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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

nicht mit zu häufigen Bitten. Nein – nur wenn es dem Herzen recht Bedürfniß ist, dann flüchte ich zu ihm. Heute habe ich eine Thräne durch die düsteren Wolken zu ihm gesendet. Sie war ein heißes, brünstiges Gebet – ja, und er hat es erhört!“

„… Der ganze Himmel ein Feuermeer! Blitz auf Blitz! wie durchschauert mich diese Erhabenheit der göttlichen Allgewalt, die uns feurige Blitze sendet, wo wir in Eis und Kälte erstarren sollten, denn es ist der 4. December. Wie klein und nichtig erscheinen alle Gefühle für das Irdische gegen die Empfindungen, die solche Gott gleichen Erscheinungen erregen! Diese Blitze sind Gott, dieser Sturm, der die Luft durchbebt, der uns arme Erdengeschöpfe erbeben macht, ist Gott, vor dem wir niederschaudern und sagen: Herr, gieb uns Armen Kraft, Deine Größe zu ertragen.“

… „Noël mit seiner düstern, schwarzen Philosophie hat meine Seele mit bangem Schauer erfüllt. – Nein, er hat nicht Recht! ich widerspreche ihm aus dem Gefühl der Ueberzeugung, die meine Seele von ihrem Fortbestehen hat. Er wendet mir zwar ein, daß von der gänzlichen Vergänglichkeit unseres Daseins und von dem Nichtbestehen der Seele das hohe Alter eines Menschen den klarsten Beweis gäbe, da in ihm jede Thätigkeit der Seele aufhöre und jede leise Saite des tiefern Empfindens verklinge. Aber wenn auch die Federkraft der Seele nachläßt, wenn das Bewußtsein derselben aufhört – ist das ein Beweis von ihrem Nichtvorhandensein oder Aufhören? Können wir denn wissen, was in dem blöden Greise vorgeht, wenn ihn auch die Gebrechlichkeit seines Körpers wie ein seelenloses Wesen erscheinen läßt? Kennen wir die Träume des unglücklichen Wahnsinnigen, der wachend keiner Mittheilung, keines Bewußtseins fähig ist? Wäre das Wesen, das über uns waltet, ein gütiges, wenn es das Empfinden jeder Pein, jeder namenlosen Sehnsucht in unsere Brust gepflanzt hätte, ohne uns das klare Verständniß des Erlebten und Ersehnten zu geben, wenn erst die Fesseln der Seele gelöst sein werden? Die abstrakten Begriffe, die wir uns von der Seele und der Fortdauer machen, mögen falsch und verwerflich sein; aber keiner soll mir den Glauben nehmen, daß Etwas von uns fortbesteht, das zu einem höheren Zwecke bestimmt ist, als nur etwa das Feld zu düngen, und daß bei dem Zusammensinken unseres Staubes, dem doch oft ein großer Gedanke, ein edles Streben innewohnte, noch etwas Anderes in’s Dasein treten muß, als nur die Blume, oder der Krautkopf, oder die Giftpflanze, die aus unserer Asche aufschießt. Was aus uns wird? – diese Frage können wir freilich nicht lösen. – Er dort oben wird es – aber daß wir etwas, und etwas bewußt Großes werden, der Glaube steht in mir fest.“

In ihren letzten Lebenstagen hat sie diesen Glauben wiedergefunden.




Die Ermordung des Herzogs von Enghien durch Napoleon I.


Keine That hat auf das Leben Napoleon’s I. einen so schwarzen Flecken geworfen, als die Ermordung des Herzogs von Enghien. Kein Grund der Milderung und zur Entschuldigung läßt sich für sie auffinden. Keine That in seinem Leben hat vielleicht aber auch sein Gewissen schwerer belastet, denn keine seiner Handlungen hat er eifriger zü motiviren und in einem günstigeren Lichte darzustellen gesucht, als diese Ermordung. Daß er Palm und Hofer erschießen ließ, läßt sich von seinem Standpunkte aus vielleicht rechtfertigen, denn Palm starb nach Gesetzen, die wirklich existirten, wenn auch nur der äußere Sinn eines Tyrannen dieselben in der Weise zur Ausführung bringen konnte, und Hofer’s Tod wurde, zum Wenigsten durch den Spruch eines der Form nach regelrechten Kriegsgerichts bestimmt. Es lassen sich Rechtfertigungsgründe auffinden, daß er auf seinem Rückzuge aus Rußland die Beresinabrücken und nach der Schlacht bei Leipzig die Elsterbrücke hinter sich sprengen ließ und dadurch Tausende seiner Soldaten wehrlos den Händen des Feindes überlieferte; die Rettung seines eigenen Lebens ließ diese Thaten vielleicht nothwendig erscheinen. Es lassen sich vielleicht Milderungsgründe aufsuchen dafür, daß er Hunderttausende nur seinem grenzenlosen Ehrgeize opferte; ähnliche Fälle sind in der Geschichte leider zu oft vorgekommen – der Ueberfall, die Verhaftung und der Tod des Herzogs von Enghien bleiben immer ein brutaler, gemeiner Act roher Gewalt, die echte That eines Corsen, dessen glühendes Rachegefühl sich nicht darum kümmert, ob er das Völkerrecht mit Füßen tritt, ob er, jedem Rechtsbegriffe eines civilisirten Volkes höhnend in’s Gesicht schlägt, ob er noch etwas voraus hat vor einem Banditen, der mit dem Dolche in der Hand in einem Versteck am Wege lauert.

Der Herzog von Enghien ist durch Napoleon nicht hingerichtet, er ist gemordet, auf schmachvolle Weise gemordet, um den Rachekitzel eines Tyrannen zu befriedigen. Sein Tod ist eine Infamie jedem Rechtsbegriffe gegenüber, ein noch ungesühnter Hohn gegen Deutschland. – Deshalb hallte, als des Herzogs Blut im Schloßgraben von Vincennes geflossen war, ein Schrei des Entsetzens über ganz Europa hin. Aber dieser Schrei, der in jedes Menschen Brust Entrüstung hervorrief, verhallte in Deutschland, wo so Vieles verhallt ist, ungehört, und den Mörder an der Seine traf nichts als ein schwaches, schnell verwehtes Echo!

Louis Antoine Henri von Bourbon, Herzog von Enghien, der am 2. August 1772 geborene Sohn des Herzogs von Bourbon, der Enkel des Prinzen Ludwig Joseph von Condé, war, wie die ganze bourbonische Linie, durch die Revolution aus Frankreich vertrieben, für einen Fremdling erklärt und für immer vom französischen Boden verbannt. Mit einem ritterlich tapferen, kühn entschlossenen Sinne verband er ein edles Herz und eine Menge Tugenden, so daß das Haus Bourbon seine meisten Hoffnungen auf diesen Prinzen und dessen entschlossene Thätigkeit baute. Er würde vielleicht diese Hoffnungen wirklich gerechtfertigt haben, wäre er nicht durch die verrätherische Gewalt des Corsen getödtet worden.

Schon das Aeußere dieses Prinzen war ein gewinnendes und sofort seinen ganzen Charakter verrathendes. Er galt mit Recht für einen schönen Mann. Eine hohe, schlanke und doch kräftige Gestalt; das hellblonde, leicht gelockte Haar umschloß eine freie und hohe Stirn, die großen Augen blickten ehrlich und zugleich entschlossen, der Mund war fein geschnitten. Dazu stand er in der vollen Fülle seiner Kraft, noch nicht ganz zweiunddreißig Jahre alt, als sein Blut durch Napoleon vergossen wurde.

Unter seinem Großvater Condé hatte er gegen Frankreich die Waffen geführt, um die seinem Hause entrissenen angeerbten Rechte wieder zu erringen. Mit dem Jahre 1801 lebte er still, nur dem Vergnügen der Jagd, welche er leidenschaftlich liebte, sich hingebend, auf dem badischen Schlosse Ettenheim, welches ihm der Kurfürst von Baden nach vorhergegangener Verständigung mit dem französischen Gouverneur und dem Cardinal von Rohan eingeräumt hatte.

Er mochte absichtlich diesen Ort gewählt haben, um bei einem Umsturze der Verhältnisse in Frankreich sobald als möglich auf französischem Boden und in Paris sein zu können. Jedenfalls konnte er hier ohne Besorgniß leben, er befand sich in einem neutralen Lande und stand unter dem Schutze des allgemeinen Völkerrechtes. Eine Pension, welche er von England bezog, sicherte sein äußeres Leben, und freigebig theilte er davon noch armen französischen Emigranten mit, von denen er wiederholt einige auf dem Schlosse sah und bewirthete. Ihr Loos war ja mit dem seinigen eng verknüpft.

So still der Herzog auch auf Ettenheim lebte, so war er doch dem Hasse des ersten französischen Consuls, der das ganze Haus Bourbon umfaßte, nicht entgangen, und ihn hatte die Rache des Corsen sich zum Opfer ausersehen. Er war der entschlossenste und thätigste von allen bourbonischen Prinzen, deshalb am meisten zu fürchten; sein Tod sollte alle mit Entsetzen erfüllen und abschrecken, Hoffnungen auf Frankreichs Thron zu nähren. Der Herzog ahnte nichts von dem, was im Stillen gegen ihn vorbereitet wurde.

Schon ehe der brutale Gewaltstreich gegen den Herzog ausgeführt wurde, war ein geheimer Polizeiofficiant nach Ettenheim gesandt worden, um über die Lage der Dinge, die Bewachung des Schlosses und die Zahl der herzoglichen Diener genaue Erkundigungen einzuziehen und diese dem ersten Consul direct zu überbringen. Alles schien zur Ausführung des frechen Unternehmens günstig zu sein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_552.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)