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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

kann der Luftschiffer in der Beurtheilung der verticalen Bewegung des Ballons getäuscht werden – er befindet sich im Wahne, daß derselbe noch steige, während er bereits im Sinken ist, und er trifft alsdann vielleicht schon zu spät die nothwendigen Vorbereitungen zur Landung. Es ist daher geradezu als gefährlich zu bezeichnen, wenn Jemand auf einer Luftreise solchen Papierstückchen sein Leben anvertraut, und es ist allen Ernstes anzurathen, daß ein Aneroid als Rathgeber auf einer solchen Reise stets mitgenommen werde.

Die eben erwähnte Erscheinung, daß ungeachtet der herabfallenden Papierstückchen der Ballon ebenfalls zuweilen im Sinken sich befindet, mag vielleicht weniger in einer senkrechten Luftströmung begründet sein, als in der ungleichmäßigen Geschwindigkeit beider fallenden Körper. Die Wirkungen verticaler Winde habe ich während meines vorjährigen längeren Aufenthaltes auf dem Montblanc aus der Erfahrung kennen gelernt; auch gaben sich dieselben auf der ersten Luftreise des Herrn Regenti hierselbst am 11. Aug. d. J. zu erkennen, denn mit großer Deutlichkeit habe ich acht Minuten nach seiner Abfahrt eine starke Eindrückung von 30 Zoll in dem obern Theile des Ballons durch das Teleskop beobachten können, mit dem ich den Ballon verfolgte, bis er sich in den Wolken verlor. Diese Zusammendrückung von oben nach unten kann nur durch einen abwärts gehenden verticalen Luftstrom hervorgebracht worden sein.

Und weiter und immer höher allmählich ansteigend wuchs das wunderbare Riesenbild und mit ihm der feierliche Ernst und die einsame Größe und die unheimliche Todtenstille dieser unbeschreiblich großartigen Natur. Gegen das Ende der ersten halben Stunde erreichten wir, ohne bis dahin den Ballast ergreifen zu dürfen, eine Höhe von 9500 Fuß bei einer Temperatur von noch 9,5° R.

Der Abend zog gemach heran – dämmerig ward es in der Tiefe – es wehte kein Hauch von Flur und Wald. Wundervolle röthliche Farbeneffecte entwickelten am Himmel und auf Erden einen nicht vermutheten landschaftlichen Reiz. Eine furchtbare Stille herrschte im weiten Kreise, als ob man das Wehen der linden Zephyre vernehmen müßte. Da lenkte mit einem Male ein eigenthümliches Rauschen in der grausigen Tiefe unsere suchenden Blicke nach unten. Es war ein Eisenbahnzug, welcher schneckenartig dahin zu kriechen schien, als ob ein ermüdeter Fußgänger mit ihm gleichen Schritt halten könnte. Ein Zauber von Schönheit bannte momentan die Sinne, und wonnetrunken kehrte der Blick von dem sonnenmüden Bild der schrecklichen Tiefe nach unserm kleinen Nachen zurück, der noch im vollen Sonnenlicht dahinzog wie ein röthlicher Flammenkahn, rings umgeben von einem hellen Scheine. Hier fesselte meine Aufmerksamkeit nunmehr ein kleines, munteres Wesen, mein treuer Begleiter auf hoher Alp – eine erfahrene und bewährte Brieftaube.

Du hast schon einmal, dachte ich, den Weg zurückgefunden aus großer Höhe von den Gletschern und Schneefeldern des Montblanc in deine erste Heimath. Wirst du auch hier, im hohen Aether der Ebene, dich zurecht finden und instinctiv ohne Wegweiser, ohne Compaß deine zweite Heimath nicht verfehlen? Und wenn du irren solltest, dann zeige der kleine Brief an deinem Hals, woher du kommst und wo du warst! Aus ihrem Käfig alsbald befreit, gewährte sie ein interessantes Schauspiel. Ich setzte sie auf den Rand der Gondel und gab ihr völlige Freiheit; doch sie blieb bei mir. Selbst aufgescheucht wollte sie uns nicht verlassen; sie blickte vielmehr ruhig umher, als ob sie den Raum mäße, den sie zurückzulegen hätte. Endlich vertrieb ich sie vom Rande der Gondel. Vergebens versuchte sie es, den höher aufsteigenden Ballon zu erreichen und schoß alsdann mit ausgebreiteten Flügeln in großen Kreisen nach Art der Raubvogel in die Tiefe hinab, für das bloße Auge nach einer Minute nicht mehr wahrnehmbar. In südöstlicher Richtung, auf dem Wege nach ihrem Bestimmungsorte gelangte sie, wie mir zwei Tage darauf berichtet ward, ermüdet und athemlos auf dem Försterhause in der Nähe von Spandau an, wo sie, durch Futter angelockt und gefangen genommen, von der Rückkehr nach ihrem Bestimmungsorte abgehalten wurde. Durch die Freundlichkeit des Herrn Förster Nitzke gelangte ich alsdann wieder in den Besitz derselben.

Noch immer unter der lieblichen Bläue des Himmels dahineilend, schickten wir uns endlich an, die möglichst größte Höhe zu erreichen. Ein Theil des Ballastes ward allmählich über Bord geworfen. Mit erneuter wachsender Kraft erhebt sich der Ballon – zehntausend Fuß verkündigt das Aneroid – die Temperatur sinkt auf 5 ° R. herab. Neuer Ballast wird hinabgeschüttet – wir steigen höher und immer höher – zehntausend und fünfhundert Fuß schweben wir über dem Erdboden – das Thermometer zeigt 4 ° R. Ein Blick nach dem Ballast erinnert uns daran, daß die Kraft des Ballons bald erschöpft sein werde, denn der ganze Vorrath von Sand beschränkte sich hier nur noch auf ungefähr dreißig Pfund. Endlich wird noch einmal Ballast über Bord geworfen – der Rest muß für die Landung bleiben. Befreit von dieser Last erhebt sich der Ballon unter den letzten Kraftanstrengungen höher und immer höher, und erreicht endlich, 10 Minuten vor 7 Uhr, 50 Minuten nach dem Momente der Abfahrt, eine Höhe von 11,000 Fuß, die größte Höhe, zu der er nach Maßgabe der Belastung und Füllung sich überhaupt nur zu erheben vermochte. 11,000 Fuß hoch über der Ebene freischwebend hing der Ballon da in dem reinern Aether der höhern Regionen.

Leser, willst du dir eine richtige, lebendige Vorstellung von dieser Höhe verschaffen, dann suche einen Maßstab zur Beurtheilung, denn der Mensch, gewöhnt nur in horizontaler Richtung den Raum zu durchwandern, täuscht sich regelmäßig in der Schätzung der Höhen- und Tiefen-Verhältnisse. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, daß die Berge in den Alpen bei weitem nicht so hoch erscheinen, als sie es wirklich sind. Versetze dich auf die Gallerie des Berliner königlichen Schlosses oder überhaupt eines Gebäudes von 100 Fuß Höhe, thürme diese Höhe zehn Mal übereinander, dann hast du erst eine verticale Höhe von 1000 Fuß. Mit diesem Maßstabe von 1000 Fuß wirst du deiner Vorstellung eine Höhe von 11,000 Fuß näher zu führen im Stande sein. Und wenn du in jener Höhe von 100 Fuß stehest, dann vergiß nicht beim Blick nach unten, daß du auf einem sichern, festen Fundamente dich befindest, während das kleine Schiffchen frei im Raume schwebt und durch den leisesten Fußtritt in eine schwankende Bewegung versetzt wird. Unbeschreiblich aber ist es, was ich in diesen schwindelnden Höhen gesehen und empfunden habe. Welch ein Anblick!

„Schaut’ ich hinab von diesem hohen Raum
In’s weite Reich, schien’s mir ein großer Traum.“

Die ganze Erde lag frei ausgebreitet da zu unsern Füßen im heimlichen Dämmerlichte als ein großes, unermeßliches Landschaftsbild – überraschende, staunenerregende, wie durch optische Kunststücke hervorgezauberte Erscheinungen und wechselnde Luftgebilde – Mauern und Pfeiler und Thore von Wolken thürmten sich auf an dem Rande dieses Rundgemäldes und verbanden den blauen, gewölbten Himmelsdom mit der kleinen Erde zu einem Tempel Gottes, wie ihn des schwachen Menschen Hand nicht aufzubauen vermag. Am Himmel flammte die letzte Gluth, das Abendroth flog über das stille Heiligthum und bemalte es in seinem Innern mit Farbentönen der allermerkwürdigsten Art. Bei einem solchen Anblick ward das Gemüth von der Größe und Herrlichkeit Gottes in schweigender Bewunderung tief bewegt.

„Herr du bist groß! – so ruf’ ich, wenn im Westen
Der Tag sein Auge sanft bewältigt schließt,
Wenn’s in den Bergen schallt, in deinen Vesten,
Wenn Licht und Leben sich auf’s All ergießt.
Wodurch, o Herr, stimmst du das Herz uns milder,
Als durch den Zauber deiner Abendbilder?“

Im Großen, Ganzen war dieses weithin ausgedehnte Rundgemälde von fast sinnverwirrender Großartigkeit; in seinen einzelnen Theilen eben so lieblich und anmuthig wie auf einigen Punkten von zauberischer, märchenhafter Pracht. Am fernsten Horizonte dieses Riesenbildes lagen der Insel Rügen im großen Bogen gegenüber die Städte Teplitz, Annaberg, Weimar und das alte Goslar; im N.-W. reichte der Horizont bis Lüneburg und Lauenburg hin. Auch die Sandsteinberge der sächsischen Schweiz, das Thüringer Waldgebirge, die uralte granitische Brockeninsel sowie der Iserkamm des Riesengebirges gehören diesem Panorama an. Im N. endlich schneidet das Himmelsgewölbe auf der ausgebreiteten Erde im fernsten Hintergrunde beinahe sieben Meilen weit in die Wogen der Ostsee ein. Und tief unter uns und um uns herum ist die große Erdscheibe besäet mit einem Meere von Städten und Dörfern, Wäldern und Feldern, Flüssen und Seen und reich gesegneten Fluren.

In diesen Grundzügen sind die Hauptmomente des großen Panoramas aufgezeichnet, wie es bei vollkommen heiterem Wetter in einer Höhe von 11,000 Fuß aus der Vogelperspektive im Luftballon sich darstellt. Die Einförmigkeit eines gleichmäßig klaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_586.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)