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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Geburtstage zu beglückwünschen. Wir fanden sie in der heitersten Laune, mit glänzenden Augen und rosigem Gesicht. Ihr Tisch war schon ganz mit Blumen und Lorbeerkränzen bedeckt, und sie hatte eben einen Brief bekommen, der ihr ein Engagement in Amerika anbot.

„Muß ich es nicht als eine gute Vorbedeutung ansehen, daß ich diesen Antrag gerade heute bekommen habe?“ sagte sie, und dann malte sie sich aus, wie sie die Amerikaner für deutsche Musik begeistern würde. Diese uncultivirten Massen für die Kunst zu entflammen, erschien ihr – allem Widerspruch zum Trotz – wie die herrlichste Aufgabe, wie der Gipfelpunkt ihres Ruhmes. Noch lieber, das gab sie freilich zu, wäre sie noch einmal durch ihr Vaterland gezogen, um ihren alten Freunden „alte, liebe Lieder“ zu singen, und sie gab die Hoffnung, es zu können, noch immer nicht auf. Aber war Deutschland undankbar, so konnte sie es jetzt verschmerzen, da ihr ein neuer Weg geöffnet war, ihrem Schaffensdrange zu genügen. In ihrer ersten Freude vergaß sie sogar, daß ihr Gatte am allerwenigsten diesem Plane seine Zustimmung geben konnte.

Als wir wenige Tage später von Wilhelminen Abschied nahmen, war sie noch immer unter dem Einflüsse dieser frohen Erregung, aber schon in den nächsten Briefen sprach sich eine gedrückte Stimmung, eine wachsende Muthlosigkeit aus. Sie schreibt:

„Den 1. Januar 1859.

… „Ihr wißt aus eigener Erfahrung, wie ich hier in Anspruch genommen bin, und wie ich kaum eine ungestörte Stunde am Tage mein nenne. Ich habe am vergangenen Dienstag in einem Concerte gesungen, habe nächsten Montag ein großes Geburtstagsfest bei Carus, wo ich die Muse darstelle. Mein Schreibtisch ist angefüllt mit Briefen, die auf Antwort warten, meine Schülerinnen drängen mich ohne Unterlaß – kurz, ich müßte zehn Leben haben, um all dem genügen zu können, und ich werde es auch nicht mehr lange aushalten können, denn ich fühle, wie meine Gesundheit darunter leidet. Es wird wohl am besten sein, ich komme recht bald zu Euch, um mich geistig und körperlich zu erholen, denn ich bin krank an Seel und Leib! dazu der ewig düstre, umnebelte Himmel – es will eben kein heller Stern durchdringen. Ich bin wie ein noli me tangere, reizbar bis auf’s Aeußerste, und an meinen Liedern singe ich mich fast zu Tode.“

„Den 9. Januar 1859.

(An Elise Polko, die Wilhelminen den zweiten Band ihrer musikalischen Märchen gewidmet hatte.)

… „Vor Allem meinen Herzensdank für das treue Gedächtniß, das Sie mir bewahrt; Sie glauben nicht, wie wohl es mir thut, wenn ich einmal wieder von einer Menschenseele höre, daß meine Klänge in ihr festgehalten haben, denn oft kommt es mir vor, als hätte ich ganz umsonst gelebt. Was lassen sich die Leute jetzt für ein Gaukelspiel gefallen, und zwar in denselben Rollen, in denen ich ihnen mein Herzblut hingesungen habe! Wie traurig ist des Mimen Loos! wir sollen und können ja hauptsächlich nur auf die Massen wirken, vermögen aber keine tiefern Spuren einzudrücken, als leichter Sand sie aufnimmt. Ein Windhauch kräuselt darüber hin, und Alles ist verweht und vergessen! Diese Erfahrung mache ich jetzt hier an demselben Publicum, das – was ich zu schaffen vermochte – unmittelbar von mir empfangen. Mein armes, heißes Herz blutet dabei und hätte sich fast verblutet. Ja, das heiße Herz gehört eben dazu. Sie nennen so ein Herz eine Segnung des Himmels – wüßten Sie, theure Frau, wie es mir im Leben zum Fluch geworden ist! Man steht mit einem heißen Herzen so gar allein, denn wer versteht es, sich an seiner Gluth zu wärmen, und scheut nicht vor der Gefahr zurück, sich daran zu verbrennen?“

„Leipzig, 25. Febr. 1859.

„Habt Nachsicht mit einem vernichteten und zerstörten Gemüth, aus welchem alle Harmonie gewichen, in dem alle Saiten zerrissen sind und die, welche übrig blieben, nur harte Mißlaute geben. Der Himmel ist mein Zeuge, ich sehne mich unbeschreiblich nach einer Stunde des Aussprechens mit Euch, aber ich kann im Augenblicke auch nicht annähernd diese ersehnte Stunde feststellen. Ich bin krank und elend und halte mich für verloren.“

Zwei Tage später waren wir in Leipzig. Wilhelminens Briefe hatten uns wohl darauf vorbereitet, sie körperlich leidend zu finden, dennoch waren wir, als wir sie wiedersahen, im ersten Augenblicke wie gelähmt vor Schrecken. War das wirklich dieselbe Frau, die wir vor wenigen Monaten so schön, so lebensfrisch verlassen hatten? Jetzt kam sie uns entgegen in gebrochener Haltung, kaum fähig sich durch’s Zimmer zu schleppen, die Gesichtsfarbe gelblichgrau, die Augen erloschen und von dunkeln Ringen umgeben, die Schläfen eingesunken, die sonst so marmorglatte Stirn von hundert Fältchen durchschnitten. In Thränen ausbrechend, warf sie sich in unsere Arme, und es dauerte lange, ehe sie sich fassen konnte. „Ich bin nur noch der Schatten der Maria!“ sagte sie mit herzzerschneidendem Lächeln, und wir mußten ihr Recht geben.

Aber es kamen Stunden, wo sie geistig und körperlich die einstige Frische wiederfand, freilich nie auf lange Dauer. Nach dem Concerte, in welchem sie anfangs mit Verzweiflung gesungen hatte, weil sie ihre Stimme matt und angegriffen fand, fuhr sie mit uns und war so heiter, so liebenswürdig, so übersprudelnd von Geist, wie nur je zuvor. Sie erzählte von Paris und Berlin, spielte der Doche, der Rachel ganze Scenen nach – und wie wunderschön sah sie aus in ihrem schwarzen Anzuge mit dem Veilchenkranz im blonden Haar! am nächsten Morgen war der lebenswarme Hauch schon wieder dahin. Todtmüde und doch voll Hast und Unruhe reiste sie nach Dresden, um ein Concert für sich selbst zu geben – den bedeutenden Ertrag desselben wies sie dem Weberdenkmal zu. Gleich darauf kam sie nach Leipzig zurück. Sie hatte versprochen, in einer Matinee des Bassisten Pögner zu singen, und hielt Wort, obwohl sie in einem Zustande der Aufregung und Abspannung war, der uns zu den ernstesten Besorgnissen Anlaß gab.

Aber diese Sorge galt damals weniger ihrem Körperleiden, das wir für ein vorübergehendes hielten, als den geistigen Kämpfen und Schmerzen, in denen wir sie ringen und erliegen sahen. Herr von Bock hatte, wie sich’s erwarten ließ, seine Einwilligung zu der amerikanischen Reise versagt, und Wilhelmine hatte nur mit verdoppeltem Eifer nach einem Wege gesucht, der sie in der Heimath an das gewünschte Ziel führen könnte. Nach allen Seiten hin hatte sie anzuknüpfen gesucht – von allen Seiten empfing sie kühle, ausweichende, ablehnende Antworten, und so mußte sie endlich doch aus allen diesen Entschuldigungen und Vorwänden herauslesen, daß ihre Zeit als Künstlerin vorbei war. Diese Ueberzeugung, gegen die sie sich lange mit verzweiflungsvoller Beharrlichkeit sträubte, brach ihren Lebensmuth. So oft wir sie später, gegen unsere Ueberzeugung, durch die Hoffnung endlicher Genesung zu trösten suchten, brachte sie uns durch die traurige Frage zum Schweigen: „Was soll ich denn noch in der Welt? – ist nicht für mich Alles vorbei?“

Am 6. März war das Pögner’sche Concert. Nach jedem Liede brach Wilhelmine weinend zusammen. Aber wie sang sie auch! mit müder, matter Stimme zwar, aber mit dem herzerschütterndsten Ausdruck – es war wirklich, als ob sie in den letzten Liedern, die sie singen sollte, ihr Herzblut hinströmen ließe. Den „Wanderer“ von Schubert sang sie; ihr unvergeßliches: „Ich grolle nicht“, das Schumann nicht umsonst ihr zugeeignet hat; die Schubert’schen Lieder: „Geheimes“, „Trockne Blumen“, „Ungeduld“ und endlich Mendelssohn’s „Es ist bestimmt in Gottes Rath“. Als wir nach diesem Liede zu ihr kamen, sagte sie, indem sie uns beide Hände reichte: „Die letzten Worte, meine Lieben, habe ich für Euch gesungen:

Wenn Menschen von einander gehn,
So sagen sie: auf Wiedersehn!“

Wir haben seitdem kein Lied mehr von der geliebten Stimme gehört. Unmittelbar nach dem Concerte kehrte Wilhelmine nach Dresden zurück. Beim Abschied versprach sie uns so bald als möglich in unsere Wolfenbüttler Einsamkeit zu folgen, aber statt der Ersehnten kamen nur die traurigsten Briefe, – Briefe, in denen wir alle die Schmerzen und Kämpfe wiederfanden, das momentane Sichaufraffen und wieder Erliegen, das uns beim letzten Zusammensein mit ihr das Herz zerrissen hatte. Sie schreibt:

„Dresden, 12. März 1859.

… „Ich kann mich sehr niederwerfen lassen, aber es kommt auch wieder der Moment, wo ich mich mit aller Kraft erhebe. Aber all das muß aus freier eigner Willenskraft hervorgehen, und geht es auch nicht so schnell, wie Eure Liebe und Fürsorge wünscht, so habt Geduld.“

„Dresden, 19. März 1859.

„Es scheint, als wäre es im Rathe der Götter beschlossen, daß ich hier wie Prometheus angeschmiedet liegen und mir nicht die prosaische Leber, sondern das poesiereiche Herz täglich aus der wunden Brust reißen lassen soll. Die ärztliche Consultation hat meinen Zustand bedenklicher herausgestellt, als ich selbst geglaubt, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_550.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)