – nicht zu vergessen, die Festjungfrauen die bei der Preisvertheilung noch einmal im Festornate zugegen gewesen waren, Allen voraus die Münchener Musik. Unter Gesang und Musik ging’s durch die Stadt. Die Kränze waren zwar schon verwelkt, aber die Herzen noch frisch. Die Fenster flogen auf, und manche Schöne warf „ihrem Schützen“ noch eine Kußhand und ein duftendes Sträußlein zu, das dieser mit seinem Preisbecher auffing. Wie eine Lawine vergrößerte sich der Zug, bis er endlich am bairischen Bahnhof angelangt war. Hier gab es rührende Abschiedsscenen. Das Händedrücken und Umarmen wollte kein Ende nehmen. Eine der Festjungfrauen, und noch dazu eine protestantische, gab einem Tyroler, der sie darum bat, auf Geheiß des

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