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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

werde – Du sollst nicht lange auf mein nächstes Examen zu warten haben!“

Ueber des Geheimraths Züge breitete sich zum ersten Male eine volle, heitere Zufriedenheit aus. „So werde ich allerdings gegen diesen letzten Streich keinen Einspruch erheben dürfen, und Du wirst ihn gegen die Großmutter und Deine Schwestern zu verantworten haben!“ sagte er, und der junge Mann sah sich plötzlich wieder in den Armen der aufathmenden Mädchen, die ihrer Ueberraschung in zehn sich durchkreuzenden Fragen Luft machten.

„Aber, mein Gott, eine Amerikanerin!“ rief die alte Frau in komisch kläglichem Tone dazwischen, „so wird man ja nicht einmal mit ihr reden können!“

„O, sie lernt bereits Deutsch,“ erwiderte Hugo mit dem vollen Ausdrucke seines Glückes, der Sprecherin Hände fassend, „und ich weiß, daß Du sie so lieb haben wirst, Großmütterchen, wie nur Deine eigenen Enkel –“

„Und damit ist die Beichte zu Ende?“ unterbrach ihn Zedwitz fast launig.

Hugo wandte sich wieder dem Fragenden zu, und in sein Gesicht trat eine Art weicher Ernst. „Noch ein einziges Wort, Vater, wenn ich ganz ruhig werden soll!“ sagte er fast bittend. „Ich erwähnte vorhin Römer’s – hast Du ihm einen bestimmten Vorwurf zu machen, der ihm Euer Haus verschließen muß?“

Ueber die klare Stirn des Hausherrn ging plötzlich eine Wolke; er neigte langsam den Kopf und schien einen Gang nach der Thür beginnen zu wollen; im gleichen Augenblick aber hatte sich auch die Großmutter in jugendlicher Lebendigkeit erhoben. „Halt, lieber Zedwitz,“ sagte sie, die Hand auf seinen Arm legend, „dies ist eine von Gott gesandte Stunde des Segens und der Versöhnung, von der wir Niemand mit kaltem Herzen ausschließen sollten. Und zudem steht vielleicht Manches anders, als Sie selbst wissen. – Komm her, Hugo, und laß Dir hier unsern Freund, den Regierungsrath Meßner, vorstellen, was ohnehin bereits hätte geschehen sollen,“ wandte sie sich nach dem Enkel, während der Letztgenannte, welcher, in eine Ecke hinter die Mädchen zurückgezogen, die Familienscene beobachtet, sich überrascht von seinem Sitze erhob; „hier aber ist Deine Schwester Marie, und wenn ich Dir sage, daß Du heute unwissentlich aus Beiden ein glückliches Paar gemacht hast, das jetzt nicht mehr zögern wird, sich dem Vater zu entdecken, so darfst Du der Großmutter glauben, die im Geheimnisse ist!“

Marie hatte aufschreckend und mit Purpur übergossen ihr Gesicht an der Schulter der Sprecherin geborgen, während Meßner in sichtlicher Bewegung dem jungen Manne die Hand mit einem: „Es war mir noch nicht vergönnt, Ihnen zu danken!“ entgegenstreckte; der Geheimrath indessen sah mit gehobenem Kopfe bald auf den Hausfreund, bald nach dem Mädchen in den Armen der Großmutter, und ein plötzliches Verständniß schien in ihm aufzugehen; dann blickte er wie sinnend nach Helenen, die in peinlicher Spannung jede Veränderung in seinen Zügen zu beobachten schien. „Das heißt also nach allen Seiten hin außer Activität gesetzt,“ begann er endlich. „Sie hatten carte blanche von mir,“ wandte er sich an Meßner, „und so ist hier gar nichts mehr zu sagen; im Uebrigen aber soll die Mama Recht haben,“ fuhr er mit einer leichten Bewegung in seiner Stimme fort, „ich will heute nicht undankbar sein, und so bringe Deinen Freund, Hugo, wenn Dir soviel daran gelegen ist –!“

Helene war mit einem unarticulirten Ruf bei seinen letzten Worten aufgefahren und warf sich an seinen Hals, seine weitere Rede abschneidend; zugleich aber hatte ihn auch schon Marie umschlungen, während die Großmutter mit einem aufglänzenden Ausdrucke von Genugthuung, der ihre Züge um zehn Jahre verjüngte, nach seiner Hand faßte; Hugo sah sich plötzlich allein, und von einem raschen Gedanken berührt, wandte er sich nach der Thür, von wo ihm indessen das Gesicht des alten Mangold, dessen Eintritt Niemand wahrgenommen, unter zwei großen, langsam in den grauen Bart rollenden Thränen entgegenblickte. „Und so wird Alles noch gut, Herr Referendar,“ sagte der Alte, „wie geht es aber meinem Heinrich?“

„Er ist auf dem rechten Platze und wird seinen Weg machen, wo wir Menschen von der Feder ganz ruhig zu Grunde gehen können,“ erwiderte der junge Mann, dem alten Diener kräftig die Hand schüttelnd. „Sie sollen noch des Ausführlichen von ihm hören – jetzt aber, Mangold, helfen Sie mir, den Tag vollständig zu machen; gehen Sie zu Römer und sagen Sie ihm, daß er sich Mittags hier zu Tische einfinde – sagen Sie nur, es sei Alles in Ordnung!“


Wenige Jahre sind seit den hier erzählten Ereignissen verstrichen, deren Mittheilung der Verfasser einer der betheiligten Personen verdankt, und es ist ihm nur noch verstattet, denselben einige leichte Ergänzungen hinzuzufügen.

Unter denjenigen Berliner Cirkeln, zu welchen der sich in der Residenz aufhaltende Amerikaner am liebsten Zutritt gewinnt, ist der einer jungen Landsmännin, welche mit eigenthümlichem Takte den deutschen und transatlantischen Ton zu vermitteln, die elegante, unabhängige Amerikanerin mit dem vollen Gemüthe der deutschen Frau zu vereinigen weiß, einer der gesuchtesten. Neben dem Elemente der fremden Gäste aber bildet dort unter den Männern eine gewählte Zahl von Vertretern heimischer Wissenschaft und Literatur einen Haupttheil der Gesellschaft und findet einen zweiten Mittelpunkt in der ebenso liebenswürdigen als geistreichen Schwägerin der Hausherrin.

In dieser letzteren aber haben wir Jessy vor uns, welche Hugo’s Befürchtung, daß ein erwachendes Heimweh ihr gemeinsames Glück trüben werde, völlig vernichtet hat und neben ihrem häuslichen Kreise den ihr beschiedenen Reichthum nur durch eine alljährliche mehrwöcheittliche Reise mit ihrem Manne genießt. Hugo erwartet seine Beförderung zum Gerichtsrath.

In der zweiten jungen Frau aber treffen wir auf Marie, deren Mann in das Cultus-Ministerium versetzt worden, und die in rasch entstandener Zuneigung sich eng an die neue Schwester angeschlossen hat.

Der Geheimrath ist noch in seiner frühern Stellung, aber eine seltsame Aenderung scheint in seinem Charakter vorgegangen zu sein – es wird ihm trotz der vielfachen Besuche seiner Kinder zu einsam, besonders da die Großmutter den größten Theil ihrer Zeit dem „Nesthäkchen“, der glücklichen Frau Römer, und deren beiden kleinen Sprossen widmet; er beabsichtigt stark, sich pensioniren zu lassen und mit dem alten Mangold nach Berlin, dem Schauplatz der jugendlicheren Tage Beider, zu seinen übrigen Kindern und Enkeln zu ziehen.

Heinrich lebt in Cincinnati und ist durch ein kleines Capital seines frühern Gefährten in den Stand gesetzt worden, Miteigentümer eines Möbellagers zu werden. Hugo und Römer haben bereits die Einladung zur Taufe eines dritten „echten Thüringers“ erhalten. Er möchte gern seinen „Alten“ zu sich hinüber holen, wozu dieser aber unter keinen Umständen seine Einwilligung geben zu können meint.

Von Carry war nur eine einzige Nachricht eingetroffen, welche deren Verheirathung mit einem Bostoner Kaufmann meldete. Jessy’s Beglückwünschungsbrief blieb indessen unbeantwortet, und diese hat sich auch längst ohne Reue darein gefunden, daß sie in Hugo ihre „einzige und alleinige Heimath“ erwählt.

Wenn aber bisweilen ein Leierkasten durch die nächtlichen Straßen Berlins zieht, und die Töne hinauf zu dem Arbeitszimmer des jungen Mannes, der noch über einem Actenfascikel brütet, klingen:

„Ach wie ist’s möglich dann,
Daß ich Dich lassen kann’?“

da beginnen wohl alle die früheren Erlebnisse in ihm aufzutauchen, jeden Gedanken an den vor ihm liegenden „Fall“ verscheuchend, und er murmelt, der Melodie folgend, mit eigenthümlichem Ausdrucke:

„Zwei Welten!“





Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Otto Ruppius,
Deutsches Volksleben.
2 Bändchen. Preis 1 Thlr. 6 Ngr.

Freunden einer guten, schönwissenschaftlichen Lectüre und den Leihbibliotheken sind diese Erzählungen vor allen andern zu empfehlen. Der Verfasser derselben ist in der literarischen Welt und in weiteren Kreisen sowohl als Mitarbeiter der Gartenlaube, wie auch als Verfasser verschiedener schönwissenschaftlicher Werke ehrenvoll bekannt. Die Vorzüge seiner Erzählergabe sind anerkannt. Er macht sie auch in dem obigen Werke geltend, indem er seine Stoffe mir der ganzen Gewalt des Romanschreibers beherrscht und so die Spannung bis ans Ende in steter Steigerung erhält.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_576.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)