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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

welche die Stärke der Luftströmung und den Weg anzeigten, auf dem der Ballon in den ersten Minuten der Abfahrt fortgeführt werden würde. Unaufhörlich verfolgte ich den Zug und das Spiel der Wolken – so vergingen zwanzig Minuten; da veränderten sie mit einem Male ihre unfreundliche Physiognomie – der Wind wurde schwächer, und der muthige Capitain fühlte sich angeregt, uns zu fragen, ob wir unter diesen günstigern Umständen geneigt wären, die Fahrt mitzumachen. Wir waren sogleich dazu bereit; doch ich muß es lebhaft bedauern, daß die Ungunst der Witterung es verhinderte, diejenigen Vorrichtungen im Innern der Gondel anzubringen, welche nothwendig gewesen wären zu einer zweckmäßigen Aufstellung und Befestigung einer größern Reihe von Instrumenten. Ich beschränkte mich dieses Mal daher nur auf die allernothwendigsten meteorologischen Instrumente. Außerdem nahm ich noch eine Brieftaube mit, die ich auf meiner vorjährigen Montblanc-Expedition aus einer Höhe von 13,000 Fuß über die Gletscher und Schneefelder des Mont-Blanc mit einem Briefe nach Chamounix entsendet hatte, wo sie nach wenigen Minuten glücklich ankam und Kunde von unserem Aufenthalte und Befinden überbrachte.

Noch einmal blickte Regenti nach den Wolken und nach den Blättern der Bäume, ein freudiges Lächeln erfüllte ihn, und nachdem er dem riesigen Ballon durch neue Zuführung von Gas auch die letzten Falten genommen hatte, befestigte er die schwarz-weiß drapirte Gondel an dem Seilwerk des Netzes. Der nothwendige Ballast, fünf mit Sand gefüllte Säcke à 20 Pfund, wird auf dem Boden der Gondel vertheilt – drei von den dienstthuenden Leuten begeben sich zur Prüfung der Steigkraft des Ballons in das kleine Fahrzeug, während die Andern den bereits unruhig gewordenen Adler durch festes Eingreifen in die herabhängenden Leinen zu bändigen sich bemühen.

„Hinaus! er hat genug –“ commandirte Regenti. Die Arbeiter erfüllen diesen Befehl. Sofort besteigt unser Führer das kleine Schiff, und wir beeilen uns, ihm zu folgen. Wenige schwache Menschenhände halten den Ballon noch mit der festen Erde in Verbindung – ein Wort zerschneidet dieses Band – denn kaum war dem muthigen Aëronauten der laute Ausruf entflohen „Laßt los!“ da erhob sich der kühne Aar mit gelösten Schwingen, majestätisch, unter bewunderungswürdiger Schnelligkeit hinauf in sein heimathliches Reich der Lüfte. Welch ein Anblick! Welch tief erschütternder Eindruck! Die Erde schien unter unsern Füßen hinabzusinken. Freudiges Erstaunen und ängstliche Besorgniß paarten sich mit Rücksicht auf die nur zu gerechtfertigten Befürchtungen in den Gemüthern der Zurückbleibenden. Mehr denn hunderttausend Menschen hingen stumm und unverwandten Blickes an dem stolzen Aar, der als Raub mit seinen Krallen uns in dem kleinen, den Winden preisgegebenen Nachen ohne Segel und Steuer und Ruder hinaufzog.

Wie hoch willst du dich erheben? Wo wirst du ermüdet deine Schwingen senken? Wann und wie wirst du wiederkehren? Und was wirst du uns berichten können aus dem Reiche der Lüfte? Das waren die ersten Fragen, welche bei allen denjenigen in den Vordergrund traten, die bei dem in der That imposanten Anblick überhaupt noch fragen konnten. Wir aber stiegen höher und immer höher – in wenigen Secunden beherrschten wir das Häusermeer, die Paläste und die Kirchthürme der weitausgedehnten Residenz. Ihre Straßen erschienen wie schmale bräunliche Bänder – die Spree glich einer mehrfach gewundenen, metallisch glänzenden Riesenschlange, deren Körper durch die wie schmale Breter sich darstellenden Brücken gegliedert erschien. Die großen, umfangreichen Gebäude der Residenz, der Gensd’armemnarkt mit seinen Tempeln, die Hedwigskirche, das königliche Schloß traten zwar deutlich hervor, doch glichen die kleinern Gebäude den hölzernen Spielsachen aus den Spielschachteln eines Kindes. Die auf den Straßen verweilenden Menschen hatten die Größe kleiner Insecten und Würmer, und der große Menschenhaufe tief unter uns auf dem Platze der Abfahrt glich einem ruhigen Bienenschwarme. In der That, es war ein herrlicher, großartiger Anblick, ein Anblick, dessen staunenerregender Eindruck empfunden sein will, denn er läßt sich durch keine Beschreibung erwecken.

(Schluß folgt.)




Ein deutscher Festungscommandant aus dem Volke.

Der dreißigjährige Krieg wird noch lange eine unerschöpfte Fundgrube für historische Forschung und Darstellung bleiben, und wie jener Krieg für Deutschland in seinen Folgen bis in unsere Gegenwart hereinwirkt, der Riß, den er und sein ebenso verderblicher Friede durch das Reich zog, bis heute nicht ausgefüllt ist, so lebt auch allenthalben im Volke noch die Theilnahme für jene Zeit und ihre großen wie ihre gräßlichen Thaten.

Eine der wohlthuenderen Erscheinungen dieses Krieges ist der Gegenstand der folgenden Darstellung. Conrad Wiederhold, ein Haudegen aus dem hessischen Ziegenhain, der von der Pike auf gedient und, nachdem er unter verschiedenen Fahnen gefochten, endlich in Würtemberg Officiersrang erwarb, ist der Held derselben.

Die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht von Nördlingen war geschlagen, und der jugendliche Herzog Eberhard III. entfloh mit seinem Hofe von Stuttgart nach Straßburg, nachdem er Wiederhold zum Obersten und Commandanten der Veste Hohentwiel ernannt hatte, und zwar mit dem bestimmten Befehl: „die Festung um alle Welt Niemand zu übergeben, als allein ihm, ihrem rechtmäßigen Herrn.“ Kaum war dies geschehen, so hielt König Ferdinand, der Sohn des Kaisers, seinen siegreichen Einzug in Stuttgart.

Wiederhold’s erste Sorge war es, das verkommene Festungswerk auf Hohentwiel wieder in Stand zu setzen und zugleich die für die Veste gefährlichen Schlösser Mägdeberg, Hohenkrähen und Stauffen zu zerstören. Kaum war dies vollbracht und die Festung eiligst verproviantirt, so erschien ein kaiserlicher Befehlshaber, Vitzthum von Eckstädt, mit einer Schaar Dragoner vor dem hohen Felsenberge der Festung und verlangte, nach einigen fruchtlosen Sturmversuchen: „der Commandant solle alle seine Soldaten bis auf zweihundert abdanken, dann wolle man kaiserlicher Seits die Festung in Ruhe lassen.“ Wiederhold wies ihn mit derben Worten ab und ließ ihn auf’s Neue seine vergeblichen Sturmversuche machen, bis er ihm dies endlich so gründlich verleidete, daß gar bald von den Kaiserlichen nichts mehr vor der Veste zu sehen war. Wuth und Grimm erfaßten den Kaiser ob dieses Ausganges und besonders darüber, daß ein einziger Mann es wagte, von Würtemberg noch ein Stücklein besitzen zu wollen! Denn alle anderen Festungen und Schlösser waren gefallen, Wiederhold war die einzige Hoffnung des geknechteten Landes, nach ihm hinauf schauten vertrauensvoll die armen trauernden Patrioten. Und ihre Hoffnung ist nicht zu Schanden geworden. Selbst nachdem einmal auf der Veste die Pest gewüthet hatte und eine Hungersnoth ausbrach, während der Feind den Felsen umschlossen hielt, verharrte Wiederhold in männlicher Unerschütterlichkeit bei seinem Vorsatze, bis es der Feind endlich selbst für gut hielt, bei dem unüberwindlichen Aar auf dem Horste von Hohentwiel einen Friedensvergleich zu beantragen. Dieser Vergleich kam zu Stande. Hierauf hatte Wiederhold zwei Jahre Ruhe und Frieden.

In dieser Zeit war es, daß er seinem „Herrn und Herzog“, der sich zu Straßburg in großer Geldnoth befand, einen ausgehöhlten Wanderstock voll Ducaten übersandte. Kam dieses Geld auch eben recht, so dauerte es doch nicht lange, und da den armen Herrn auch das Heimweh im Herzen bedrängte, so vergab er sich’s endlich und flehte den Kaiser an, ihn in den Prager Frieden mit aufzunehmen. Dieser schenkte dem Herzog anfangs gar kein Gehör, und als er sich endlich herabließ, dem Flehen des Herzogs sein Ohr zu leihen, behielt er sich vor, daß ihm zuerst Hohentwiel zur Verfügung gestellt werden müsse, ehe er, der Herzog, auch nur das Geringste von seinem Lande wieder erhalte. Davon wollte jedoch Herzog Eberhard nichts wissen, er befahl sogar dem Commandanten der Felsenfestung, um jeden Preis sein gegebenes Wort zu halten. Endlich trieb ihn dennoch die Noth, das kaiserliche Verlangen zu erfüllen. Sofort schickte der Kaiser drei seiner Höflinge nach Hohentwiel, um Besitz von der Veste zu nehmen. Aber man hatte eine Zahl bei der Rechnung vergessen – diese Zahl war Wiederhold’s treuer, ehrenvoller Charakter. Als die Gesandten des Kaisers ihr Begehr zu erkennen

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