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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sofort Copien dieser Procedur an den Kriegsminister, den Oberrichter, den Justizminister und den General en Chef, Gouverneur von Paris, befördern.“

Die Richter selbst wollten durch diese gesetzlichen Formalitäten Zeit gewinnen, den unversöhnlichen Bonaparte vielleicht milder zu stimmen. Noch einmal kam des Herzogs Bitte um Audienz beim ersten Consul zur Sprache. Zum zweiten Male hinderte Savary, der sich beobachtend auf des Präsidenten Stuhlrücken lehnte, dies mit den Worten: „Das wird zu ungelegener Zeit kommen.“

Der Präsident entschloß sich nun an Bonaparte zu schreiben, um ihm die Bitte des Verurteilten mitzutheilen und ihn zu beschwören, die Strafe zu verschieben. Als er schrieb, trat Savary zu ihm und fragte: „Was machen Sie da?“ – „Ich schreibe an den ersten Consul, um ihm den Wunsch des Gefangenen und die Anempfehlung des Gerichtshofes vorzutragen,“ entgegnete Hullin. – „Sie haben Ihr Geschäft beendigt; was nun noch zu thun ist, liegt mir ob,“ erwiderte der Polizeichef und nahm dem Präsidenten die Feder aus der Hand. Er verließ das Zimmer und schloß die Richter ein. Kurze Zeit darauf, während diese nichts ahnend auf ihre Wagen warteten, vernahmen sie einen lauten Knall – der Mord war ausgeführt!

Hullin hat später, in seinem und seiner Collegen Namen, gegen diesen Mord protestirt, da ihr Urtheil nur angeordnet habe, daß Abschriften desselben an den Kriegsminister, den Oberrichter und General-Gouverneur von Paris, der allein die Hinrichtung befehlen konnte, geschickt werden sollten, und die Copien waren noch nicht gemacht, als der Herzog bereits eine Leiche war. Freilich den Befehl der Hinrichtung hatte Savary längst von Bonaparte erhalten. Doch kehren wir zu dem Herzoge selbst zurück.

Mit derselben Ruhe und Würde, welche er von Anfang an bewahrt hatte, hörte er die Vorlesung seines Urtheils an. Er wußte, daß er in der Hand des rachgierigen Corsen war und es keine Rettung mehr für ihn gab. Nur um den Beistand eines Geistlichen bat er. „Wollen Sie wie ein Capuziner sterben?“ wurde ihm höhnend erwidert. Der Herzog kniete still nieder und betete einige Augenblicke lang. „Allons donc!“ sprach er, als er sich wieder erhob. Bei Fackelschein wurde er eine Wendeltreppe hinabgeführt, welche in die Verließe des alten Schlosses zu führen schien.

„Soll ich etwa in einem unterirdischen Kerker verschmachten?“ fragte der Herzog still stehend.

„Nein, gnädiger Herr,“ erwiderte der Soldat, an den er diese Frage gerichtet hatte, schluchzend, „darüber seien Sie ganz ruhig.“

Der Prinz wurde weiter geführt, die Treppe hinab zu einem geheimen Pförtchen, welches in den Schloßgraben führte. Hier standen schon einige Elitegensd’armen in Reihe und Glied neben dem offnen Grabe zu der entsetzlichen That bereit. Der Morgen fing bereits an schwach zu dämmern, denn es war ungefähr sechs Uhr, allein ein dichter Nebel schien diesen Mord verbergen zu wollen. Fackeln und Lampen mußten den Raum erhellen. Ja, dem Herzoge soll sogar eine Laterne an einem Knopfe auf der Brust befestigt worden sein, um das Ziel nicht zu verfehlen. Auf einer Brustwehr, um dem Mordschauspiele beizuwohnen, stand Savary.

Ruhig ließ sich der Herzog an den Ort führen, wo er sterben sollte. Ohne Zittern stand er da. Er zog aus seiner Tasche eine Haarflechte und einen Ring und wandte sich an einen der Soldaten, welche ihn erschießen sollten, mit der Bitte, diese beiden Andenken der Prinzessin von Rohan, seiner Geliebten, die auf Schloß Ettenheim mit ihm gewohnt hatte, zu überbringen. Schon streckte der Soldat den Arm darnach aus, als ein Officier rief: „Niemand hier darf Aufträge eines Verräthers übernehmen!“ Der Herzog blieb ruhig. Da gab der spätere Herzog von Rovigo das Zeichen zum Feuern, dumpf hallten die Schüsse in dem Schloßgraben wieder – leblos sank der Herzog von Enghien nieder. Eine der brutalsten Gewaltthaten war vollbracht. Doch noch nicht genug der Rache, selbst der Tod halte noch nicht versöhnt. Ohne irgend welchen Anstand, wie der Körper des gemeinsten Verbrechers wurde der Leichnam des Gemordeten, bekleidet wie er war, in das offene Grab gekollert. –

Vergebens hat Savary sich später zu rechtfertigen gesucht. Ebenso hat Napoleon, als er wahrnahm, welche allgemeine Entrüstung diese That hervorrief, sich wiederholt und angelegentlichst bemüht, den Tod des Herzogs von Enghien als eine gesetzliche Handlung darzustellen und die Schuld dem Minister Talleyrand aufzubürden, der an dem Tode dieses Prinzen kein Interesse haben konnte. Er schildert diese Hinrichtung als eine Handlung der Selbstvertheidigung. „Von allen Seiten,“ sprach er, „ward ich durch die Feinde bestürmt, welche die Bourbons gegen mich hetzten, ward bedroht von Windbüchsen, Höllenmaschinen und verderblicher Kriegslist jeglicher Art. Auf Erden hatte ich keinen Gerichtshof, bei welchem ich Schutz hätte fordern können; also hatte ich ein Recht, mich selbst zu beschützen, und indem ich einen von jenen tödtete, deren Anhänger mein Leben bedrohten, ward ich befugt, den übrigen einen heilsamen Schrecken einzuflößen.“ Seine Anhänger haben diesen Mord sogar für ein Versehen erklärt, indem der Herzog mit dem General Pichegru verwechselt sei – was ebenso unwahr wie unmöglich war. Fouché nannte diese That ärger als ein moralisches Verbrechen – sie sei ein politischer Schnitzer.

Wir brauchen die Leser nicht noch ausführlicher auf die brutale Gewaltthätigkeit von Anfang an aufmerksam zu machen, auf die Lächerlichkeit und die Hast des Gerichtshofes. Wie schon im Anfange erwähnt, hallte ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens über ganz Europa. Das Blut des unschuldig Gemordeten rief laut um Rache, und nicht sein Blut allein, sondern das mit Füßen getretene Völkerrecht, das verhöhnte Gesetz. Und was geschah? Der Hof von St. Petersburg legte für den gemordeten Herzog Trauer an, und der russische Minister überreichte in Paris dem Minister Talleyrand eine Note, worin Rußland sich über die Verletzung des badenschen Gebietes beklagte. Gleichzeitig mußte der russische Gesandte zu Regensburg dem deutschen Reichstage eine Vorstellung über die Gebietsverletzung machen. Der schwedische Minister that ein Gleiches. Und was that Deutschland der frechen, unerhörten Gebietsverletzung gegenüber? Was that es, um den brutalen Mord eines Mannes zu rächen, der sich vertrauend dem Schutze deutscher Erde und Gesetze übergeben hatte? Was that das deutsche Reich? – es existirte ja damals noch – Nichts – nichts, wie in so vielen anderen Fällen! – Der Kurfürst von Baden bat, die Sache mit Schweigen und Vergessen zu übergehen, Oesterreich fühlte sich zu geschwächt, und Preußen mochte seine freundliche Beziehung mit Frankreich nicht gefährden. Wer sollte da noch etwas thun?

Aber schwer hat diese schlechte Wahrung deutscher Rechte an Deutschland selbst sich gerächt. War es nicht natürlich, daß des Corsen Verachtung und Uebermuth gegen Deutschland und deutsche Fürsten dadurch nur noch gesteigert werden mußte? Er halte ungestraft das deutsche Gebiet verletzen dürfen – ungestraft benahm er sich 1806 mit allem Uebermuthe gegen Preußens gebeugten Herrscher, ungestraft behandelte er deutsche Fürsten auf dem Congresse zu Erfurt 1808 en bagatelle und kam jedem seiner Generäle mit mehr Artigkeit entgegen, ungestraft setzte er seine frechen Gewaltthaten in Deutschland fort – die deutschen Fürsten hatten ja noch nicht einmal die alte Schuld an ihm gerächt – bis endlich im deutschen Volke das Bewußtsein seiner Kraft und Würde erwachte und es auch einen großen Theil der alten Schuld abtrug. Mag diese Gewaltthat jetzt gesühnt sein oder nicht, für uns, für Deutschland liegt jedenfalls eine ernste, ernste Mahnung und Warnung darin. Dies wollen wir zum Wenigsten beherzigen!

Im Jahre 1816, als Napoleon bereits auf St. Helena war, ließ Ludwig XVIII. durch eine dazu niedergesetzte Commission den Körper des Herzogs von Enghien in den Gräben von Vincennes aufsuchen. Die Commission fand alle Reste desselben. Der Kopf war durch die Kugeln gänzlich zerschmettert. Auch die Ueberreste der Kleider zeigten mehrere Löcher, welche durch die Kugeln verursacht waren. Man fand ferner eine goldene Kette mit Ring, welche der Herzog gewöhnlich zu tragen pflegte, einen Ohrring, eine Geldtasche mit dem Wappen der Condé’s nebst einem kleinen Schlüssel, eine Börse von Maroquin, worin 11 Gold und 5 Silberstücke, endlich noch 70 Goldstücke in Ducaten und Florenzen in einer Papierrolle, welche ihm sein Adjutant, der Baron de St. Jacques, bei seiner Trennung von dem Prinzen überreicht hatte.

Die Ueberreste des so schmachvoll Gemordeten, von dem die Königin Karoline von Neapel, als sie seinen Tod erfuhr, ausrief: „Welches Unglück! Er war der einzige Mann von Herz in der Familie!“ wurden in einem bleiernen Sarge gesammelt und mit den ihnen zukommenden Ehren beigesetzt.

Fr. Fr.



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